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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

1859 rief ihn die deutsche Creditanstalt in Leipzig in ihr Directorium. In allen diesen Stellungen bewährte sich seine tüchtige Art. Er war ein Kenner der Geschäfte wie Wenige, ein rastloser Arbeiter, ein Disponent vorn weitesten Gesichtskreis. Die Anstalten gediehen unter ihm zusehends, seine Untergebenen blickten zu ihm mit Achtung und Liebe aus. Dasselbe wiederholte sich, als ihn 1862 das Ministerium Roggenbach zur Mitarbeit an der Umgestaltung der Verhältnisse in Baden nach liberalen Grundsätzen einlud. Erst als Director der Hofdomänenkammer, dann als Vorstand des Handelsministeriums that er außerordentlich viel für die Hebung des Landes, welches seiner Umsicht und Thätigkeit namentlich ein Eisenbahn- und Telegraphennetz verdankt, wie es kein anderer deutscher Staat besitzt. Die Sorge für die angefangenen neuen Maschen dieses Netzes vorzüglich war es auch, was ihn, den entschieden national gesinnten Politiker, 1866 abhielt, sofort dem Beispiel Roggenbach’s zu folgen, als dieser vor dem Siege der österreichischen Partei in Baden sein Ministerportefeuille in die Hände des Großherzogs zurückgab. Erst einige Wochen später legte auch Mathy sein Amt nieder.

Der Tag von Königgrätz brachte in Karlsruhe die Rückkehr zu den früheren Grundsätzen und Bestrebungen. Mathy wurde vom Großherzog mit der Bildung eines neuen Cabinets beauftragt. Sofort rief er das badische Contingent von der am Main gegen die Preußen im Felde stehenden Reichsarmee zurück und ordnete an, daß von dem General Manteuffel ein Waffenstillstand begehrt wurde. Dann ging er mit gewohnter Umsicht und Energie an die Neuordnung der durch den Krieg schwer beeinträchtigten badischen Finanzen. Verhältnismäßig günstige Anleihen wurden geschlossen, und rasch führte Baden die von Preußen geforderte Kriegsentschädigung nach Berlin ab. Eine Steuererhöhung, die von den Ständen fast ohne Widerspruch bewilligt wurde, half die erhöhten Ausgaben decken. Eine ganze Anzahl von neuen Einrichtungen wurde vorbereitet, zum Theil durchgeführt, um Baden für den Eintritt in den norddeutschen Bund zu ordnen.

Mit eisernem Fleiß arbeitete Mathy, der jetzt nicht weniger als drei Ministerien zugleich vorstand, nach allen diesen Richtungen hin. Sorgen und Mühen aller Art in seinem Arbeitscabinet, anstrengende Debatten im Plenum und in den Commissionen der Kammer vermochten nicht ihm die Thätigkeit für ein ersehntes Ziel zu verleiden. Aber seine Gesundheit litt darunter. Ein Herzleiden entwickelte sich, welches seinen Tod in nicht langer Zeit zur Folge gehabt haben würde, wenn ihm nicht eine Erkältung, die er sich um Weihnachten zugezogen und die in eine Brustentzündung überging, zuvorgekommen wäre. Schon hoffte man, er werde sich von dem Uebel erholen, als es ihn von Neuem auf das Lager warf, welches in der Nacht vom 3. auf den 4. Februar sein Sterbebett wurde. Er verschied, das brechende Auge auf seine Gattin geheftet, die ihn vom Jahre 1833 an durch das Leben begleitet. Seine Kinder waren ihm vorausgegangen, zwei in zartem Alter, einer als Student fern von den Eltern in Palermo.

Es war das Leben eines bedeutenden Menschen, welches wir hier geschildert haben, das Leben einer glänzenden Ausnahme von der Regel seiner Partei, wenn wir ihn überhaupt den Gothanern beizählen dürfen. Er hat nie mit hohen Augenbrauen herabgesehen auf das niedere Volk, sich nie vom Ehrgeiz allein leiten lassen, nie Vorsicht für das bessere Theil der Tapferkeit betrachtet, wie so viele seiner Parteigenossen. Er war wie nicht wenige derselben ein hochbefähigter, kenntnißreicher, auch in den Gebieten der Kunst und Dichtung heimischer Geist, ein treuer Freund, ein guter Patriot, aber er war vor Allem und in Allem auch ein Mann!

M. B.





Bilder aus dem Berliner Rechtsleben.

Von F. K.


II.

Die große Zahl der Fremden, welche die Sehenswürdigkeiten Berlins aufsuchen, versäumt es durchgehends, sich den Genuß eines Schauspieles zu verschaffen, dem man wohl ein Vormittagsstündchen opfern könnte. Niemandem fällt es ein, die Civilabtheilung des Strafgerichtes zu besuchen, auf welcher ein Leben und Treiben herrscht, das nicht minder charakteristisch und mannigfaltig ist, als der Jahrmarkt einer kleinen Stadt.

