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von Reliquien. Ihr Schlafzimmer war mit Todtenknochen und Bruchstücken anderer Art angefüllt. Da war ein Finger des heiligen Antonins, eine Zehe des heiligen Dominicus, ein Zahn des heiligen Jacobus etc.; kein Heiliger von einiger Bedeutung mangelte in dieser angenehmen Gesellschaft. Besonders verehrt waren auch die Fragmente der Hosen des heiligen Mathurin.

Ihr erstes Kammermädchen, Rosina Gaglini, war ihrer Herrin getreues Zerrbild. Sie galt in Ajaccio für eine kleine Heilige; daß sie Gestohlenes wiederverschaffen und gewinnende Lotterienummern anzeigen konnte, war bei den Corsen eine ausgemachte Sache. Auch verlaufenes Vieh und verlorene Kinder aufzufinden und zurückzuführen, sollte in ihrer Begabung liegen; doch war diese Seite ihrer Wunderkraft mehr in ein mystisches Dunkel gehüllt. Als getreue Dienerin glaubte sie auch Anspruch auf die heiligen, Ihrer Frömmigkeit sicherlich zuträglichen Reliquien zu haben; da sie von den communistischen Ideen der französischen Revolution nicht ganz frei geblieben war, schnitt sie sich ohne Weiteres von dem heiligen Hosenpaar des Mathurin, von dem Hemde der heiligen Agnes und von anderen zerschneid und zertrennbaren Reliquien das ihr zukommende Stück ab, klebte den Namen des heiligen Eigenthümers darauf, um sie nicht zu verwechseln, und legte sie in ein sorgfältig verschlossenes Kästchen von Rosenholz, das bei Tag ihr Betschemel, bei Nacht zu mehrerer Kasteiung ihr Kopfkissen wurde. Die heiligen Hosen und die anderen heiligen Kleidungsstücke waren in so defectem Zustande, daß Madame Lätitia ihren Verlust nicht merkte, und so schritten Herrin und Dienerin auf dem Wege zur Heiligung beharrlich und vertrauensvoll weiter.

In dieser frommen Gesellschaft erregte es nicht geringes Aussehen, als sich eines Abends im August 1805 der Abbé Saladin aus Jerusalem melden ließ. Von unbestimmten Ahnungen durchwogt, empfing Madame Bonaparte den ehrwürdigen Mann. Empfehlungen der Klosterbrüder in Jerusalem, unter denen Abbé Saladin seine Jugend zugebracht, steigerten ihre Hochachtung bereits zu gelinder Bewunderung. Beinahe wäre sie aber dem frommen Pilgrim um den Hals gefallen, als dieser zu dem eigentlichen Zwecke seines Besuches kam. Er hatte – in gerechter Anerkennung der unvergänglichen Verdienste des Hauses Bonaparte um die Aufrechthaltung der alleinseligmachenden Kirche – den Schulterknochen des heiligen Johannes von Syrien mitgebracht, um ihn in Demuth der Mutter dieses erlauchten Hauses zu Füßen zu legen.

Leider war er auf der Herreise in etwelche Geldverlegenheit gekommen, und da es sich für den Ueberbringer des Schulterknochens des heiligen Johannes doch nicht schickte zu hungern oder gar zu betteln, so hatte er ihn bei einem griechischen Bischof in Montenegro für zweihundert Louisd’or versetzt. Er lebte dabei der sichern Erwartung, daß die großmüthige Beschirmerin und hervorragendste Bekennerin der katholischen Kirche diese kleine Summe sich nicht reuen lassen werde, um in den Besitz einer so werthvollen Reliquie zu kommen. Bis zu zwanzigtausend Scudi hatte ihm ein eifriger Christ darauf geboten, er aber hatte den Antrag mit Verachtung zurückgewiesen, denn mir für die Hände der Würdigsten war ihm der heilige Knochen von den syrischen Brüdern übergeben worden.

Abbé Saladin hatte sich in der kirchlichen Gesinnung seiner hohen Gönnerin nicht getäuscht. Die zweihundert Louisd’or wurden ihm nebst einem Trinkgelde von weiteren hundert als vorläufiges Zeichen der Erkenntlichkeit sogleich ausbezahlt. Er wurde gebeten, die Wohnung Lätitia’s ferner mit feiner erbauungsreichen Gegenwart beglücken zu wollen, und eine seiner würdige Stellung ihm für spätere Zeiten versprochen.

Damals lebte noch in Paris Madame Genlis, die bekannte Erzieherin Louis Philipp’s. Als sich der letzte Liebhaber, ihrer alternden Reize satt, treulos einer Andern zugewandt hatte, brach sie für immer mit der Sünde und schrieb umfangreiche Werke über Sitte, Keuschheit, Tugend und Kindererziehung. Die Kirche besuchte sie des Tages zwei Mal und ließ sich die Armen in ihrem Almosen angelegen sein. An ihren Nebenmenschen nahm sie regen Antheil, doch allezeit lieber in Freude als in Leid. Die sündigen Gemälde ihres Schlafcabinets hatte sie durch getreue Abbildungen der Leiden der hervorragendsten Märtyrer ersetzen lassen; über der Thür prangte, in großen goldenen Lettern der Spruch: „Wer viel geliebt hat, dem wird viel vergeben werden.“

