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Als Hauptbeweise für den Stein der Weisen und seine Wirkungen mußten natürlich bei den Alchemisten die ungeheuren Reichthümer gelten, über welche die Adepten nach glaubwürdigen oder auch nicht glaubwürdigen Erzählungen verfügten. Raymundus Lullus verfertigte im dreizehnten Jahrhundert dem Könige Eduard III. das Gold zu sechs Millionen Rosenobel. Ein armer Schreiber, Namens Flamel, lebte im vierzehnten Jahrhundert in Paris. Er erwarb eine alte Handschrift um geringen Preis, doch einundzwanzig Jahre lang bemühte er sich vergebens, sie zu entziffern. Endlich gelang ihm die Entzifferung mit Hülfe eines gelehrten spanischen Arztes. Es war der Text nichts Geringeres als das Recept zur Bereitung des Steins der Weisen. Welche Reichthümer Flamel nun gewonnen, ergiebt sich daraus, daß er vierzehn Hospitäler stiftete, drei Capellen erbauen und sieben Kirchen erneuern und reich dotiren konnte. Noch 1742 wurden von ihm gestiftete Almosen vertheilt.

Daß Kaiser Rudolph II. († 1512) fünfundachtzig Centner Gold und sechszig Centner Silber und Kurfürst August († 1586) siebenzehn Millionen Reichsthaler hinterließ, das wird von den Alchemisten ebenfalls der Beschäftigung der beiden hohen Herren mit der Alchemie zugeschrieben.

Der Stein der Weisen vermochte aber dem glücklichen Adepten auch höhere Güter als Gold und Silber zu gewähren. So wie der Stein der Weisen die unedlen Metalle veredelte, sie gewissermaßen heilte von ihren Unvollkommenheiten, so war er auch das wichtigste Heilmittel für kranke Menschen. Der Stein der Weisen heilte die hartnäckigsten Krankheiten, Gicht, Flechten etc. gründlich und in der kürzesten Zeit. Dies war eine ganz natürliche Anschauung in einer Zeit, in welcher gestoßene Perlen und Edelsteine, Bezoare und andere seltene Dinge als kostbare Arzneien galten. Hoch über allen diesen stand aber der Stein der Weisen, er war eine Panacee des Lebens. Raymundus Lullus im dreizehnten Jahrhundert versichert, er sei wieder ganz jung und munter geworden, als er sich im hohen Alter desselben bedient habe. Es scheint indessen diese Panacee nichts anderes als Weingeist gewesen zu sein, den man damals näher kennen lernte und von da an als aqua vitae bezeichnete, unser heutiges Aquavit!

Salomon Trismosin, von welchem Paracelsus 1520 in die Geheimnisse der hermetischen Kunst eingeweiht wurde, versichert, er habe sich im hohem Alter mit einem Gran des Steines plötzlich verjüngt, seine runzlige Haut sei wieder glatt und weiß, die Wange roth, das graue Haar wieder schwarz und der gekrümmte Rücken wieder gerade geworden. Frauen von siebenzig und neunzig Jahren habe er mittels des Steins der Weisen wieder jung und blühend gemacht, und es sei ihm ein Leichtes, sich mittels seiner Panacee so lange am Leben zu erhalten, um den jüngsten Tag mit ansehen zu können. Das hohe Alter der Patriachen wurde im siebenzehnten Jahrhundert sehr einfach dadurch erklärt, daß sie sich des Steins der Weisen bedient hätten. Es lagen aber auch historische Beweise aus viel näherer Zeit vor. Artephius, ein Alchemist des zwölften Jahrhunderts, legte sich ein Alter von tausend Jahren bei, und Niemand widersprach ihm. Alchemisten von einigen hundert Jahren waren im Abendlande wie im Morgenlande gar nicht selten.

Indessen der Glaube an die verjüngenden und an die heilverheißenden Mittel des Steins der Weisen nahm doch wohl früher ab als der an die Metallveredlung und verschwand endlich ganz, besonders durch den Einfluß der ausgezeichneten Aerzte Stahl und Hoffmann im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts. –

Anfänglich waren es vorzüglich Geistliche, welche mit der Alchemie sich beschäftigten, insbesondere Klostergeistliche. Albertus Magnus, Roger Baco, Raym. Lullus waren sämmtlich Mönche verschiedener Orden. Die Beschäftigung mit der Alchemie galt ihnen als Gott wohlgefällig, und alle Alchemisten im dreizehnten bis zum fünfzehnten Jahrhunderte stimmen darin überein, daß die Bereitung der Tinctur auf göttlicher Beihülfe beruhe. Darum war es auch sündhaft, die Kunst Anderen zu lehren, welchen die göttliche Gnade mangelt und die des Besitzes unwürdig sind. Im vierzehnten Jahrhundert hatte sich das alchemistische Streben schon so verbreitet und verbanden sich damit schon so mannigfache Betrügereien, daß die geistliche und die weltliche Macht Bullen und Edicte gegen die Betreibung der Alchemie ergehen ließen. Aber vergebens! Im fünfzehnten Jahrhundert stieg die Zahl der Alchemisten aus allen Ständen, selbst Fürsten laborirten mit Eifer. Markgraf Johann von Brandenburg, dessen Residenz, die Plassenburg bei Culmbach, ein Sitz der Alchemie war, führt in der Geschichte seines Hauses den Namen des Alchemisten. Es gab um diese Zeit auch zahlreiche Abenteurer, die als „fahrende Alchemisten“ ihr Glück versuchten und sich für Adepten ausgaben, um auf Kosten Anderer eine Zeitlang zu laboriren. Sie beglaubigten sich bei den Gönnern der Kunst durch allerlei Experimente, meist durch Bereitung von etwas Gold, wobei natürlich Taschenspielerkünste das Beste thaten, durch welche die Betrüger goldhaltige Substanzen in den Tiegel zu bringen wußten.

