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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

den traurigen schiefstreichenden Häuschen mit den schlottrigen Riegelwänden und den schadhaften Hohlziegeldächern darüber gefielen mir auch nicht recht, obgleich ich mir immer vorsagte, daß schon viele berühmte Männer daraus hervorgegangen. Mein Reisegefährte dagegen behauptete, daß sie sehr malerisch und lobenswerth seien, glaubte auch, viele stille Sitze junger Liebe und häuslicher Glückseligkeit da zu entdecken. Das einnehmendste von allen Gebäuden schien mir das Posthaus zu Urach, welches mir durch seine classische Verpflegung die innigste Achtung abgewann.

Nicht ohne provincielle Schönheit ist auch das Donauthal von Sigmaringen aufwärts, wo sich an dem langsam fließenden Strome die abenteuerlichsten Felsen aufbauen und hoch am Berge die alten Vesten stehen. Nur daß wir auf den Rath eines besondern Naturfreundes auch das Schloß Wehrenwag bestiegen, will mich fast heut noch reuen. Für liebe Gäste wird da nämlich der steilste und unbequemste Weg gewählt, um ihnen zu zeigen, wie die Sigmaringer steigen können. In furchtbarer Hitze kamen wir ganz durchnäßt oben an, um ein Glas bitteres Bier zu trinken, das ausgeleerte Schloß zu besehen und eine Aussicht zu bewundern, die auch nicht lohnender war, als die kleinen Veduten im Thale. Nach einer Stunde auf einem kaum fußbreiten schlüpfrigen Geisweglein, wo jeder Fehltritt an’s Genick ging, wieder hinunter, tiefer und immer tiefer, bis wir wieder auf der Straße waren, mit gebrochenen Knieen, durch und durch in Schweiß gebadet, Rock und Schuhe zerrissen – die Table d’hôte in Beuron und den Omnibus in Friedingen versäumt! Es ist oft nichts bedenklicher, als die Liebenswürdigkeit der Gastfreunde! Wenn der Wanderer eben vom Rigi herunterkommt, führen sie ihn noch auf den Gänsebühel hinterm Dorfe: wenn er gerade die Adelsberger Grotte besehen, muß er auch noch irgend einen Dachsbau im Stadtwäldchen bewundern!

Endlich hatten wir aber auch den Schwarzwald gefunden! Die volksthümliche Geographie ist bekanntlich viel schwerer zu erlernen, als die gelehrte. Ihre alten, von dem Zahn der Zeit und dem Roste der Jahrhunderte angefressenen Länder haben oft einen Mittelpunkt, aber keine Grenzen. Von dem oberschwäbischen Allgäu z. B. weiß man wohl, daß es um die alte Reichsstadt Kempten herum liegt, aber wie weit es sich in’s hügelige Schwaben heraus erstrecke, kann man nicht leicht erfragen. Auch die berühmte Stadt Augsburg galt den Aelteren als im Ries (in Rhätien) gelegen, während die Neueren diese Landschaft nur um Nördlingen zu finden glauben. Es gab eine Zeit, wo ich selbst noch der Meinung war, das gelehrte Tübingen liege im Schwarzwalde, aber als ich diese berühmte Universitätsstadt erreicht hatte, deutete man da in unbekannte Gegenden gegen Abend und sagte, er müsse wohl da drüben sein. In Hechingen hieß es, man gehöre zum Fürstenthum Hohenzollern, in Sigmaringen rühmte man sich, im Donauthal zu liegen, und überall sprach man in einem Tone, als sei man ängstlich, mit den westlichen Nachbarn verwechselt werden, und als sei überhaupt Niemand zu beneiden, den die Vorsehung zum Schwarzwälder bestimmt. Erst in Tuttlingen trafen wir einen bescheidenen Posthalter, welcher auf die Frage, wo denn endlich der Schwarzwald anhebe, nach einigem Besinnen zur Antwort gab: mit vollem Bewußtsein könne er das nicht sagen, aber er mache sich nicht viel daraus, wenn man ihn für einen Schwarzwälder halte. Dies war ein willkommener Anhaltspunkt für unsere volksthümliche Geographie – endlich waren wir doch, wo wir schon längst sein wollten.

Der besondere Reiz dieses Waldgebirges, sein Eigenthümliches und Ueberraschendes ging uns aber doch erst auf in der Hölle. Diese ist eine enge Schlucht, drei Stunden von Freiburg, im wilden Gebirg gelegen, ehemals sehr steil und unwegsam, jetzt aber durch die Arbeit der letzten Menschenalter ganz angenehm hergestellt, mit seiner Straße belegt, mit guten Wirthshäusern ausgestattet. Es kommt viel reisendes Volk daher, welches betrachten will, wie das Thal immer wilder und schauerlicher wird, wie die Dreisam mit lautem Geräusch über die Felsenblöcke schäumt, die steinernen Wände immer steiler und schroffer emporstarren und zuletzt der Schlund so enge zusammengeht, daß einmal vor uralten Zeiten in schwindelnder Höhe oben von einem Felsenvorsprung ein Hirsch zum andern sprang, wovon die Spalte jetzt noch der Hirschensprung heißt.

