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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Tropfen aus dem Quell Ihrer Liebe ihn für immer retten kann? Soll der große Künstler in langsamen Qualen hinsterben, wenn Sie nur die Hand auszustrecken brauchen, um ihn der Welt, dem Leben und seiner Kunst zu erhalten? Was kümmert Sie die Meinung der Welt, selbst der Zorn Ihrer Familie, wenn das eigene Herz Sie frei spricht? Wenn Sie sich aber noch länger besinnen, aus irdischer Rücksicht zögern, so ist Robert für immer verloren. Zeigen Sie, daß Sie seiner würdig sind, daß Sie hoch genug stehen, um all’ den ärmlichen Tand zu verachten, daß nicht nur Ihr Name, sondern auch ihr Herz von Adel ist.“

Mit steigender Bewunderung blickte die Prinzessin auf die Nonne, welche mit gerötheten Wangen und überirdisch strahlenden Augen vor ihr stand, hingerissen von ihrer Begeisterung, gleich einer gottgeweihten Seherin. Das war nicht mehr das schlichte Mädchen von Sonnino, nicht mehr das arme Kind der Berge, sondern die Priesterin der reinsten Liebe, vom Hauche Gott’s, von heiliger Inspiration erfüllt.

Vor der Tochter des Volkes beugte sich die Tochter des Fürstenhauses, besiegt durch die Größe dieses einfältigen und doch so erhabenen Herzens, vor dem aller Geist, alle Bildung, jedes Vorurtheil und aller Standesunterschied wie Schatten vor dem siegenden Sonnenlicht erbleichen mußten.

„Ich werde ihn retten,“ flüsterte die Prinzessin, indem sie ihre Hand zur Bekräftigung der neuen Freundin reichte.

Seit diesem Tage war die Nonne die Vertraute ihrer Liebe, ihre Rathgeberin, ihre einzige Stütze in dem schweren Kampfe des Herzens mit der Welt, der Neigung mit dem Vorurtheil. Durch Teresina wurde das zerrissene Bündniß wieder angeknüpft, erfuhr Robert, daß er nicht vergessen war, daß die Prinzessin ihn liebte und sich entschlossen hatte, ihm jedes, selbst das größte Opfer zu bringen, daß sie nur noch zögerte, weil die kindliche Pflicht sie an dem Krankenbett der Mutter festhielt.

Das war das Wunder, welches Robert so gänzlich umgewandelt hatte, das Geheimniß, das er selbst vor seinem Bruder so sorgfältig bewahrte. Deshalb stahl er sich heimlich aus seinem Atelier nach dem Kloster der barmherzigen Schwestern in Venedig, wartete er mit steigender Ungeduld auf Nachrichten von Schwester Teresa und auf ihre Wiederkehr.

Unterdeß schlichen Tage und Wochen für die Liebenden in verzehrender Sehnsucht hin, da der Zustand der Gräfin sich in der letzten Zeit trotz der sorgfältigsten Pflege so sehr verschlimmert hatte, daß nach der Aussage der hinzugezogenen Aerzte ihr Leben in Gefahr schwebte.

Gerührt von der aufopfernden Pflege der Prinzessin, welche nicht von ihrer Seite wich, schien sich die Kranke nur noch ausschließlich mit dem Schicksal ihrer zurückbleibenden Tochter zu beschäftigen, deren geheime Neigung sie von früher kannte, deren gegenwärtigen Kummer sie zu ahnen schien.

„Charlotte,“ sagte die besorgte Mutter, „ich habe Schwester Teresa ersucht, uns auf einige Zeit allein zu lassen, weil ich mit Dir vor meinem Scheiden über manche wichtige Angelegenheit noch zu sprechen wünsche. Ich mache mir Vorwürfe, daß ich schuld an Deinem Unglück bin.“

„Sie irren sich. Ich bin nicht unglücklich.“

„Ich weiß es besser. Du willst mich nur täuschen, aber ich lese wider Willen in Deinem Herzen. Du kannst den Mann nicht vergessen, der Dir und uns so viele Beweise der innigsten Freundschaft gegeben, uns Allen so große Opfer gebracht hat.“

„O meine Mutter!“ bat Charlotte. „Schonen Sie mich, verurtheilen Sie mich nicht, bevor Sie mich gehört haben.“

„Ich bin weit entfernt, Deine Liebe noch ferner zu verdammen.“

„Wie ist das möglich, da Sie an jenem traurigen Tage mich in meinem unglückseligen Entschluß bestärkten und, als ich schwankte, in mich drangen, den verhängnißvollen Scheidebrief an Robert abzusenden, der ihn zur Verzweiflung trieb?“

„Damals folgte ich nur meiner Ueberzeugung, die sich seitdem wesentlich verändert hat. Ich fürchtete für Dich die Folgen eines Schrittes, der Dich Deiner Familie entfremden, mit der Welt in unausbleiblichen Conflict bringen und nach meiner Ansicht erniedrigen mußte. Seitdem ist meine Anschauung erschüttert worden, habe ich meinen Irrthum einsehen gelernt.“

„O, Sie wollen mich nur prüfen, nur hören, ob ich noch wie früher Robert liebe!“

„Dessen bedarf es nicht, da ich unwillkürlich Zeuge Deines Gespräches mit der frommen Schwester war. Während ich im Halbschlummer lag, habe ich genug gehört, um Dein Geheimniß zu kennen.“

„So wissen Sie Alles?!“ rief die Prinzessin überrascht.