Während früher die Alchemisten nur einsam arbeiteten, bildeten sich im siebenzehnten Jahrhundert sogar Gesellschaften zur Betreibung der Kunst, so die sogenannten Rosenkreuzer, unter deren Händen die Alchemie mit der Mystik sich verbündete, und die alchemistische Gesellschaft in Nürnberg, die noch 1700 bestand. Der berühmte Leibnitz gehörte ihr an und war sogar eine Zeitlang ihr Secretär!

Die Hindernisse, welche der Alchemie im vierzehnten Jahrhundert entgegentraten, wurden besonders dadurch überwunden, daß hohe Potentaten sie ihres Schutzes würdigten. Einer der merkwürdigsten Gönner der hermetischen Kunst war Heinrich VI. von England, welcher 1423 zur Regierung kam. In mehreren Decreten forderte er alle Edlen, Doctoren, Professoren und Geistlichen auf, die Alchemie ernstlich zu betreiben, damit man Mittel gewinne, die Staatsschulden zu bezahlen. Insbesondere, meinte der König, sollten sich die Geistlichen um die Erfindung des Steins der Weisen bemühen, und da sie ja Brod und Wein in Christi Leib und Blut verwandeln könnten, so werde es ihnen mit Gottes Hülfe wohl auch gelingen, eine Transsubstantiation der unedlen Metalle in Gold zu bewirken. Die Geistlichen, welche durch diese Aufforderung die Heiligkeit der Religion verletzt sehen mußten, folgten derselben jedoch nicht. Dagegen fanden sich andere industriöse Leute, welche Metall lieferten, das der König für Gold hielt – vielleicht auch nicht – das er aber prägen und als gute Münze verbreiten ließ. Er gab sogar einer Compagnie das Privilegium, Gold zu machen, und so wurde unter der Aegide der Majestät selbst die großartigste Falschmünzerei getrieben. Das falsche Gold suchte man vorzüglich in die Nachbarländer zu spielen; Schottland und Frankreich schützten ihre Grenzen gegen die Einführung desselben und arge Wirren im Verkehre waren die Folge. Um dieselbe Zeit finden wir auch eine Kaiserin, die übelberüchtigte Barbara, Gemahlin des Kaisers Sigismund, unter den Alchemisten. Ein Kunstgenosse lehrte ihr Silber aus Kupfer mit Arsenik zu bereiten und Gold durch Zusatz von Kupfer und Silber zu vermehren. Sie übte diese Künste fleißig, und die Producte ihrer Arbeit verkaufte die gute Landesmutter dem Volke als reines Gold und Silber.

Der größte unter den fürstlichen Alchemisten war Kaiser Rudolph II., welcher 1576 den deutschen Thron bestieg und meist in Prag residirte. Den deutschen Hermes Trismegistus nennen ihn die Adepten, deren Schutzherr er war. In den letzten Jahren seines Lebens beschäftigte er sich wesentlich nur mit Alchemie; seine Umgebung bestand aus Alchemisten, und sein Hofpoet besang die Alchemie und ihre Priester.

In Sachsen war besonders Kurfürst August ein Gönner der Alchemie. Er hatte in Dresden sein Laboratorium, vom Volke das Goldhaus genannt, und bekennt sich in noch erhaltenen Briefen selbst als Besitzer des großen Geheimnisses. Er sei bereits dahin gelangt, schreibt er an einen italienischen Alchemisten Namens Francisco Forense, daß er aus acht Unzen Silber drei Unzen reines Gold in Zeit von drei Tagen machen könne. Auch seine Gemahlin Anna hatte auf ihrem Schlosse in Annaburg ein schönes Laboratorium. August’s Nachfolger, Kurfürst Christian, war ebenfalls ein Beschützer der Alchemie.

Die Fürsten hielten um die Zeit des dreißigjährigen Krieges und nachher, zur Verbesserung ihrer Finanzen, häufig besondere Leibalchemisten; ihre Stellung war aber im Allgemeinen eine sehr schwierige, da man mehr von ihnen verlangte, als sie leisten konnten. Entweder waren sie, nach ihrer eigenen Versicherung, mit der Erfindung des Steins der Weisen noch nicht ganz fertig, dann jagte man sie gewöhnlich bald fort, oder sie machten Gold, dann liefen sie Gefahr, je nach den Umständen entweder gehängt oder – gefoltert, wenigstens lebenslänglich eingesperrt zu werden; ersteres, wenn sie es ungeschickt gemacht, zur Strafe für die Betrügerei, letzteres, wenn sie den Betrug

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