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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Sie müssen heirathen,“ sagte Fräulein von Villeneuve lachend, „damit Sie für die Gesellschaft wieder genießbar werden. Jetzt, wo Sie ein gemachter Mann sind, brauchen Sie nur die Hand auszustrecken und es kann Ihnen nicht an den besten Partien fehlen.“

„Wo denken Sie hin, mein Fräulein?“ versetzte Robert verlegen.

„Durch eine Heirath werden Sie zugleich Ihre Position befestigen und mehr Vertrauen einflößen. Ich gestehe Ihnen offen, daß ich mich nur schwer entschließen würde, einem unverheirateten Künstler in seinem Atelier zu sitzen. Schon um mein Portrait, das ich gern von Ihrer Meisterhand meinem Verlobten schenken möchte, zu malen, sollten Sie sich beeilen, meinen wohlgemeinten Rath zu befolgen,“ scherzte die heitere Juliette.

„Und doch,“ versetzte Robert ernst, „könnte ich mich selbst um einen so hohen Preis, den Sie mir in Aussicht stellen, nicht zu einem solchen Schritt entschließen.“

„Ah!“ rief die lebhafte Französin, „das wird ja immer interessanter. Fast vermuthe ich, daß Sie bereits Ihr Herz verloren haben, daß Sie lieben, romantisch, unglücklich lieben.“

Es folgte eine fast peinliche Pause, da Robert nicht jene Leichtigkeit des Geistes besaß, um dem Witz mit Witz zu begegnen. Wie die meisten tiefer angelegten Naturen, litt auch er an einer gewissen Schwerfälligkeit, so daß ihm das rechte Wort zur rechten Zeit gewöhnlich fehlte.

„Ich glaube,“ sagte jetzt die Prinzessin, ihm in seiner Verlegenheit zu Hülfe kommend, „die Gründe unseres Freundes besser zu kennen. Herr Robert ist, wenn ich nicht irre, der Ansicht, daß der Künstler überhaupt sich nicht binden, sondern ausschließlich nur seiner Kunst leben soll.“

„Eine wunderliche Ansicht!“ bemerkte Fräulein von Villeneuve. „Ich begreife nicht, warum der Künstler nicht ebenso gut, wie jeder andere Mensch, heirathen kann.“

„Weil die Kunst,“ versetzte die Prinzessin mit leuchtenden Blicken, „eine Religion, der Künstler ihr Priester ist, weil er im Dienste seiner Gottheit durch kein irdisches Verlangen, durch keine gemeine Sorge, durch kein alltägliches Bedürfniß sich beflecken darf. Er muß sein Herz, die Freuden des Lebens, jede vergängliche Lust zum Opfer bringen, um zum Lohn den Kranz der Unsterblichkeit zu erringen. Der Lorbeer Apollo’s ist unfruchtbar, aber unvergänglich und macht den Göttern gleich. Das mit ihm geschmückte Haupt ist geweiht für ewige Zeiten.“

„Corinna!“ jubelte es in den geheimsten Tiefen des Künstlerherzens, während seine Seele, trunken vor Begeisterung, an den Lippen der Prinzessin hing, die seinen innersten Gedanken die ihm fehlenden Worte lieh.

Die Dazwischenkunft einiger Herren unterbrach die interessante Unterhaltung, oder gab ihr vielmehr eine politische Färbung, da die meisten der anwesenden Napoleoniden und ihre Freunde mehr oder minder an der damals sich vorbereitenden revolutionären Bewegung Italiens den lebhaftesten Antheil nahmen.

Man sprach von der Lage des Landes, von den Aussichten und Hoffnungen der liberalen Partei, von dem letzten mißlungenen Aufstande im Jahre 1820, der durch die Intervention der österreichischen Bajonnete unterdrückt worden war, vor Allem aber über die Stellung Frankreichs, das Land ihrer Sehnsucht, wo die verbannten Napoleoniden noch immer zahlreiche geheime Freunde und ergebene Agenten zählten.

Während die älteren Familienglieder eine gebotene Vorsicht in ihren Reden und Aeußerungen beobachteten, überließ sich das jüngere Geschlecht, besonders der Schwager und Cousin des Prinzen, der durch seine politische Exaltation bekannte Fürst von Canino, den ausschweifendsten Plänen und Aussichten auf den nahen Sturz der Bourbonen und die Beseitigung der päpstlichen Herrschaft.

Seine Aufregung theilte sich sichtlich auch dem stillen und mehr in sich gekehrten Prinzen Napoleon mit, der plötzlich wie verwandelt erschien und mit feuriger Gluth von der nahen Befreiung Italiens, von der Erhebung Frankreichs schwärmte, bis die ihn fast ängstlich beobachtende Gattin durch ein leise zugeflüstertes Wort ihn zu beruhigen suchte, worauf er sogleich verstummte.

