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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

todesverachtende Entschlossenheit. Ein Abglanz vergangener Größe schien diese entarteten Enkel der weltbezwingenden Roma zu umschweben, so daß sie selbst noch in ihrer jetzigen Verkommenheit die Theilnahme des Künstlers erweckten.

„Wer sind diese Leute?“ fragte er einen der bewaffneten Wächter.

„Briganten aus Sonnino, Eccellenza,“ versetzte der höfliche Sbirre in Erwartung eines Geldgeschenkes.

„Und was haben sie verbrochen?“

„Die Herren müssen wohl Fremde sein, sonst würden sie wohl wissen, daß Sonnino das ärgste Räubernest, nicht nur im Kirchenstaat, sondern auf dem ganzen Erdboden ist. Der dritte Mensch gilt dort für einen Dieb oder Mörder und hat mehr Verbrechen auf der Seele, als selbst der heilige Vater vergeben kann. Die Schelme haben es zu arg getrieben und waren sogar so frech, sich an Seiner Eminenz dem Cardinal und Staatssecretär Consalvi zu vergreifen. Es klingt unglaublich und doch ist es wahr, daß der verruchte Gasparone mit seiner Bande der Eminenz auflauerte und sie so lange gefangen hielt, bis sie sich mit einem schweren Lösegeld befreite.“

„Das ist nur in Rom möglich,“ bemerkte Schnetz lachend. „Ich hätte das Gesicht des Herrn Cardinals sehen mögen, als er die Bekanntschaft der Briganten in eigner Person machte, nachdem diese zahllose Reisende ungestört geplündert hatten.“

„Seine Eminenz,“ versetzte der Sbirre, „war natürlich außer sich und bewog den heiligen Vater, ein Exempel zu statuiren. Die päpstlichen Carabinieri mußten gegen Sonnino ausrücken, aber das nützte Alles nichts, da sie den Räubern in den engen Felsschluchten nichts anhaben konnten. Wo sie sich zeigten, wurden sie von den Briganten mit blutigen Köpfen heimgeschickt, so daß sie unverrichteter Sache nach Rom zurückkehrten. Jetzt aber ging dem heiligen Vater die Geduld aus, und er schwur am Grabe des Apostels, der Sache ein Ende zu machen. Da geschah ein Wunder.“

„Ein wirkliches Wunder?“ fragte spöttisch Schnetz.

„Ein französischer Wachtmeister, der unter dem großen Napoleon gedient hatte, erbot sich, mit Hülfe der heiligen Jungfrau die Häupter der Briganten zu fangen, was ihm auch gelang. Als erst die Führer beseitigt waren, mußte sich das Gesindel auf Gnade und Ungnade ergeben. Die meisten wurden hingerichtet und ihre Köpfe zum abschreckenden Beispiel auf die Thore von Sonnino gepflanzt, wo Ihr noch heut’ die gebleichten Schädel sehen könnt, wenn es Euch Vergnügen macht. Um aber gründlich aufzuräumen, beschloß der heilige Vater, das ganze Räubernest zu zerstören, indem er die Häuser der Schuldigen dem Boden gleich machen und alle übrigen Briganti, das heißt mehr als zwei Drittel der Einwohner, nach Rom und Porto d’Anzio transportiren ließ, wo sie, wie Ihr seht, jetzt ihr Verbrechen auf den Galeeren und im Gefängnisse büßen.“

Für die Auskunft des Sbirren dankend, wollte sich Leopold Robert wieder mit seinem Freunde entfernen, als plötzlich ein durchdringender Schrei seine Aufmerksamkeit erregte, so daß er sich noch einmal umwandte. Vor seinen Blicken stand eine Frau von überraschender Schönheit, die noch durch die kleidsame Tracht der römischen Landbewohner gehoben wurde.

Aus dem rothen, halbgeöffneten Mieder schimmerte der classische, üppige Nacken wie edle Goldbronze, umspielt von den ungebändigten Locken des dunkelschwarzen Haares, das von einem blinkenden Metallpfeil durchstochen und zusammengehalten wurde.

Die fein modellirte Stirn mit den geschwungenen Augenbrauen von der Farbe des Ebenholzes, die zart gebogene Adlernase, die Gluth der tiefen Augen, welche schwarzen Demanten oder brennenden Kohlen glichen, der üppig schwellende Mund erinnerten den Künstler unwillkürlich an das herrliche Bild der „Fornarina“, der schönen Geliebten, welche Raffael’s Meisterhand in dem Palazzo Barberini verewigt hat. Es war dieselbe sinnlich-reizende Erscheinung, nur hier durch einen eigenthümlich strengen Ausdruck der Physiognomie, durch eine Beimischung wilder Leidenschaftlichkeit gehoben.

„Francesco, mein Geliebter!“ schrie das Weib, indem es sich in die Arme eines der Gefangenen stürzen wollte.

„Zurück!“ gebot der bewaffnete Sbirre, die Frau fortstoßend.