„Fürchte nicht, daß ich Dir deshalb zürne. Wie Du, habe auch ich die Mahnungen der frommen Schwester mit Bewunderung vernommen und über ihre Worte auf meinem Krankenlager nachgedacht. O, sie hat vollkommen Recht, den irdischen Tand zu verachten. Im Angesicht des Todes, an der Pforte der Ewigkeit, vor der ich stehe, ist auch von meinen verblendeten Augen die Binde gefallen, bin ich zu der Erkenntniß gelangt, daß Rang und Stand, Geburt und Vermögen nur vergängliche Güter, eitel Täuschung sind.“

„Und Sie vergeben mir, daß ich dein theuren Freund von Neuem Hoffnung gab?“

„Ich verzeihe Dir und will mich nicht länger Deinen Wünschen widersetzen. Habe ich doch aus eigener Erfahrung die Nichtigkeit unserer eingebildeten Größe kennen gelernt. Wohin ich in unserer Familie blicke, sehe ich nur Leiden und selbstverschuldete Qual: Hortense von ihrem Gatten getrennt, der Sohn des Kaisers todt, Louis in der Verbannung, von Ehrgeiz verzehrt, über verwegenen Plänen und Verschwörungen brütend, ich selbst einsam und verlassen, krank und elend in Florenz, während Dein Vater in London lebt. Das ist das Glück der Napoleoniden, vor dem ich Dich zu bewahren hoffe.“

„Was wollen Sie thun?“

„Alles, was eine besorgte Mutter für eine geliebte Tochter vermag. Ich werde noch heut, so schwer es mir auch fällt, an Deinen Vater schreiben und ihn beschwören, sich nicht länger Deinen Wünschen entgegenzusetzen. Er wird und muß auf die Bitten einer Sterbenden hören. Das Glück, das mir versagt war, werde ich meiner Tochter sichern und dann ruhig von dem Leben scheiden.“

„Nein, nein! Sie dürfen nicht sterben, Sie müssen leben und sich Ihres Werkes freuen!“ rief die Prinzessin niederknieend und die Hand ihrer Mutter mit Küssen und Thränen bedeckend.

Trotz der vorangegangenen Aufregung erholte sich die Kranke nach diesem Zwiegespräch, das sie gleichsam erleichtert und beruhigt zu haben schien, in so auffallender Weise, daß die behandelnden Aerzte fast mit Sicherheit ihre nahe Genesung hoffen ließen. Unter dem freudigen Eindruck dieser doppelt glücklichen Wendung ihres Looses schrieb die Prinzessin jene Zeilen, worin sie Robert ihre Ankunft in Venedig spätestens bis zum zwanzigsten März anzeigte.

Aber schon nach wenigen Tagen erwies sich die günstige Annahme der Aerzte als eine schmerzliche Täuschung, indem in dem Befinden der Kranken ein unerwartet heftiger Rückfall eingetreten war, so daß ihr Leben von Neuem in Gefahr schwebte.

Unter diesen Umständen war es der Prinzessin unmöglich, ihr Wort zu halten und die bereits beschlossene Reise nach Venedig anzutreten. Mit Recht fürchtete sie, durch ihr Zögern den Geliebten, dessen mißtrauische, zur Melancholie geneigte Stimmung sie hinlänglich kannte, zu täuschen, um so mehr zu verletzen, je größer die ihm gegebene Hoffnung war. Teresina, die mit ihr sich in die Pflege der Kranken theilte, war die Vertraute ihres Kummers, ihrer Verzweiflung, daß sie dem treuen Freunde ihr Versprechen brechen mußte.

„Robert erwartet mich,“ klagte sie schmerzlich der Nonne, „und ich kann und darf meine Mutter nicht verlassen.“

„Ich will ihm sogleich schreiben.“

„Ich fürchte, daß ein Brief ihn nicht beruhigen wird. Wie ich ihn kenne, wird er von Neuem an meiner Liebe zweifeln und sich von mir verrathen glauben.“

„Leider muß ich Ihnen beistimmen. Aber was sollen wir in unserer Lage thun?“

„Ich weiß keinen Ausweg,“ versetzte die Prinzessin tief betrübt.

„Und doch dürfen wir Robert nicht ohne Nachricht lassen. Bei seiner Reizbarkeit, seiner unglücklichen Schwermuth wird er das Schrecklichste denken. Die Ungewißheit kann ihn tödten.“

„Rathen Sie, helfen Sie, theure Schwester!“ flehte die Prinzessin mit Thränen in den Augen.

„Es giebt nur eine Möglichkeit: wenn ich selbst nach Venedig gehe, da er mir vollkommen traut.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_370.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)