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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

heiß und drückend war, daß man allgemein einen vulcanischen Ausbruch befürchtete. Am genannten Tage lief Nachricht. ein daß bei Concepcion und Jomé, zwei Häfen im Süden Chiles, das Meer weit über seine gewöhnlichen Grenzen gestiegen und stellenweise drei Meilen tief in’s Land getreten sei. Großer Schaden wurde den Kornspeichern und Wohnhäusern zugefügt und mehrere Fahrzeuge litten Schiffbruch. Am 17. Abends brach ich im Dampfer Paita nach Callao auf. Den 19. gegen zwei Uhr Nachmittags warfen wir vor Caldera Anker, und hier erreichten uns, von Norden her, Briefe, welche allgemeine Bestürzung erregten. Die ganze Westküste bis weit hinauf nach Peru war von einem fürchterlichen Erdbeben geschüttelt worden und hatte an vielen Stellen Einbrüche des Meeres erfahren müssen. Cobija, Arica, Islay, Mejillones, Iquiqoe, Ilo, Pisco, Pisagua und Chala, so theilte man uns mit, lägen ganz oder theilweis in Trümmern. Der Bruder eines unserer Passagiere kam an Bord und beglückwünschte ihn das nackte Leben gerettet zu haben, sein Geschäft war gänzlich untergegangen. Drei Kriegsdampfer gingen auf der Rhede von Arica verloren, die peruanische „America“ und die Vereinigten-Staaten-Schiffe „Wateree“ und „Fredonia“, letzteres mit Mann und Maus. Der Compagnie Steamer „Santiago“ ist dem Untergange auf wunderbare Weise entgangen. Aus Callao kommend befand er sich am 13. Abends, dem Tage des Erdbebens, vor Chala und sein Capitän berichtet Folgendes an den unseren: „Wir lagen an zwei Ketten sicher vor Anker, als plötzlich ein Stoß verspürt wurde, der. uns glauben ließ, wir seien fest auf einen Felsen gerathen. Die Passagiere drängten sich ängstlich um mich und wollten wissen, was geschehen sei. Im nächsten Augenblicke wand und krümmte sich bereits das Fahrzeug, als ob es aus Gummi gemacht sei. Wir wurden sämmtlich an zwei Fuß hoch emporgeworfen und fielen zu Boden. Auf allen Gesichtern stand tödtlicher Schreck geschrieben. Ich forderte eben den zitternden Steameragenten auf, sich in meiner Cajüte durch ein Glas Branntwein zu stärken, da rissen unsere Ankerketten, als ob sie dünne Drähte seien, und das zurücktretende Meer wusch uns seewärts. Wir hatten Dampf genügend, um den Versuch zu machen, das Weite zu gewinnen, aber im nächsten Augenblicke trug uns bereits die zurückfluthende ungeheuere Welle widerstandslos dem Ufer entgegen und warf uns, hoch über die Küstenklippe, in den jenseitigen Busen. Erst dann gelang es uns das offene Meer zu erreichen. Unsere Rettung ist wunderbar. Arica liegt in Trümmern; wo Chala stand, rollt das Meer; Iquique ist nur zum kleineren Theil erhalten; noch weiß Niemand, wie weit nach Norden sich die Verheerung erstreckt, denn aus Callao fehlen Nachrichten.“ Soweit der Brief des Capitäns.

In Caldera an Land gegangen, trafen wir bald Flüchtlinge aus dem Norden, unter Andern den deutschen Photographen Reitze, welcher sich zur Zeit der Katastrophe in Arica aufhielt und dort sein sämmtliches Eigenthum verlor. Der Stadtrath von Copiapo sammelt Lebensmittel die Hungernden zu unterstützen, und der amerikanische Kriegsdampfer „Kearsage“ schickt sich an nach Arica aufzubrechen. In Iquique, wo sämmtliche Condensirmaschinen verloren gingen, soll großer Wassermangel herrschen. Auch Caldera erfuhr heftige Stöße, und die Einwohner befanden sich bereits auf der Flucht nach dem Küstengebirge, doch geschah nichts Ernstes. Reitze’s Bericht aus Arica lautet ungefähr folgendermaßen: „Ich befand mich am Abend des 13. kurz nach fünf Uhr ruhig in meinem Hause und war eben beschäftigt einige Bilder zu entwickeln, als sich schnell hinter einander mehrere Erdstöße wahrnehmen ließen. Mein chilenischer Gehülfe, die allgemeine Furcht seiner Landsleute vor terremotos theilend, stürzte auf die Straße hinaus und ich war im Begriff ihn zur Rückkehr zu bewegen, als das Erdbeben so heftig wurde, daß mich ein Gefühl überkam, als ob ich jähem Schwindel verfiele.

