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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

mögen, daß sie vielmehr kräftig weiter gedeihen, damit einst Serbien ebenbürtig eintrete in die Reihe der weiter vorgeschrittenen abendländischen Staaten. Noch steht dort Alles in den Anfängen, noch ist dort viel zu thun, aber an Vorbildern fehlt es nicht. Serbien möge auch seinem eigenen Genius vertrauen und nicht im panslavistischen Nivelliren seine Zukunft suchen. Ein Anschluß an das halbasiatische Rußland bedeutet keineswegs den Fortschritt.

Anlaß zu obigen Zeilen bot uns ein soeben erschienenes Werk, das der deutschen Literatur zur Zierde gereicht und in so umfassender Weise, wie es bisher noch niemals geschehen, uns mit dem südslavischen Zukunftsstaate bekannt macht. Wir meinen: Serbien. Historisch ethnographische Reisestudien aus den Jahren 1859-1868 von F. Kanitz. (Leipzig, Verlag von H. Fries.) Zehn Jahre lang hat der Verfasser das Land durchwandert, kein wichtiger Punkt blieb von ihm unbesucht, er beschrieb die römischen Alterthümer, lauschte den Sagen und Gesängen des Volks und studirte dessen gesellschaftliche und politische Zustände. Die Frucht seiner Studien, ein umfangreiches, prächtig ausgestattetes Werk, liegt nun vor uns – es ist gleich anziehend für den Gelehrten wie den Laien und dient dazu, unsere bezüglich Serbiens wesentlich befangene und unvollkommene Kenntniß gründlich zu reformiren. Auch die charakteristischen Zeichnungen, von denen wir zwei mitzutheilen im Stande sind, rühren vom Verfasser her, bei dem Kunst und Wissenschaft sich die Hand reichten, um das schöne Werk zu schaffen.




Skizzen aus dem Zollparlament.

2.0 Süddeutsche Charakterköpfe.
Die Parteistellung. – Volk. – Fürst v. Hohenlohe-Schillingsfürst. - v. Thüngen. – v. Schrenck und v. Neumayr. – v. Aretin. – Militärprediger Lukas.


Wenn die Leser der Gartenlaube bei diesen Zeilen verweilen, ist die große Versammlung, in deren Mitte sie geführt werden sollen, geschlossen. Wie der Erfolg derselben auch gewesen sein möge, immer werden die hervorragendsten der Volksvertreter die Theilnahme des deutschen Volks auf längere Dauer sich erworben haben, denn wenn irgend wer den Beruf hat, auf den Gang der Geschicke seines Vaterlandes ernsten Einfluß zu üben, so sind es die erwählten Abgeordneten des Volkes. Das erste deutsche Zollparlament bestand zu drei Viertheilen aus Mitgliedern des Norddeutschen Reichstags. Nur siebenundachtzig Abgeordnete hat der Süden Deutschlands gewählt. Im Reichstag haben die Kämpfe um hohe constitutionelle Fragen erwiesen, daß die fortschrittlichen Fractionen nur über wenig Stimmen mehr gebieten, als die conservativen Parteien des Hauses. So mußte im Zollparlament Denjenigen der Sieg zufallen, für die sich die Mehrheit der süddeutschen Abgeordneten entschied, vorausgesetzt, daß die Parteien des Parlaments nach derselben Richtung sich sonderten und stimmten, wie im Reichstage. Dies war aber keineswegs immer der Fall. Eine durchaus andere Coalition zeigten die Debatten über die deutsche Frage, eine andere die Verhandlungen über die großen wirthschaftlichen Gesetzentwürfe, über die das Zollparlament zu entscheiden hatte. Bündnisse von heut auf morgen wurden geschlossen und lösten sich. Die Parteien lebten so zu sagen von der Hand in den Mund. Kein Wunder, wenn sich preußische Hochtories, gemäßigte Conservative, Nationale, Fortschrittsleute, Radicale, Ultramontane, Bairisch-Conservative, Schutzzöllner, Freihändler, und zwar verschämte und unverzagte, Tabakbauer, Weinhändler, Hochöfenbesitzer und Flachsspinner in einem Hause und in einem Beschlusse zusammenfinden mußten.

