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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Hand in Hand auf dem Sopha, damit beschäftigt, einen ganzen Berg von glückwünschenden Briefen zu öffnen, der sich im Laufe des Tages angesammelt hatte. Es ist nicht zu leugnen, daß es viele Korrespondenzen giebt, die inhaltsreicher und mannigfaltiger sind; aber ebenso ist es Erfahrungssache, daß wenige Briefe von den Empfängern mit größerer Befriedigung gelesen werden.

Plötzlich zog Cornelie einen Brief aus der Menge hervor, der sehr von den anderen abstach. „Sieh nur, Gabriel,“ sagte sie, „da ist ein Bettelbrief, der die gute Gelegenheit benutzt hat, sich hier einzuschmuggeln, weil man weiß, daß zwei glückliche Menschen keine Bitte abschlagen können. ,An das hochedelgeborene Fräulein Cornelie –’ eine Hand, die mir ganz unbekannt ist, und die wohl schwerlich mehr als zwei Briefe im ganzen Jahre schreibt.“

Sie hielt ihrem Verlobten lachend den Brief hin, ohne es zu beachten, daß er in ihre Heiterkeit nicht einstimmte, sondern nach einem flüchtigen Blick auf die Schrift aufstand, als sei ihm plötzlich zu warm geworden. Und freilich konnte ihm diese Handschrift das Blut nach dem Kopfe treiben. Denn seit jenem unseligen Tage, wo er sie zum ersten Male gesehen, war sie ihm ganz aus den Augen gekommen. Er hatte zwar pünktlich am Tage nach dem Wiedersehen mit dem guten Mädchen ihr einen langen, gar herzlichen Brief geschrieben. Als der aber ohne Antwort blieb, hatte sich seine brüderliche Liebe dabei beruhigt, das brave Kind sei ja gut aufgehoben und werde ihn nicht weiter vermissen, da sie nicht einmal antworte. Auch nahm ihn seine alte Flamme so ausschließlich in Beschlag, erst die Zeit ihrer Genesung, hernach das Glück des Sichwiederfindens nach aller Gefahr des Verlierens, daß er nicht dazu kam, wie er vorhatte, selbst nachzusehen, wie die Traud lebe und ob er ihr irgend hülfreich sein könne. Er stand jetzt am Flügel und sah in großer Verwirrung in den Abendhimmel.

„Höre nur, Gabriel, das ist allerliebst,“ sagte jetzt Cornelie, die den Brief überflogen hatte, „Du mußt nämlich wissen, gerade wie ich krank war, kam ein neues Mädchen in’s Haus, in das ich mich, so übel mir zu Muth war, gleich in der ersten Stunde verliebte; das flinkste, bescheidenste, reizendste Landkind, das mir je vorgekommen, und um mich bemüht wie eine Milchschwester. Ich hätte sie nimmermehr fortgelassen und es sogar darauf gewagt, daß sie auch Dir gefährlich werden möchte. Aber das wunderliche Ding, plötzlich kam sie und bat, nach Hause reisen zu dürfen zu ihrer Mutter, nur auf ein paar Tage. Wir schlugen es ihr nicht ab, gerade weil sie uns so lieb war, aber statt daß sie Wort gehalten hätte, kam ihre Pathe, die Frau eines hiesigen Weinwirths, und entschuldigte sie, die Mutter lasse sie nicht wieder in die Stadt, und wir konnten nicht recht dahinter kommen, was sie so plötzlich fortgetrieben. Nun merk’ ich’s wohl, obgleich sie es nicht eingesteht, es steckt eine alte Liebe dahinter. Höre nur, was sie schreibt:

,Liebes gnädig Fräulein!’ – die Orthographie ist nicht ihre starke Seite – ,ich hab’ in der Zeitung gelesen, daß Sie sich verlobt haben, und weil Sie so gut zu mir gewesen und ich auch nur ungern von Ihnen gegangen bin, nun so hab’ ich gedacht, gnädig Fräulein werden es nicht übel nehmen, wenn ich schreib’ und meine unterthänig herzlichsten Glückwünsch’ und daß Sie mit Ihrem Herrn Bräutigam recht viel Glück und Segen vom Himmel beschert bekommen, Ihnen wünsch’. Ich hör’ ja, der Herr Bräutigam soll ein so braver und auch recht studirter Herr sein und Sie sollen ihn schon lange kennen. Nun, das ist ja wohl das Beste; und wenn man sich lange kennt, kann man sich besser ineinander schicken. Und so muß ich gnädig Fräulein auch erzählen, daß ich mich am heiligen Dreikönigstag verheirathen werd’ mit Einem, den ich auch schon lang kenne, der nämlich schon eine Frau gehabt hat, und sie ist ihm gleich wieder gestorben, und das arme Würmle, das sie ihm geboren, hat nun keine Mutter, und weil wir uns früher gut gewesen sind und er die Andere, die Geld hatte, nur seinem Vater zu Lieb’ genommen hat, hat er mich gefragt, ob ich noch jetzt ihn haben wollt’, und ich hab’ Ja gesagt, denn er hat sein gutes Auskommen und alte Liebe rostet nicht, und auch das herzig klein Würmle hat mich gedauert, das ein Jahr alt ist und den ganzen Kopf voll blonder Härchen hat und heißt Franz. Nun leben Sie recht wohl, und auch meine Mutter empfiehlt sich Ihnen, und daß ich damals weggeblieben bin, wahrhaftig, es ist mir hart angekommen, es ging aber nicht anders. Und denken Sie manchmal an Ihre, die Sie nie vergessen wird,

