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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Der Herr fahrt nach Wien. Du darfst hinten aufsitzen und mitfahren. Der Herr will auch schau’n, daß er Dich zu einem Steinmetz in die Lehr’ bringt. Ich erlaub Dir’s, Hans! Die Muttergottes soll Dich beschützen!“

Hans Gasser nahm die sechs Gulden von der Großmutter und die fünf Gulden vom Vater, den grauen Leinwandkittel und den Hut von der Großmutter und den Segen des Vaters und das Gebet der lieben lieben Mutter und ging – in die weite, weite Welt! –

In jenen dem Künstler aufgedrungenen Ruhetagen ward uns auch ein Mal die Gelegenheit geboten, ihn im Freien zu sehen, uns an dem Behagen, sagen wir an dem Jubel zu ergötzen, mit dem er Wald und Wiese, jede Blume, jeden Baum wie liebe lang entbehrte Freunde grüßte. Wir machten für einen ganzen Tag einen weiteren Ausflug über Land. Es war eine größere Gesellschaft, auch mehrere junge Mädchen; wir baten ihn herzlichst mitzukommen, und er nahm es an. So wie an diesem Tage haben wir ihn vorher und nachher nie gesehen, Caroline B. behauptete schon damals, daß sein Körper überarbeitet sei, daß er den Keim einer Krankheit, die an seinen Säften und Kräften nage, nicht beachte oder nicht beachten wolle. Wir redeten ihm zu, öfters dergleichen Ausflüge zu machen, mehr von Sonnenlicht und kräftiger Nahrung zu sich zu nehmen und - zu heirathen, damit er Jemanden um sich habe, der für ihn sorge etc. Er hörte uns ruhig, ja mit einer gewissen Freudigkeit an, wie wir Pläne für seine Zukunft machten, und Caroline B. vertiefte sich so lebhaft in den Gegenstand, daß sie zu unserem und des Meisters Ergötzen schließlich in die Worte ausbrach:

„Sehen Sie, Gasser! Sie müssen zu Grunde gehen, wenn Sie nicht eine Frau nehmen, die Sie aus dem Staube erlöst, in dem Sie sich statt im Wasser baden! eine Frau, die pünktlich kommt und sagt: ,So, lieber Hans, jetzt wasche Dich, zieh’ Dich ordentlich an, und komm zum Essen,’ und dann wieder: ,So, lieber Hans, jetzt hast Du genug gearbeitet, jetzt wasche Dich, zieh Dich ordentlich an, dann gehen wir spazieren!’ Sie brauchen eine Frau, welche die Trödeljuden zum Teufel schickt, die Ihnen Ihr Geld für den alten Plunder aus der Tasche stehlen u. s. f. ...“

Es war rührend, wie der lange Hans seiner alten Freundin aufmerksam zuhörte, die noch Vieles, Vieles hinzusetzte, was sich nicht nacherzählen läßt! Rührender noch war es, wie er nach wiederholten treuherzigen Versicherungen, daß sie Recht, sehr Recht habe, dem Gespräch damit ein Ende machte, daß er tief aufseufzend sagte:

„Wo ist aber das Mädchen, das mich nimmt wie ich bin, ungewaschen, ungebürstet, uneingerichtet, mit all’ dem Staub und Plunder meiner Werkstatt und meiner – Schatzkammer – wo sie alles findet, nur das Nöthigste nicht – Geld!?“

Wir kannten ein sinniges, einfaches junges Mädchen, das ihm sehr gefiel und das ihn gern genommen hätte so wie er war. Aber ihr Vater war ein aufgeblähter reicher Narr und sie – ist bald nach jenen Tagen, wo Hans Gasser’s Freunde für ihn schöne Luftschlösser bauten, unter dem grünen Hügel schlafen gegangen.

Auch meine gute Mutter ging dahin, und der kleine Kreis, der den strebsamen edlen Künstler, den allzuspärlich lebenden, allzumagern, allzubleichen langen Hans eine Zeitlang warm und innig umschlossen hatte – fiel auseinander. –

Anekdotische Bruchstücke aus seinem Leben, einige scherzhafter, andere tiefernster Natur, sind mir seitdem aus dritter Hand zugekommen.

Der Kaiser hatte das Standbild der Kaiserin besichtigt und Gräfin E., die damalige Obersthofmeisterin, beauftragt, dem Meister zu sagen, daß das Gesicht allzuernst sei und der Krönungsmantel zu hoch über die Schultern heraufkomme. Die Gräfin entledigte sich ihres Auftrages in zartester Weise. Als sie die Bemerkung wegen des Mantels machte, sagte Gasser:

„Ausziehen kann ich leicht, anziehen wäre schwerer,“ und als die Dame des Kaisers Wunsch wegen des Ausdrucks in den Zügen vorbrachte, meinte der Meister:

„Wenn die Frau Kaiserin mir ein freundliches Gesicht macht, kann ich ihr auch eines machen.“