Indessen, wie immer die Majorität sich neigen mochte, immer war die Majorität der Süddeutschen eine sehr ansehnliche Stimmenzahl, häufig entscheidend. Schon aus diesem Grunde verdienen sie besondere Beachtung. Daß wir sie allein den Lesern vorführen, hat darin seine Rechtfertigung, daß die Mitglieder des Norddeutschen Reichstags den Stammgästen der Gartenlaube längst bekannt sind. Ist aber ein vergleichender Blick gestattet auf die Abgeordneten Norddeutschlands im Vergleich zu Denen, die der Süden nach Berlin sandte, so geht unser Urtheil dahin: Der Süden hat mehr Originalcharaktere gewählt, als der Norden, Redner von außerordentlicher Begabung, mehr Feuer, mehr zündende Beredsamkeit, als sie in den Räumen des Reichstags in der Regel gehört wird, mehr Köpfe, die sich äußerlich und geistig betrachtet durch ihre hervorragende Eigenthümlichkeit dem Beobachter unverlöschlich einprägen, sehr viel heißblütige Naturen, die auch bei weißen Haaren das südliche Temperament bewahrt haben, die in den ruhigen Stunden, wo sie lediglich als Zuhörer der Debatte folgen, so viel Bewegung in Miene und Blick zeigen, wie die lebhaftesten Redner Norddeutschlands auf der Tribüne. Die meisten Süddeutschen haben wir in den Sitzungen aufgeregt gesehen, – gewiß nicht ihrer Natur und Gewohnheit nach, wohl aber deshalb, weil die trennende Frage, die unter der harmlosen Tagesordnung von Weinzoll, Roheisen oder Petroleumsteuer schlummerte, die deutsche Frage, urplötzlich, jeden Augenblick in hoher Lohe hervorzuschießen drohte und dann allerdings auch ein norddeutsches Gemüth in Schwingung versetzte. Indessen auch solche Männer hat der Süden gesandt, aus Regierungskreisen und aus dem Volke, die über ein Antlitz voll Ruhe und Kälte, über eine Rede voll Klarheit und staatsmännischer Feinheit ebensowohl zu verfügen hatten, als über die Gewalten eines tieferregten Gemüths und Herzens. Zu ihnen zähle ich vor Allen den wackern Völk aus Baiern. Im Ganzen kann gesagt werden, daß die Intelligenz, das Wissen, die Beredsamkeit, die der Süden gestellt hat, sich mit denen des Nordens ruhig messen können. Das Einzige, was der Norden voraus hat, und namentlich die Abgeordneten aus Preußen, ist die langjährige parlamentarische Erfahrung in einem großen Staate, die völlige Vertrautheit mit der schlechten Geschäftsordnung, die Gewohnheit, in allen parlamentarischen Fragen Fühlung zu suchen mit verwandten Seelen, die Stimmung der leitenden Mächte zu erforschen, die Taktik der Debatten, z. B. die Auswahl der Redner, die Reihenfolge der Anträge etc. in Scene zu setzen. Indessen auch diese Künste können gelernt werden.

Wohl ziemt es, die Charakterbilder der Abgeordneten aus Süddeutschland zu eröffnen mit dem Fürsten v. Hohenlohe-Schillingsfürst. Er verdient diese Auszeichnung nicht nur als erster Vicepräsident des Zollparlaments, sondern hauptsächlich deshalb, weil er in seiner Stellung als bairischer Ministerpräsident die ungetheilte herzliche Verehrung jedes freidenkenden Deutschen in reichem Maße für sich beanspruchen darf. Noch niemals wohl hat ein bairischer Minister das erste Portefeuille in schwierigerer Lage übernommen, als Fürst Hohenlohe mit dem Neujahrstag 1867. So oftmals früher vollzog sich ein Ministerwechsel in Baiern lediglich aus jener gemüthlichen Liebe zur Abwechselung in den Personen der nächsten Umgebung des Herrschers, die bei dem halbpatriarchalischen Verhältniß der Krone zum Volke Niemand wunderbar oder bestürzend gefunden, Niemand verlangt hatte. So sahen wir längere Jahre hindurch die Herren v. d. Pfordten und v. Schrenck sich abwechselnd ablösen auf dem Posten des bairischen Bundestagsgesandten in Frankfurt und dem des bairischen Ministerpräsidenten in München. Aber eine tiefe fundamentale Aenderung der bairischen Politik, nicht bloßen Personenwechsel, bedeutete der Antritt des Fürsten Hohenlohe. Wie sein Vorgänger v. d. Pfordten ist auch Hohenlohe nicht bairischer Geburt; Baiern und Oesterreich lieben es, seit Jahrhunderten ihre staatsleitenden Stellen an Männer aus dem „Reiche“, am liebsten an die Söhne des altreichsfreiherrlichen Adels zu vergeben. Hier aber trat ein Mann ein, dessen fürstliches Blut ihn nicht gehindert hatte, ernsten Studien obzuliegen, von der untersten Staffel an die wunderbare Ordnung und Tüchtigkeit der preußischen Staatsverwaltung kennen zu lernen. Er hatte auf den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_367.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)