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Eurer gottgefälligen Rede, wie ich noch nie eine von geistlichen Lippen gehört, und doch ist mein Werk auch ein frommes und gottgefälliges und wird Euern Beifall haben, ehrwürdiger Vater.“

„So darf ich erfahren, was Ihr so Dringendes vorhabt, Ritter Erbach?“

„Gewiß! Ihr sollt mir sogar Euern Segen dazu geben, damit es zur Ehre Gottes und zum Frommen der heiligen Mutter Kirche gelinge!“

„So sagt an!“

„Ich bin mit meinen Knechten ausgezogen und sie haben bereits die Landstraße nach Wertheim besetzt, und ich will nun schnell auch hinaus, um einen guten Fang zu thun, einen bösen Ketzer und Teufelsbraten, der, wie ich sicher ausgekundschaftet, heute des Weges daher kommt.“

„Wen meint Ihr?“ fragte der Fremde gespannt.

„Den frechen Augustiner aus Wittenberg, der im verwichenen Herbst seine kirchenschänderische Hand gegen seine Mutter erhoben und ihre Satzungen verhöhnt hat. Er wird nach Heidelberg reisen.“

„Ihr meint den Doctor Martin Luther?“

„Wen sonst als dieses räudige Schaf der gläubigen Heerde, das im ganzen Reiche so großen Anstoß und Aergerniß gegeben hat?“

„Und was wollt Ihr mit dem Wittenberger Mönche machen, wenn Ihr ihn gefangen habt?“

„In meinen festen Thurm will ich ihn sperren und ihm so lange von meinen Priestern zusetzen lassen, bis er dem Teufel abgesagt hat und als ein reumüthiger Sünder zum Kreuze Christi gekrochen ist.“

„Und wenn er Euer löbliches Verlangen nicht erfüllte und bei seiner Ueberzeugung beharrte, was dann?“

„Meint Ihr, ich habe es mir umsonst ein tüchtig Stück Geld kosten lassen, um seine Reise nach Heidelberg genau zu erfahren? Er soll mir nicht vergebens in’s aufgestellte Garn laufen. Wenn er halsstarrig auf gutgemeinten Zuspruch nicht hört, so werd’ ich ihn nach Rom transportiren, ich selbst mit meinen Knechten, um ihn dem heiligen Vater ausliefern, der mag ihn, wenn er verstockt bleibt, auf einen Scheiterhaufen setzen lassen, damit er schon hier den Vorschmack des höllischen Feuers habe, welches der Gottesschänder wartet. Ich muß fort, aber ich kann nicht ohne Euern Segen gehen und nicht ohne Euern Namen zu wissen, ehrwürdiger Vater, als den des frömmsten, gelehrten und gottbegeistertsten Sohnes der Mutter Kirche, der mir auf meinem Lebenswege aufgestoßen.“

„Ich will Euern Wunsch gern erfüllen. Ihr braucht Euch nicht weiter zu bemühen; denn der Mann, den Ihr fangen wollt, steht vor Euch. Ich bin Martin Luther.“

Der Schenk erstarrte zur Bildsäule; nur die weitaufgerissenen Augen zeugten noch von seinem Leben. Nicht nur keines Wortes mächtig, vergingen ihm auch die Gedanken.

Doctor Luther fuhr lächelnd fort: „Ihr seht, ich bin in Eurer Gewalt. Wollt Ihr wirklich einen arglosen, auf die öffentliche Sicherheit vertrauenden Reisenden in Euern Thurm werfen, weil er über den Ablaßkram des Papstes anderer Meinung ist, als Ihr, ohne ihn vorher gehört zu haben, wohlan, so laßt mich von Euern bewaffneten Knechten abführen. Ich habe keine Waffe weiter als das lebendige Wort.“

„Nicht also!“ versetzte Erbach beschämt. „Ich habe Euch schon gehört und will Euch weiter hören. Wir haben nun keine Eile mehr und lassen das Wäglein abschirren und die Pferde absatteln. Ich schicke meinen Knecht hinaus, um die andern herbei zu rufen. – Das ist eine wunderbare Fügung Gottes, daß Ihr gestern schon eingetroffen seid, während ich Euch erst heute erwartete. Setzen wir uns! Ich bin begierig auf Alles, was ich von Euch noch hören soll. Doch bevor Ihr mir auseinandersetzt, was Ihr gegen den Papst und den Ablaß habt, singt mir erst noch ein Lied, damit meine Seele in die rechte Stimmung komme. Wenn Ihr ein Loblied auf den heiligen Augustin wißt, so singt dieses.“

Luther nahm seine treue Begleiterin, die Laute, zur Hand und präludirte, sich zu einer Improvisation sammelnd, und pries in ihr in den kräftigsten Worten und Tönen den großen afrikanischen Kirchenfürsten. Dann begann er seine Rede. Er war selbst in einer ungemein gehobenen Stimmung, und vielleicht war ihm die Rede noch nie kräftiger, schöner, überzeugender aus der Seele geflossen. Des Schenks Augen leuchteten, die Hände über der Brust gefaltet, verneigte er zuweilen zustimmend das Haupt. Stunde auf Stunde verfloß, weder Hörer noch Sprecher merkten etwas davon, bis der Wirth wieder hereintrat und meldete, daß alle Knechte des Ritters zurückgekehrt und unten der Befehle ihres Herrn harrten. Auch habe der Wertheimer Fuhrknecht das Wäglein wieder angeschirrt.