Der Leser wird es mir gestatten, bevor ich ihn in das bunte Gewühl selbst einführe, in einigen Zahlenangaben ein Bild von der großartigen Geschäftsthätigkeit dieser Civilabtheilung zu geben. Im vorigen Jahre kamen, in runden Zahlen ausgedrückt, zur Verhandlung: neunzigtausend Bagatellprocesse, zwanzigtausend summarische Processe, dreißigtausend Wechselklagen, siebenhundertundfünfzig Ehescheidungen, vierhundert Concurse und eintausenddreihundert Subhastationen; dreitausendsiebenhundert Firmen wurden eingetragen. Dazu kommen auf die Vormundschaftsabtheilung die Kleinigkeit von vierzigtausend Vormundschaften. Dreihundertzwanzigtausend Executionen wurden vollstreckt, und achthundertfünfzigtausend Gesuche gingen ein. Das Ganze macht etwa dreihunderttausend Termine nöthig, so daß auf jeden richterlichen Beamten durchschnittlich eintausend Termine kamen, und die Zahl der Journalnummern belief sich auf zwei Millionen und einmalhunderttausend. Das sind in der That Verhältnisse, wie man sie ein zweites Mal nicht findet!

Der für Juristen und Nichtjuristen interessanteste Theil sind unstreitig die sogenannten Bagatellcommissionen, die allein eine kleine Welt für sich bilden, in welcher der Beobachter so recht aus dem frischen Volksleben schöpfen kann; hier öffnet sich denen, die an psychologischen Studien Geschmack finden, ein Theater, dessen Genuß durch keine hohen Eintrittspreise verkümmert wird und das dennoch des Belehrenden und Unterhaltenden eine Fülle bringt.

Schlag zehn Uhr ertönt der Aufruf der Parteien, den die Gerichtsdiener mit wichtiger Amtsmiene und der ihnen eigenen Stentorstimme bewerkstelligen; letztere ist aber auch unerläßlich, denn die Parteien, welche soeben in die Terminzimmer strömen, haben schon auf den Corridoren recht wacker gezankt. Wenn man übrigens, um noch eine kleine Einschaltung zu machen, die Richter „Priester der Gerechtigkeit“ zu nennen beliebt, so kann man den Gerichtsdienern ganz wohl den Titel „Küster der Gerechtigkeit“ zubilligen, da sie oft genug eine an des Komische streifende Amtswürde herausbeißen. Ich weiß einen Fall, wo der Gerichtsdiener den in Wechselsachen fast ausnahmelosen Bescheid: „Der Verklagte ist nicht erschienen“, etwa zwanzig bis dreißig Mal mit so gleichförmigem und hohlem Pathos wiederholte, daß es nicht mehr auszuhalten war und der Richter sich einen weniger salbungsvollen Mann ausbitten mußte. –

Doch die Verhandlungen beginnen. Daß es dabei so feierlich zuginge, wie es sonst wohl vor Gericht Brauch ist, könnte ich nicht behaupten; es ist den Berlinern einmal nicht gegeben, mit ihren Gedanken hinter dem Berge zu halten, und noch viel weniger haben sie es gelernt, dieselben bescheiden auszudrücken. Die verschiedensten, oft heillos verschrobenen Rechtsansichten werden mit einer Geläufigkeit und mit einem Vorrathe maliciöser Redensarten vertheidigt, die dem Uneingeweihten Staunen erregen müssen und den Richter oft genug nöthigen, einen der „Krakehler“ „an die Luft setzen“ zu lassen. Und welche Dinge kommen da zum Vorschein!

So war ich höchlich verwundert, beim Aufruf die vornehm klingenden Namen „Baron R. wider v. D.“ zu hören. Es erschienen auch sofort ein Paar ziemlich schäbig aussehender Gesellen und gaben sich als die Gewünschten zu erkennen. Ich bat mir den Termin aus, las die Klageschrift und förderte einen ganz erbaulichen Rechtsfall zu Tage:

„Verklagter v. D.! Weshalb wollen Sie dem Kläger die verlangten fünf Thaler nicht zahlen?“

„Ich hatte zwar den Kläger gegen freie Kost und monatlich fünf Thaler Lohn als Hausknecht angenommen, mußte ihn aber schon nach drei Tagen wegen unziemenden Betragens entlassen.“

„Begründen Sie das näher!“

„Meine Frau nahm den Kläger mit auf den Wochenmarkt, damit er ihr den Korb trage. Dies schien ihm jedoch in keiner Weise recht zu sein; er ließ durch seine zornigen Bewegungen mehrfach Kartoffeln aus dem Korbe fallen, und als ihm meine Frau deshalb einen Verweis ertheilte und ihn aufforderte, dieselben wieder zu suchen, bediente er sich frecher Redensarten.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 265. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_265.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)