Sie selbst benutzte die eingetretene Pause, indem sie an das geöffnete Clavier trat und das berühmte „Stabat“ von Pergolese mit der höchsten künstlerischen[WS 1] Vollendung vortrug, womit es ihr gelang, wie durch ein Wunder den aufgeregten Sturm zu beschwören und eine fast andächtige Stimmung hervorzurufen. Keiner der Anwesenden fühlte sich tiefer ergriffen, als Robert. Neben dem kostbaren Brillant an ihrer Hand, die sie ihm freundlich zum Abschied reichte, glänzte seine Thräne, auf die sie gedankenvoll blickte, nachdem er längst gegangen war.

In gehobener Stimmung saß Robert am nächsten Morgen an seiner Staffelei, ohne erst die Ankunft Teresina’s zu erwarten. Nie war ihm die Arbeit besser von Statten gegangen, nie fühlte er sich heiterer und leichter aufgelegt, als ob seiner Seele über Nacht neue Schwingen gewachsen wären.

Die helle Sonne strahlte in das Atelier und vergoldete das Bild, aber noch heller sah es in seinem Herzen, noch goldener in seinem Innern aus. Wie ein Nachtwandler oft im Traum die schwierigsten Aufgaben spielend löst, vor denen er wachend zurückschrickt, so bewältigte heute der Künstler in seiner glücklichen Stimmung das Schwerste mit bewundernswürdiger Leichtigkeit.

Immer deutlicher und klarer trat auf der Leinwand die Gestalt seiner Corinna hervor, so daß er mit Zufriedenheit auf sein halb vollendetes Werk jetzt blicken durfte, welches dem ihm vorschwebenden Ideale geistiger Größe und dichterischer Inspiration mehr und mehr zu entsprechen schien.

Ganz vertieft in seine Arbeit bemerkte er nicht das Erscheinen Teresina’s, die zur bestimmten Stunde mit leisen Schritten in das Atelier eingetreten war und jetzt erschrocken, mit weit geöffneten Augen und angehaltenem Athem auf das vorgeschrittene Gemälde starrte.

Ein schmerzlicher Seufzer, der sich der gepreßten Brust des jungen Mädchens entrang, weckte Robert aus seinen Träumen.

Jetzt erkannte er sie; das bleiche schöne Gesicht von Thränen überströmt, glich sie dem zu Stein gewordenen Schmerz, einer Marmorstatue der tiefsten Trauer.

„Was fehlt Dir?“ fragte er verwundert über ihr verwandeltes Aussehen.

„O, das ist nicht mein Bild, das sind nicht meine Züge,“ schrie sie von Eifersucht ergriffen, indem sie mit südlicher Heftigkeit auf die Gestalt der halbvollendeten Corinna deutete.

„Du träumst,“ entgegnete der Maler verwirrt. „Wer außer Dir sollte mir gesessen haben?“

„Prinzessin Carlotta, die Ihr liebt,“ versetzte Teresina in wildem Schmerz.

„Unglückliche!“ rief der Maler, wie von einem Blitz getroffen.

Die Binde war von seinen Augen gewaltsam gerissen.

Ein tiefes peinvolles Schweigen folgte der unerwarteten Entdeckung, nur unterbrochen von dem leisen Schluchzen der armen Teresina. Robert sank zusammenbrechend in den nächsten Stuhl und bedeckte mit beiden Händen das blasse, schwermüthige Gesicht; er wollte nicht mehr das verräterische Bild sehen, das ihn an seine geheime Schuld mahnte. Als er endlich wieder aufzublicken wagte, war Teresina verschwunden.

Mit schwankenden Schritten erhob er sich jetzt und trat zögernd, aber entschlossen an seine Staffelei. Ein Strich mit dem Pinsel über das Gemälde und die schöne Gestalt Corinna’s, oder vielmehr der Prinzessin Charlotte war vernichtet; es war ihm, als ob er seine Liebe getödtet hätte.

Aber ihr Bild lebte fort in seinem Herzen – das Bild der Gattin seines besten Freundes!

(Fortsetzung folgt.)




Bilder von der deutschen Landstraße.

3. Leipziger Meßmusikanten im Examen.

Wie die Stadt Leipzig, mit Allem, was darin und daran ist, seit dreißig Jahren eine vollständig veränderte Physiognomie angenommen hat, sind auch die siebenhundertjährigen Träger ihres Handels, die Messen, nicht im Stande gewesen, sich vor dem Einflüsse der fortschreitenden Zeit zu bewahren. Ich spreche hier indeß nicht von diesem Einfluß, soweit er sich auf die eigentlich mercantilischen Verhältnisse selbst geltend gemacht hat, meine Betrachtung gilt vielmehr einzig und allein den Jüngern der Kunst, den rastlosen Vagabunden der Muse, welche sich die Lebensaufgabe gestellt

haben, des Menschen Herz durch die Klänge ihrer Instrumente

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: künstlerschen
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_260.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)