„Nun, so kommt denn in Gottes Namen, ehrwürdiger Doctor Luther!“ sagte der Schenk tief gerührt. „Ihr habt mich vollständig überzeugt und Gott hat durch Eure klare, verständige und herzinnige Rede mein Herz erleuchtet. Kommt mit mir nach meinem Schlosse Erbach! Und seht, so wunderbar hat es Gott gefügt, daß ich, der ich Euch als Gefangenen dorthin führen und in den Thurm des Hasses setzen wollte, nun von Euch als Euer Gefangener in mein festes Haus geführt werde, das durch Euch in ein Haus der Liebe und wahren Gottesfurcht verwandelt ist. Ich segne Eure Hand, die mir die Binde von den Augen des Geistes gelöst und die Fesseln des reinen, wahren Glaubens angelegt hat. Führt Euren Gefangenen seiner Ehewirthin zu, damit sie durch Euch gleicher Gnade theilhaftig werde.“

Und der verklärte Ritter nahm den freudig bewegten Gottesstreiter an die Hand, führte ihn hinab und hob ihn in das Wäglein, das die Knechte umgaben, während er selbst dem Doctor zur Seite ritt. So zogen sie durch das grüne Thal in die grünen Berge des Odenwaldes dem netten Bergstädtlein mit dem ragenden stattlichen Grafenschlosse zu, heiter und froh im Wechselgespräch miteinander plaudernd. Unterwegs hatte der Schenk einen Knecht vorausgeschickt. Als sie nun dem Weichbild des Ortes nahten, ertönten plötzlich alle Glocken und der Schulmeister kam ihnen mit den Schulkindern entgegen und sangen: „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ Und der Stadtpeifer spielte mit seinen Gesellen auf. Zur hochverwunderten Ritterfrau, die ihnen vor dem Schloßthore entgegentrat, sagte ihr Herr und Gemahl: „Hier ist Er! Aber wir haben die Rollen vertauscht. Er ist der Fänger, ich bin der Gefangene! Als ein Saul bin ich ausgezogen, ihm Uebles zu thun; als ein Paulus komm’ ich wieder, von ihm und zu ihm bekehrt. Und dafür sei Gott gelobt in Ewigkeit! Amen!“




Land und Leute.
Nr. 27. Bilder ans dem Schwarzwald. Von Ludwig Steub.



III. Das Hotzenland.
Im Ochsen zu Rickenbach. – Das Heidewible. – „Das Schloß von Harpolingen“. – Das Hotzenhaus. – Scheffel’s Abschätzung der
Hauensteiner. – Der verspielte Ohrlappen. – Das helvetische und basische Laufenburg.

Nach den geschilderten Erlebnissen zu Herrischried im Wald gingen wir wieder von dannen und kamen denselben Abend nach Rickenbach. Auch da giebt’s noch eine Anzahl Hotzen, doch fühlten wir nach den heutigen Erfahrungen keinen besondern Drang mehr, ihnen eigens nachzugehen, nahmen’s daher auch ohne Betrübniß auf, als wir im Wirthshause zum Ochsen hörten, die Wackern seien, nachdem sie den Vespertrunk verrichtet, bereits nach Hause gegangen. Im Ochsen bereitete uns die junge Frau Wirthin, welche zu Säckingen das Kochen gelernt, einen Abendimbiß, den wir nicht verachten konnten, und ein leidliches Nachtlager. Doch war die Herberge sonst sehr dürftig ausgestattet und auch etwas schmutzig. Im „Herrnstüble“ waren wir heute die einzigen Gäste, aber durch die große Zechstube sahen wir noch in ein anderes dunkles Gemach, wo bei düsterm Lichte etliche Gesellen Karten spielten. Es waren ohne Zweifel sehr anständige Leute, aber das schwarze Gemach und das gelbe Licht ließ die Gestalten so unheimlich erscheinen und sie trieben ihr Geschäft so leise und geheimnißvoll, daß wir uns gar nicht in ihren Dunstkreis wagten, sondern, ohne nähere Bekanntschaft anzustreben, wieder zu unserm Abendtrunk zurückkehrten.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_374.jpg&oldid=- (Version vom 16.6.2021)