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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Ein Geheimbund, wie der der Haberer, der factisch über hundert Jahre besteht, der allen Gesetzen des Rechtsstaates, trotz der eifrigen Forschungen, spottet, der mit blitzartiger Schnelligkeit plötzlich da auftaucht, wo man es am wenigsten vermuthet, sich in die tiefsten Familiengeheimnisse eingeweiht zeigt, sein Rächeramt übt und ebenso rasch und geheimnisvoll wieder verschwindet, mußte von jeher die größte Aufmerksamkeit des denkenden Beobachters erregen, und er hat sie auch sogar im hohen Grade erregt, ohne daß indeß über Wesen und Organisation desselben etwas Authentisches bekannt geworden wäre. Allerdings sind die hingeworfenen Floskeln, Schnurren und offenkundigen Lügen, mit denen unsere Bauern die neugierigen Stadtherren belehrten, vermischt mit den Gebilden einer erhitzten und ungezügelten Phantasie, nachher in Romanen, Reisewerken und Zeitschriften als wundersam funkelnde Märchen und Fabeln erschienen, gleichwie sie über die Gemsen, Sennerinnen und Alpenblumen im Schwange sind. Dadurch wurde der klare Blick des Fernerstehenden getrübt, wurden unrichtige und verschrobene Urtheile erzeugt, wurde der ganze Geheimbund mit einem romantischen Nimbus der Heiligkeit und Unverletzbarkeit seines Rächeramtes umgeben. Aufgeklärt wurde indeß Niemand; wohl aber wurde Jeder, der Gelegenheit hatte, einem solchen Treiben beizuwohnen, argen Täuschungen ausgesetzt.

Der Geheimbund der Haberer entstammt einer Zeit, welche die düstersten Blätter der baierischen Geschichte bildet. Es ist die von Despotismus erfüllte Regierungszeit Karl Theodor’s, dem bekanntlich 1777 Baiern zugefallen war. Manche meinen zwar den Ursprung des Haberfeldtreibens auf die mittelalterliche Vehme zurückführen zu müssen, und die Haberer selbst glauben es, allein wenn sich bei ihnen auch einige Reminiscenzen an dieselbe vorfinden, so ist dies doch kein Beweis für diese Behauptung. Solche Reminiscenzen lebten entweder unter der Bevölkerung noch fort, oder, indem man denselben Zweck verfolgte, ist man auf dieselben Mittel verfallen; – mag dem indeß sein, wie ihm wolle, so viel steht fest, daß vor Karl Theodor’s Zeiten von Niemandem das Haberfeld getrieben wurde.

Leben und Eigenthum, Recht und Freiheit waren damals von der Laune fürstlicher Hetären abhängig. Unzucht, Willkür, Käuflichkeit herrschten in einem Maße, wie sich’s selbst Frankreichs Könige niemals erlaubten. In üppigen Orgien ward der Schweiß des Landes verpraßt, und das Leben eines Jagdhundes galt mehr, denn das Leben eines Unterthans. Wie der Fürst im Großen, so trieb jeder Vogt, jeder Patrimonialrichter dieselbe Wirthschaft im Kleinen und die Geistlichkeit mit den zahlreichen Klöstern half wacker mit. Die Gräuel des Despotismus kannten keine Grenzen, bis sich der gesunde Sinn des Volkes ermannte, das Joch der Gewaltherrschaft abzuschütteln. Er schuf eine Volksjustiz, die in ihrer Spitze vorzugsweise gegen Verbrecher, welche außerhalb des Gesetzes standen, und gegen Verbrechen gerichtet war, die in keinem Strafgesetzbuch vorgesehen waren; er schuf das Habergericht, das sich zur Aufgabe machte, die verletzte Moral zu sühnen, das gebeugte Recht wieder aufzurichten.

Die Haberer, die bei dem Landvolk bald zu großem Ansehen kamen, übten mit patriarchalischer Machtvollkommenheit ihr Rächeramt. Um Mitternacht ward der Verbrecher aus süßem Schlaf geweckt und mußte nun schlaftrunken, halb angekleidet, oft nur im Hemd – ganz so, wie wir es auf unserer vortrefflichen Abbildung sehen – heraus vor den Richterhof. Da halfen keine Schergen, keine Polizei. Knieend wurde ihm unter freiem Himmel beim Klänge der Pauken und Trompeten und unter Betheiligung der ganzen Gemeinde sein Sündenregister vorgehalten und Ermahnungen zur Besserung gegeben. Es kam nicht selten so weit, daß Vögte, Landrichter, Pfarrer und dergleichen sich nach einem Haberfeldtreiben nicht mehr in der Gegend halten konnten und sich versetzen ließen. Dadurch war denn das öffentliche Aergerniß beseitigt und die Haberer hatten ihren Zweck erreicht.