Hoher Rath wurde gepflogen und in diesem beschlossen, Hans Gasser während der Sonntagsmeßzeit in dem Corridor in der Burg aufzustellen, wo der Hof durchgehen muß, wenn er aus der Kirche kommt. Man rechnete auf die Wirkung, welche der plötzliche Anblick des Blousenmannes inmitten der festlich gekleideten Hofchargen hervorbringen mußte. Gasser wurde ersucht, sich dahin zu verfügen, um die Kaiserin, die er nach einem Portrait abgenommen hatte, persönlich vor sich zu sehen. Er kam. Den Hut in den riesigen, unbekleideten Händen haltend, das rothe Halstuch als den höchsten Putz um den Hals geschlungen, stand er zwischen den Pagen und den Officieren der Garde, die hier auf ihrem Posten waren. Man hatte sich nicht verrechnet. Die junge Kaiserin lachte über das ganze, von der Anstrengung, ein lautes Auflachen zu unterdrücken, auf’s Rosigste angehauchte Gesicht und ging langsam vorüber. Der Kaiser blieb vor Gasser stehen und frug ihn, „ob das genügend sei, ob er den Ausdruck im Gedächtniß behalten werde.“

„So lang ich lebe,“ antwortete er. –

Hans Gasser ließ es sich in den Sinn kommen, ein Haus zu kaufen, was er schon erworben, hineinzustecken, zu bauen und dabei, Gott weiß wie, übervortheilt zu werden und Sorgen ohne Ende auf sein Haupt zu laden. Das zweite Steckenpferd vollendete den Ruin, den das erste langsam angebahnt hatte. Hans Gasser, der zu entbehren und zu darben verstand, wie kaum ein Anderer – zu rechnen, richtig zu rechnen muß er doch wohl nicht verstanden haben! Er brachte mehrere Monate im Schuldgefängnisse zu und soll, um sich daraus zu befreien, seines Geistes schöne, seiner Hände schwere Arbeit für Jahre und Jahre voraus verkauft haben. Was war er nun noch, als der Sclave derer, denen sein einst so freudiger – jetzt vielleicht so freudloser Fleiß gehörte!

Vor Jahren hatte er sich beim Ausmeißeln einer Büste an der rechten Hand eine Wunde geschlagen, diese aber vernachlässigt. Diese Wunde ist ihm schließlich tödtlich geworden.

Im Familienkreise eines Freundes, des Ingenieurs der Staatseisenbahn-Gesellschaft Herrn Hugo Frick, ist Hans Gasser im besten Mannesalters Freitag den 1. Mai 1868 in Pest gestorben.

Im Namen Aller, die ihn als Mensch, als Künstler hoch hielten und lieb hatten, rufe ich ihm ein Lebewohl nach in sein frühes Grab.

Mariam Tenger.




Die Romantik auf der Pleiße.

Man stelle sich einmal das Gesicht eines süddeutschen Gebirgs- oder eines norddeutschen Küstenmenschen vor, wenn beide aus dem Munde eines Leipziger Stadtkindes die Versicherung vernehmen: „Nichts Romantischeres als eine Wasserfahrt bei Leipzig! Wer aber Wasser- und Feuerherrlichkeit im vollkommensten Maße genießen will, muß sich den Leipziger Künstlern anschließen, wenn sie in ihrem geistesfrischen Verein sich an dem Zauber der Romantik auf der Pleiße erfreuen.

Und doch müssen wir den Worten Glauben schenken und uns zur Mitfahrt entschließen, denn wenn zur Romantik „der schöne Wald“ berechtigt, so ist sie für Leipzig gerettet. Wahrhaft rührend sogar ist aber die Leidenschaft, welche alle Leipziger Herzen für ihre Gewässer, Flüßchen und deren Flußarme und Flußärmchen, Canäle und Canälchen, Mühl- und Floßgraben etc. erfüllt. Jedes Wässerchen erhielt sein Gondelchen, und wohin kein Gondelchen mehr vordringt, da bricht der pfeilartige Grönländer sich noch Bahn und rettet die Ehre der Schiffbarkeit seines Gewässers. Höhere Ansprüche befriedigen Elster und Pleiße, auf welchen auf einer Strecke von kaum anderthalb Stunden Länge nahe an hundert Boote und Gondeln sich ihrer schifffahrtstolzen Besitzer rühmen, ja es schlug bekanntlich vor einigen Jahren sogar die Stunde, seit welcher Dampfschiffe zwischen Leipzig und dem etwa eine Viertelmeile[WS 1] davon entfernten Dorfe Plagwitz ihren regelmäßigen Lauf haben, anderthalbhundert Wasserfahrtgenossen in einem Boote jubeln können und die stolze Elster Lastboote mit dreitausend Centner Ladung auf dem sicheren Rücken trägt.

Sollte aber Jemand daran zweifeln, daß es in der großen Handelsstadt Leipzig auch Künstler giebt? Die Kunst ist in Leipzig

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Vietelmeile
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_443.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)