Von hier aus wird auch der Feldberg bestiegen, der Rigi des Schwarzwaldes. Wir wollen nicht verheimlichen, daß wir eigentlich seinetwegen in die Hölle gefahren. Aber der Himmel war nicht günstig und wir überlegten lang, ob wir den Gang wagen, auf schönere Stunden warten oder den Wanderstab wieder weiter setzen sollten, als plötzlich ein junger Gelehrter aus dem Norden mit junger Frau und Schwester des Weges kam, alsbald nach einem Führer rief und den Gedanken auszuführen begann, der uns hierher gebracht. Obgleich wir selbst im Lauf der Zeiten, was Reisepflichten betrifft, etwas nachlässig und von laxer Observanz geworden sind, so wissen wir doch an Andern Gewissenhaftigkeit zu schätzen und konnten daher dem zierlichen Kleeblatt unsere Hochachtung nicht versagen, als es den schlängelnden Bergpfad rüstig hinanstrebte, ja selbst dann nicht, als es nach etlichen Stunden wieder ganz erschöpft herniederstieg und die Botschaft brachte, daß es zwar auf der Höhe gewesen, aber der vielen Nebel wegen gar nichts gesehen habe.

Nicht als ob wir in dieser langen Zeit immer nur dem lauten Geräusch der schäumenden Dreisam gelauscht, die schroffen Wände angestarrt oder dem Spiel der Wolken zugeschaut – im Gegentheil: wir hatten uns, als wir vom Hirschensprung wieder rückwärts gegangen, bald unter das gastliche Dach des „Sterns“ zurückgezogen, des schönsten Sterns der Hölle, und hatten uns zu trösten versucht. Seit uns (dies ist aber kein emphatischer Plural, sondern schließt immer meinen Herrn Reisegefährten, den Maler, mit ein) – seit uns der einst so wunderschöne Blick in die deutsche Zukunft etwas umnebelt scheint, legen wir überhaupt auf Fernsichten nicht mehr so viel Werth. Eine helle Wirthsstube mit freundlichen Leuten gewährt uns oft mehr Vergnügen, als ein trübes Panorama auf ragender Bergeshöhe, und die Einsicht in ein nahes klares Glas Wein ersetzte uns schon manchmal zu voller Genüge die Aussicht auf einen fernen verschleierten Gletscher. So thaten wir uns denn in der Hölle so gütlich wie möglich, gern verzichtend auf die Freuden des „Himmelreichs“, welches ein anderes Wirthshaus ist, das weiter unten liegt. Hier auch kamen endlich in voller Lebhaftigkeit jene berühmten Forellen des Schwarzwaldes an uns heran, jene schmackhaften Fische, nach denen wir bisher an Neckar und Donau vergeblich gefragt hatten. Und selbst wenn wir uns nur an’s Fenster legten, hatten wir des Schönen genug zu schauen: die lange Steig, an der wir heruntergekommen, die sich aus und ein an den weiten Falten des Berges zu Thale zieht, – steile, doch grüne Berghänge, die der Schwarzwald krönte, rothe Felsenwände, da und dort aus dem Grase stechend, Sturzbäche verschiedener Art, – im engen Thale dagegen, gleich über der Straße, die stattliche Scheune mit vorspringendem Dache, den glänzenden Fenstern, der schmucken Altane, auf welcher sich die Nelken wiegten, Alles zierlich in Holz gearbeitet und mit seinen Farben bemalt.

Am Fuße der steilen Halde steht eine kleine gothische Capelle, mitten in einem kleinen Ziergärtchen, von gelbem Geländer geschützt. An ihrer Seite strömt der braune Bach, der sich mit anständigem Zürnen über die Steine wirft und dabei selbstverständlich weiß aufschäumt – angenehme Rundschau, zwar klein beisammen, aber doch groß genug, um uns die Aeußerung abzugewinnen, daß wir endlich einmal in eine Gegend gekommen, welche abzumalen der Mühe werth wäre. Die traurigen Riegelwände waren seit gestern fast verschwunden. Man sieht da mehrentheils wohlständige, kernhafte Gebäude mit alpenhaften Vordächern oder solche, die im hölzernen Schuppenpanzer glänzen. Dieses und auch das Innere der Häuser, die wir heute schaulustig betraten, erinnerte mit holder Macht an die stattliche Reinlichkeit des Bregrenzer Waldes.

Während wir so am Fenster schauten, geschah es, daß wir plötzlich hinter unserm Rücken ein englisches Gespräch erklingen hörten. Sollte Herr Benjamin Disraeli oder Lord John Russell mit Dienerschaft unangemeldet im Stern erschienen sein? Ach nein, es war nur der Wirth vom Bärenthal und der von Todtnau, die sich in fremder Sprache über ihre häuslichen Angelegenheiten zu unterhalten begannen. Der Schwarzwälder geht nämlich gern auf Reisen, um die Länder der Welt zu sehen, besucht auch die britischen Inseln, lernt die Sprache, die man dort gebraucht, arbeitet, thut sich um, erwirbt sich Ehre und Gold, kehrt dann wieder in seinen dunklen Tannenforst zurück, und wenn er da einen Andern findet, der’s auch versteht, so stimmt er ein englisches Zwiegespräch an, welches Beide in der Uebung erhält und Niemanden beleidigt.

Der eine der Wirthe mit seinem fein rasirten Kinn und den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_150.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)