Ein spartanisch strenger Geist herrschte unter ihnen, und mit unverbrüchlicher Treue sind die Geheimnisse desselben bewahrt worden. Wurde durch das „Treiben“ irgend ein Schaden verursacht, wurden Fenster und Thüren zerbrochen, kam Vieh dabei um, so wurde dem Beschädigten auf geheimnißvolle Art stets die volle Vergütung übermittelt. Früher lag das Geld vor der Thür oder es wurde ihnen durch das Fenster geworfen, später durch Post von Salzburg, München etc. zugesandt.

Inzwischen sind die Rechtszustände geordnetere geworden. Baiern hat sich aus einem Willkür- in einen Rechtsstaat verwandelt, dadurch ist aber dem Bunde der Haberfeldtreiber der Boden unter den Füßen weggezogen, ist ihm die innere Nothwendigkeit geraubt worden; er hat hinfort keine Berechtigung mehr zu existiren, und trügen nicht alle Zeichen, so geht er auch mit Riesenschritten seinem nahen Verfalle entgegen. Der alte respectable und achtunggebietende Geist, der früher unter den Haberern herrschte, ist verschwunden, eine den Bund in seinen Grundfesten erschütternde Demoralisation ist eingerissen. Der strenge Rechtssinn, die Verschwiegenheit, welche Torturen aller Art und monatelangen Kerker aushielt, ohne zu wanken, sind dahin.

Wohl schützen die Haberer noch Leben und Eigenthum, aber das ist auch der einzige Punkt, in dem sie ihrer Tradition treu geblieben sind. Während sonst die Verbrecher mitten in der Nacht aus süßer Ruhe aufgestört und knieend ihre Sündenregister vor dem ganzen Volke anhören mußten, wird es ihnen jetzt bequemer gemacht und, gleich als ob die Haberer den Muth nicht hätten, dem Angeklagten Aug’ in Aug’ gegenüberzutreten, lassen sie ihn ruhig fortschlummern, ziehen hinaus vor’s Dorf und lesen dort seine Sünden herab. Es ist etwas Anderes, nach einer gut durchschlafenen Nacht beim Frühstück zu erfahren, daß einem das Haberfeld getrieben worden sei; etwas Anderes, um Mitternacht vor dem versammelten Volke knieend der ganzen Wucht der allgemeinen Verachtung preisgegeben zu werden.

Wie Alles, was sich dem Geiste der Zeit entgegenstemmt, wird auch der Bund der Haberer morsch und faul ohne Axthieb fallen und lautlos untergehen in dem rauschenden Strome der Zeiten. Mit wehmüthigem Schmerz fühlen bereits ältere Leute im Gau das baldige Ende der Haberer herannahen. „Die Zeiten des letzten Haberers,“ sagte mir ein alter Graukopf bei Miesbach, „sind nicht mehr fern, und bei den kommenden Geschlechtern wird der Geheimbund gleich alten, längst verklungenen Sagen nur manchmal in den Erzählungen der Greise und Matronen an ihre Enkel gespensterhaft wieder auftauchen, und erschreckt und kopfschüttelnd werden diese zuhören und werden froh sein, daß sie vorbei ist, längst vorbei – ,die gute alte Zeit’.“



Im Hause der Bonaparte.

Historische Erzählung von Max Ring.
(Fortsetzung.)

Während Hortense sprach, beobachtete Louis ein tiefes, ehrfurchtsvolles Stillschweigen; eine tiefe Bewegung zuckte durch das sonst so starre Gesicht und die innigste kindliche Liebe sprach aus seinen gewöhnlich glanzlosen Augen. Erschüttert beugte er sich auf ihre weiße, abgezehrte Hand, auf die er voll Pietät seine stummen Lippen drückte mit niedergeschlagenen Blicken, als wagte er nicht, ihr in das forschende, von mütterlicher Sorge erfüllte Antlitz zu sehen.

Als die Verwandten gegangen waren, blieben Hortense und ihr Lieblingssohn noch wach im lebhaften Gespräch. Wohl zitterte auf seinen Lippen das Geständniß seiner Schuld, aber der abgelegte Schwur verschloß sie wieder, selbst wenn er den Muth gehabt hätte, die zärtlich geliebte Mutter durch ein solches Bekenntniß zu betrüben. Als er erst spät nach Mitternacht zu Bett ging, träumte er von blutigen Kämpfen, von dunklen Kerkern, von einer Kaiserkrone und von seiner – Mutter. Noch schlief er, als Hortense durch ein ungestümes Klopfen an ihrer Thür geweckt wurde. Nachdem sie mit Hülfe ihrer ergebenen Kammerfrau sich angekleidet hatte, befahl sie zu öffnen.

„Was giebt es?“ fragte sie den bestürzten Diener.

„Der ganze Platz ist von Bewaffneten umstellt. Päpstliche Truppen, an deren Spitze ein Officier steht, begehren Einlaß und wollen die Herzogin von St. Leu sprechen.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_318.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)