„Im Namen der heiligsten Madonna,“ flehte sie mit rührender Stimme, „habt Mitleid mit einer armen Frau, die nur ihren unglücklichen Mann sehen will! Ich bin zu Fuße den weiten Weg von Sonnino gekommen, um ihn nur einen Augenblick an mein Herz zu drücken. Ich schmachte nach ihm, wie ein Sterbender nach der himmlischen Speise des Sacramentes. Könntet Ihr so grausam sein und mich vergebens bitten lassen? Ich will ihm ja nur ein Wort sagen, nur die Hand reichen und dann weiter gehen und Euch segnen.“

„Es ist nicht erlaubt,“ brummte der Sbirre barsch, dem weniger an dem Segen der armen Frau, als an einem klingenden Beweise ihrer Dankbarkeit zu liegen schien.

Verzweiflungsvoll blickte die Frau bald auf den unbarmherzigen Sbirren, bald auf den gefangenen Mann, der vor ohnmächtiger Wuth mit den weißen Zähnen wie ein gefesseltes Raubthier knirschte und flammende Blitze auf den frechen Peiniger schleuderte. Plötzlich von einem Gedanken durchzuckt, riß sie den werthlosen Metallpfeil aus den schwarzen Haaren, welche gleich einem dunkeln mächtigen Strom über den gebräunten Nacken flutheten.

„Nehmt,“ rief sie, dem Sbirren ihren einzigen Schmuck mit der Würde einer gefallenen Königin hinreichend, „das ist Alles, was ich besitze.“

„Und hier sind meine Ohrringe von echten Korallen,“ sagte ihre jugendliche Begleiterin, die, bisher hinter einem Marmorblock verborgen, plötzlich hervortrat, um ihre Bitten mit denen der älteren Schwester zu vereinigen.

Aber selbst dies neue Opfer prallte an der Brust des mitleidslosen Sbirren ab, welcher verächtlich die dargebotenen Gaben, weniger aus Pflichtgefühl, als wegen ihrer Geringfügigkeit, zurückwies.

„Denkt das Gesindel,“ fügte er hinzu, „daß ich wegen einer solchen Lumperei mir Händel mit dein Hauptmann zuziehen werde, um einen unechten Pfeil oder um ein Paar Ohrgehänge, die keine zwanzig Bajocchi werth sind. Da müßte ich ja ein rechter Narr, ohne Witz und Verstand sein.“

„Wenn ich aber noch drei Scudi hinzulege,“ fragte jetzt unerwartet Robert, den der ganze Auftritt auf das Tiefste erschüttert hatte, „wollt Ihr dann noch der armen Frau den Wunsch versagen?“

„O,“ versetzte der würdige Wächter der Gerechtigkeit, „ich bin nicht so grausam, wie Eccellenza glauben. Man ist ein Christenmensch und hat auch ein Herz, aber drei Scudi reichen nicht hin, all’ die Unannehmlichkeiten aufzuwiegen, denen ich mich aussetze. Auch muß ich mit dem Hauptmann theilen. Sagt vier Scudi, und ich will ein Auge zudrücken.“

„Meinetwegen vier Scudi!“ erwiderte der Künstler, während ein seltenes Lächeln seine ernsten Züge erhellte.

Ohne die Erlaubniß des Sbirren abzuwarten, eilte die Frau des Gefangenen in die Arme ihres Mannes, den sie mit südlicher Lebendigkeit unter Lachen und Weinen umschlang und mit wilder Gluth an den hochklopfenden Busen drückte. Plötzlich aber sich von ihm losreißend, ergriff sie die Hand des Gatten, und Beide traten vor den großmüthigen Maler, um ihm mit überströmender Herzlichkeit zu danken.

„Eccellenza,“ sagte das Weib des Briganten, „wir werden noch in unserer Todesstunde an Euch denken. Unser Leben, unser Blut sind Euch geweiht. Wenn mein Francesco wieder frei sein wird, so braucht Ihr nur zu rufen, und er wird kommen, um zu thun, was Ihr von ihm verlangt.“

„Ja, das will ich,“ bekräftigte der Räuber mit einer charakteristischen Bewegung des wie zum Stoße ausholenden Armes. „Wenn Ihr dann einen Feind habt –“

„Die Engel haben keine Feinde,“ flüsterte das junge Mädchen, mit strahlenden Augen zu dem Künstler wie zu einem Heiligenbilde emporblickend.

Um sich den ihm lästigen Danksagungen zu entziehen, entfernte sich Robert an der Seite des Freundes, obgleich er nicht verhindern konnte, daß Francesco ihm ein lautes „Evviva!“ nachrief, in das die sämmtlichen Gefangenen aus voller Kehle einstimmten.

„Ich gratulire Dir,“ scherzte der Begleiter, „zu Deinen neuen Freunden. Ich glaube in der That, daß Signore Francesco keinen Anstand nehmen würde, Dir mit einem guten Dolchstoß seinen Dank abzustatten, wenn Dir ein Kritiker einmal zu nahe treten sollte. Noch mehr beneide ich Dich um die Erkenntlichkeit der beiden Frauen. Welche prächtige Gestalten! Besonders die Aeltere mit den flammenden Pechfackeln der Augen und den schwarzen Löwenmähnen. Gott Gnade Deinem armen Herzen!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_226.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)