Als sie von dem Pilgrim aus Jerusalem hörte, ruhte sie nicht, bis er auch ihre Wohnung mit seiner heiligenden Nähe beglückte. Lange Stunden saß sie zu seinen Füßen und horchte aufmerksam den glühenden Worten, mit denen er die Pracht Palästinas, die grausame Herrschaft der Mohammedaner, die Leiden und Kasteiungen seiner Jugend schilderte. Ihr Glaube blieb nicht unbelohnt. Bald zeigte es sich, daß Abbé Saladin noch mehr der heiligen Schätze besaß. Anfangs wollte er damit nicht recht herausrücken. Als ihm aber Madame Genlis einmal eine mit Gold gefüllte Börse zeigte, die sie für eine echte Reliquie mit Freuden zu opfern bereit sei, wurde sein hartes Herz erweicht. Er nahm ihr das Gelübde der strengsten Verschwiegenheit ab, damit er nicht etwa die Gunst der Madame Bonaparte verliere, die den einzigen Anspruch auf Schätze solcher Art zu haben glaube, und ließ sie dann baldige Erfüllung ihres heißen Wunsches hoffen. – Schon bei seinem nächsten Besuche zog er nach einer auf die Wichtigkeit des Momentes vorbereitenden längeren Rede ein kleines Kästchen vor, öffnete es, griff hinein und brachte ein Saffianetui zum Vorschein, das er erst selber küßte und dann Madame Gellis zum Kusse darreichte. Dann hieß er sie niederknieen, kniete selbst und öffnete das Etui. In einer strahlenden Umfassung edler Steine lag ein gelber, von Caries zerfressener Knochen, der sich nach einer mit vielen Siegeln versehenen Urkunde, die der Abbé nun aus den Falten seines geistlichen Gewandes zog, als der linke Eckzahn des heiligen Matthäus auswies. Er war es, er war es ganz sicher, und damit ja kein Zweifel bestehe, fing er gleich an und wirkte Wunder: Madame Gellis verdoppelte den Inhalt ihrer Börse und reichte sie ohne Zögern dem Abbé hin, der ganz in Andacht versunken mechanisch die Hand ausstreckte und, ohne es gewahr zu werden, die Börse in seine Tasche gleiten ließ. Madame Gellis hatte den linken Eckzahn des heiligen Mathäus mit fünfzig Louisd’or bezahlt.

Zu derselben Zeit vermißte Madame Lätitia mit Schrecken den Zahn des heiligen Jacobus in ihrer Sammlung. Sämmtliches Dienstpersonal mit Ausnahme der frommen Rosina wurde verabschiedet, obgleich die Beichtzettel eines Jeden in der besten Ordnung waren. Der Dieb wurde trotz aller Nachforschungen nicht entdeckt.

Unterdessen war der Schulterknochen des heiligen Johannes immer noch nicht angekommen. Es hatte hierbei offenbar der Fürst der Finsterniß seine Hand im Spiel. Bei der Ueberfahrt nach Italien war das heilige Stück einem mohammedanischen Piraten in die Hände gefallen, der nur gegen dreihundert Louisd’or den heiligen Knochen mit seinem Rachegelüste verschonen zu wollen erklärte. Es war ein wahres Glück, daß der ungläubige Hund den Werth seiner Beute so wenig kannte! Die verlangte Summe wurde dem Abbé Saladin übergeben und ihm beförderlichste Lösung des hohen Gefangenen anbefohlen. Eine solche glaubenseifrige Aufopferung überwindet alle Hindernisse: ein halbes Jahr nach der Ankunft des Abbé Saladin folgte ihm auch der Knochen des heiligen Johannes und wurde mit gebührenden Ehren empfangen. Als er in demüthigem Triumph von vier Abbés in die inneren Zimmer seiner neuen Besitzerin getragen wurde, lag sämmtliche Dienerschaft auf den Knieen. An der Spitze des Zuges schritt stolz, doch mit christlicher Bescheidenheit der Held des Tages, der Abbé Saladin.

Ende Januar wurde auch Madame Gellis um ein neues Stück bereichert. Sie hatte durch Geld mehr als durch gute Worte den Abbé Saladin vermocht, sich von seinem Liebsten zu trennen – von den Hosen des heiligen Sebastian, die er zu mehrerer Stärkung im Glauben, wie er gestand, stets unter seinen Beinkleidern trug. Dem frommen Andringen der verdienten Gläubigen hatte er nicht länger widerstehen können, – das wunderreiche Hosenpaar ward ihr übergeben. Sie hatte sie um die Kleinigkeit von einhundert Louisd’or erworben.

Zwei Tage vorher waren Madame Bonaparte die Hosen des heiligen Mathurin abhanden gekommen. Es erregte dies den gerechten Zorn aller Gläubigen; selbst das Heiligste war nicht mehr sicher. Die ganze Dienerschaft wurde einem scharfen Verhör unterworfen, der ganze Palast von oben bis unten durchsucht. Das war das Unglück der armen Rosina, der Wunderthäterin aus Ajaccio. Ihr Reliquienkästchen wurde entdeckt; die aufgeklebten Namen verriethen nur zu sicher den Ursprung und die Heimath der drei- und viereckigen Tuchfetzen, die man sonst wohl für Abfälle

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_234.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)