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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Verbrennen dieser Stoffe nothwendige Luft, was der Fall ist, wenn die Ofenklappe geschlossen oder der Ofen oder Schornstein verrußt ist, so füllt sich zunächst der Ofen mit den theils vollständig, theils unvollständig erfolgten Verbrennungsproducten, dem das Kohlenoxyd enthaltenden Kohlendunste, der dann aus den Oeffnungen des Ofens in die Umgebung dringt. Der Kohlendunst ist also das Erzeugniß einer unvollkommenen Verbrennung. Ueberall da, wo diese vor sich geht, ist die Quelle des Kohlendunstes zu suchen. Bei den Kohlenbecken, die so gerne zur Heizung großer Räume oder zum Austrocknen von neuem Mauerwerke angewendet werden, beim Verkohlen von Dielen, Möbeln oder Kleidungsstücken, beim Glimmen von Dochten oder von Papier und anderen Körpern bilden sich Gase, welche man mit dem Namen „Kohlendunst“ oder „Kohlendampf“ bezeichnet. Wie er aber auch entstanden sein mag, Belege von seiner vernichtenden Wirkung können wir bei allen Arten beibringen. Mehr vereinzelt sind die Fälle der Vergiftung bei dem auf die zuletzt angegebene Weise entstandenen Kohlendunste; daß aber selbst der Rauch eines ausgelöschten Talglichtes oder einer Lampe tödtlich wirken kann, mag folgender Fall lehren.

Am 12. Mai 1650 feierten die Schmiede in Leipzig ihr sogenanntes Quartal. In demselben Raume war ein Kind von zwölf Jahren aus Müdigkeit eingeschlafen. Aus reinem Muthwillen hielt man dem Kinde ein halbverlöschtes Licht unter die Nase; es erwachte, schlief jedoch bald wieder ein, worauf die Schmiede ihre Spielerei mit dem Kinde eine halbe Stunde lang fortsetzten. Kurz darauf bekam das Kind Athemnoth und starb endlich nach drei Tagen.

Die chemische Analyse giebt uns Aufklärung über die Stoffe, welche in dem Kohlendunste enthalten sind, von denen uns besonders diejenigen interessiren, auf welchen die Wirkung des Kohlendunstes beruht. Im Durchschnitt kann man annehmen, daß derselbe vierundzwanzig Procent Kohlensäure, zwei und einen halben Procent Kohlenoxydgas und geringe Mengen von Kohlenwasserstoff enthält. Der gefährlichste dieser Stoffe ist das Kohlenoxydgas, welches zwar in geringerer Menge als die Kohlensäure in dem Kohlendunste vorhanden ist, jedoch bei den Vergiftungen die wesentlichere Rolle spielt. Am leichtesten erhält man es aus der Oxalsäure, welche zu diesem Ende für sich oder mit Schwefelsäure erwärmt werden muß. Neben dem Kohlenoxydgase bildet sich hierbei Kohlensäure, welche man entfernt, indem man Kohlenoxydgas und Kohlensäure durch Kalkwasser oder Kalilauge leitet. Von diesen Körpern wird die Kohlensäure aufgenommen, während das Kohlenoxydgas in mit Wasser angefüllten gläsernen Cylindern aufgefangen werden kann.

Das so erhaltene reine Kohlenoxydgas hat weder Farbe, noch Geruch, noch Geschmack; es ist etwas leichter als die atmosphärische Luft und brennt mit blaßblauer Farbe. Die blauen Flämmchen des Kohlenfeuers sind brennendes Kohlenoxydgas. Thiere, in dies Gas gebracht, sterben fast augenblicklich; sie sterben sogar schnell, wenn man sie in eine Luft bringt, die nur einige Procente des Kohlenoxydgases enthält. Ist in der Athmungsluft nur ein halbes Procent Kohlenoxyd vorhanden, so stellt sich bei den Thieren schon nach wenigen Athemzügen ein ängstliches Benehmen und schnelleres Athmen ein. Nach einem kurzen Zeitraum der Beruhigung folgt eine reichliche Absonderung der Thränenflüssigkeit, des Nasenschleims und des Speichels; willkürliche Bewegungen hören auf. Das Thier schwankt, taumelt und sinkt um, häufig unter Krämpfen. Die Athemzüge werden tiefer und langsamer, dann unregelmäßig, bis sie ganz aufhören. Athmen Menschen das Kohlenoxydgas ein, so fangen sie zunächst wie Betrunkene an zu schwanken, und stürzen dann meist unter Zuckungen besinnungslos zu Boden.

Die Wirkung des Kohlendunstes auf den Menschen ist eine ähnliche; natürlich treten die Erscheinungen langsamer ein, da das Kohlenoxydgas meist nur in geringen Mengen in der Athmungsluft enthalten ist. Zuerst stellt sich schnell sehr heftig werdender Kopfschmerz ein, dann Schwindel, Schläfrigkeit, Umnebelung und Abstumpfung der Sinnesthätigkeit, bis schließlich vollständige Besinnungslosigkeit eintritt. Der Taumel, in dem die Vergifteten sich befinden, ist so groß, daß sie, wenn sie auch aus diesem erwachen, doch nicht die Kraft besitzen, den gefährlichen Ort zu verlassen. Doch sind die Erscheinungen nicht gleichmäßig; oft schwindet das Bewußtsein ganz plötzlich, mitunter stellt sich Uebelkeit und Erbrechen ein, dem ein Gefühl von Ohnmacht oder Schläfrigkeit folgt. Auch kommen in dem Zustande der Betäubung häufig krampfhafte Zuckungen vor und auf dem gedunsenen Gesichte zeigen sich violette oder hochrothe Flecken. Verläuft die Vergiftung tödtlich, so erfolgt der Tod meist ruhig und immer ohne vorherige Wiederkehr des Bewußtseins. Bei nicht tödtlichem Ausgange bleiben oft ganze Theile des Körpers auf Lebenszeit gelähmt.