ergebene Dienerin               
Gertraud Wendelin.

Ns. An Ihren Herrn Bräutigam unbekannt mich zu empfehlen, bitt’ ich Sie auch noch, wenn Sie’s nicht für allzu dreist halten.’“

Das schöne Mädchen hatte den Brief wieder zusammengefaltet und schien zu warten, was ihr Geliebter dazu sagen würde.

„Nun?“ fragte sie endlich. „Du scheinst wenig Interesse für meine kleine Pflegerin zu haben. Wenn Du sie nur gesehen hättest! Schreiben ist eben nicht ihr Talent. Sie ist ein rechtes Naturkind.“

„Cornelie,“ sagte er, und wandte sich jetzt zu ihr um, „dieses Naturkind hat Dich angeführt. Sie ist feiner und diplomatischer, als Du denkst.“

„Wie das, Gabriel?“

„Sie läßt mich unbekannter Weise grüßen, die kleine Heuchlerin? Und wir sind uns doch nur zu gut bekannt! Aber auch das macht ihr alle Ehre, und wenn ihr Briefstil nicht der glänzendste ist: was sie sagen und was verschweigen muß, weiß sie ganz genau. Komm, geliebtes Herz! Es ist hier gerade dunkel genug, daß ich Dir beichten kann, ohne mein schamrothes Gesicht dabei sehen zu lassen.“

Er setzte sich zu ihr, zog sie fest an sich und drückte ihren Kopf an seine Schulter, daß sie ihm nicht in die Augen sehen sollte.

So erzählte er ihr Alles.

Ob sie dem Sünder eine strenge Buße auferlegte, davon ist uns nichts bekannt. Wir wissen nur, daß drei Tage später eine große Kiste mit den mannigfaltigsten Hochzeitsgeschenken, wie sie auf’s Land passen, an die Adresse der glücklichen Braut abging, und obenauf in einem Schächtelchen lagen zwei Briefe voll herzlicher Grüße und Wünsche und in einem zarten Seidenpapier zwei Ringe, einer von Cornelie, den sie selbst früher getragen, zum Andenken, daneben ein unscheinbarer schmaler Goldreif mit kleinen Granaten, und ein Zettel dabei: „Meinem lieben Schwesterchen ihr brüderlich gesinnter Freund Gabriel“.





Ein neuer Bühnendichter.

Die meisten unserer Leser werden bereits aus den Zeitungen von einem neuen Trauerspiel „Phädra“ erfahren haben, das kürzlich im Berliner Schauspielhause unter der gespanntesten und theilnahmvollsten Aufmerksamkeit eines zahlreichen Publicums über die Bühne gegangen ist. Die Kritik der Hauptstadt sprach sich fast durchgängig in anerkennendster Weise über die neue Schöpfung aus. Sie machte diesen und jenen Einwand in Betreff des antiken Stoffes und der Composition, aber sie hob zugleich in voller Uebereinstimmung mit dem Urtheil des Publicums hervor, daß eine so melodische Anmuth der Sprache, ein so macht- und gedankenvoller Schwung der Diction, daß eine so durchgebildete Reife und Tiefe edelster Anschauung und Gestaltung, wie sie dieses Werk bekunde, nicht das Product eines Neulings und Dilettanten, nicht die Leistung eines alltäglichen Talentes sei.

Der Verfasser war auf dem Zettel nicht genannt, aber die gebildeten Kreise Berlins waren nicht überrascht, als man sich erzählte, daß es der – Prinz Georg von Preußen sei. Wußten sie doch längst von dem ausdauernden Ernste und der schöpferischen Innigkeit des Bundes, den dieses jüngere Mitglied des königlichen Hauses seit seinem zartesten Lebensalter mit den Künsten und Wissenschaften geschlossen hat. Im Uebrigen war „Phädra“ nicht zum ersten Male auf einem Theater erschienen, schon vor einigen Jahren ist vielmehr die Tragödie unter der Leitung von Gustav von Puttlitz wiederholt in Schwerin aufgeführt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_340.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)