Wir erkennen aus den Erscheinungen, welche die Vergiftung begleiten, daß der Kohlendunst einer der gefährlichsten Feinde des thierischen Lebens ist. Gewöhnlich geht dieser heimtückische Geist des Nachts an seine Verderben bringende Arbeit; ohne sich durch ein Geräusch oder durch den Geruch zu verrathen, ohne irgend ein warnendes Zeichen für die nahende Gefahr zu geben, zieht er ein in den Körper:

„Dem Menschen tausendfältige Gefahr
Von allen Enden her bereitend.“

Den guten Geist des Blutes, den Sauerstoff, überwältigend, verdrängt er ihn aus dem Blute – ganz allmählich bis zur völligen Vernichtung aller Lebensgeister.

Tausende von Menschen haben ihr Leben eingebüßt, weil sie die Macht des heimtückischen Feindes unterschätzten, oder weil sie es nicht der Mühe werth hielten, ihn seinem Wesen nach kennen zu lernen. Wohl warnt die Polizei vor ihm: „Hütet euch, daß er euch nicht umbringe.“ Was aber helfen solche Warnungen, wenn sie nicht beachtet, ja nicht einmal gelesen werden? Wir könnten in Hunderten von Fällen das entsetzliche Elend schildern, das aus reiner Nachlässigkeit über ganze Familien hereingebrochen. Ein Blick in die Zeitungen genügt, uns zu überzeugen, daß hier zwei Kinder, dort eine ganze Familie, dort eine Anzahl Soldaten in ihren Wohnungen vergiftet gefunden worden. In den Berichten über den Volksgesundheitszustand im russischen Kaiserreiche für das Jahr 1856 heißt es: „unter den verschiedenen Arten von Vergiftung war die durch Kohlendunst am häufigsten“. Statistische Angaben über die Anzahl der jährlich vorkommenden Vergiftungsfälle sind unseres Wissens leider nirgends zu finden; dieselben würden aber in mancher Hinsicht von so großem Werthe sein, daß die Statistik verpflichtet wäre, nicht länger damit zu zögern. In Preußen sind die Aerzte unseres Wissens nur dann verpflichtet, der Behörde von einer Kohlendunstvergiftung Anzeige zu machen, wenn dieselbe einen tödtlichen Verlauf genommen. Wie bei der Cholera müßte diese Verpflichtung der Aerzte auf alle, auch die leichteren Fälle ausgedehnt werden. Durch eine Zusammenstellung aller in den beiden Jahren bei der Polizei angemeldeten Vergiftungsfälle in Berlin fanden wir, daß im Jahre 1857 neunzehn, im Jahre 1867 zweiundsechszig Personen durch Kohlendunst vergiftet worden sind. Mit Ausnahme einiger Fälle lauten fast alle Berichte übereinstimmend über die Ursache: „Der Ofen war mit Steinkohlen geheizt und die Ofenklappe zu zeitig geschlossen.“

Die Anzahl der Kohlendunstvergiftungen hat sich, wie der Vergleich der beiden Jahre in Berlin ergiebt, in erheblicher Weise gesteigert; doch nicht Berlin allein, das ganze nördliche Europa krankt mehr an diesem Uebel, seitdem die Steinkohle in den Haushaltungen zum Heizen eine ausgedehntere Anwendung gefunden. Daß diese die Quelle des Kohlendunstes nicht allein bildet, haben wir oben schon erörtert: jedes Brennmaterial erzeugt, bei mangelhaftem Luftzuge verbrannt, Kohlendunst, so daß, wird die Ofenklappe bei Holzfeuerung zu früh geschlossen, ebenso gefährliche Wirkungen entstehen können und häufig auch erfolgen.

Holz, Torf, Braunkohlen etc. verbrennen aber in viel kürzerer Zeit, als die Steinkohlen. In der Asche der letzteren kann man häufig noch nach vielen Stunden glühende Kohlen entdecken, besonders dann, wenn der Schornstein verrußt ist oder Witterungsursachen störend einwirken.

Viele, die Gefahr nicht kennend, schließen die Ofenklappe, auch wenn noch glimmende Kohlen vorhanden sind. Eine besonders die deutsche Hausfrau auszeichnende Tugend, die Sparsamkeit, ist oft die Veranlassung, daß durch das „rechtzeitige“ Schließen der Ofenklappe, welches meist ohne Kenntniß der Gefahr mit peinlichster Gewissenhaftigkeit geschieht, der vernichtende Geist der Kohle heraufbeschworen wird.

Wenn ein Mensch von ihm trunken oder besinnungslos gemacht ist, so sorge man vor allen Dingen dadurch für frische Luft, daß mau ihn in ein anderes Zimmer bringt oder durch Oeffnen von Fenstern und Thüren einen Luftstrom erzeugt. Die eng anliegenden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_343.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)