In’s Freie gelangt, bewegte sich unter mir der Boden, als ob er flüssig sei, wie die Meereswelle. Von da ab bleibt mir nur wenig Erinnerung. Ich weiß, daß der Kirchthurm fiel, eben als ich auf dem Marktplatze anlangte. Ich kletterte verzweiflungsvoll über die stets sich häufenden Trümmer und strebte, das Rauschen des empörten Meeres hinter mir, den Bergen zu. Es war das vollständige Bild der Sündfluth; mir standen die Haare zu Berge. Ueberall Wehklage und Jammer; Mütter, die ihre Kinder suchten, und Frauen ohne Gatten. Wer seine gesunden Glieder rettete, war froh, denn rings gab es fürchterliche Verstümmelungen. Auf den Küstenhügeln verbrachten wir eine angstvolle Nacht, geschreckt durch die stets sich wiederholenden Erdstöße, deren wir über zwanzig zählten. Am nächsten Morgen war von unseren Wohnungen nichts zu entdecken – die Stadt war ein großer Schutthaufen, keine Straße mehr kenntlich. Alles, was ich von meiner Habe rettete, war eine – Reitpeitsche, welche mir der blinde Zufall wiedergab. Bis zu meiner Abreise mit dem englischen Dampfer hatte man fünfunddreißig Leichen gefunden.“

Wir nahmen in Arica mehr Kohlen ein, als gewöhnlich, und versahen uns reichlich mit Wasser, um den Nothleidenden in Iquique helfen zu können, so daß es spät Abends war, als wir wieder in See gingen.

Cobija, den 21. August 1868.

Früh am Morgen kamen wir in Cobija an, wo wir das chilenische Kriegsschiff Covadonga antrafen. Noch sind wir nicht auf dem eigentlichen Schauplatze der Zerstörung angelangt, denn Iquique haben wir in der Nacht passirt. Trotzdem sind wir im Besitz zuverlässiger Nachrichten von dort, denn Flüchtlinge sind an Bord gekommen und der chilenische Befehlshaber brachte gestern erst Hülfe nach dem hartbedrängten Orte. Drei Viertel der Stadt liegen in Trümmern, viele Menschenleben werden beklagt und Hunger und Durst sind allgemein. Der Verlust eines einzigen deutschen Hauses (Gildemeister u. Co.) wird auf viermalhunderttausend Thaler veranschlagt. In Iquique fand das Erdbeben siebenzehn Minuten nach fünf Uhr statt und dauerte vier Minuten, ehe es irgend welche Unterbrechung erfuhr. Hierauf erfolgte das Zurücktreten des Meeres, welches den Arm zwischen dem Festlande und der vorliegenden Insel gänzlich trocken ließ. Auf diese Weise bildete sich eine ungeheure Welle von circa sechszig Fuß Höhe, welche plötzlich wie eine Wand gegen das Land anrückte. Diese Welle kam aus Süd-West und schlug Alles nieder, was ihr in den Weg kam. Ueber einhundert Personen sollen verunglückt sein. –

Arica, den 22. August. 1868.

Wir sind auf dem Schauplatz der Verwüstung angelangt. Der Anblick spottet jeder Beschreibung. Arica, welches wohl siebentausend Einwohner zahlte, ist ein Trümmerhaufen und eine verarmte Menge irrt obdachlos am Ufer. So tiefgreifend war das Werk der Zerstörung, daß sich die Stätte nicht wiederfinden läßt, wo ein Haus gestanden, so groß die Gewalt der empörten Wellen, daß die schweren Geschütze der Inselbatterie bis an’s Festland geschleudert wurden, wo sie tief im Sande liegen. Vier Schiffe, wovon zwei schöne Kriegsdampfer, sitzen am Ufer, sechszehn Fuß überm Wasser! Drei andere liegen in der Rhede begraben. Die America verlor vierundvierzig Mann, die Wateree zwei, die Fredonia ging mit siebenundzwanzig Mann unter und die Barke Chanarcillo verlor acht. Eisenbahnschienen, Waggons, Maschinenstücke, Lafetten, Hausrath, Kinderwäsche, Kisten und Fässer, todte Lastthiere und verstümmelte Leichen liegen in grausenhaftem Chaos durcheinander. Der Gestank ist ekelerregend. Der Stoß fand auch hier kurz nach fünf Uhr statt und ward bald darauf vom Hereinbrechen des Meeres gefolgt, welches seine gewöhnlichen Grenzen mehr als fünfzig Fuß überstieg. Mehr als dreihundert Menschenleben werden beklagt. Auch Tacna und Arequipa, letzteres eine Stadt im Innern von über vierzigtausend Einwohnern, sind heimgesucht worden: Die Stöße dauern noch heute, also neun volle Tage nach dem ersten Ausbruche, fort, obgleich nur schwach. Dem Erdbeben gesellte sich bald Feuersbrunst zu, und die entfesselte Leidenschaft des Pöbels, welche in den reichlich vorhandenen geistigen Getränken kräftige Nahrung fand, vollendete, was die Wuth der Elemente etwa unvollständig gelassen. Eine Stadt nach der Plünderung kann sich diesem Bilde des Schreckens selbst annähernd nicht vergleichen. Durch alle Gräuel des amerikanischen Bürgerkrieges habe ich kein so fürchterliches Bild vor mir gehabt. Noch blühen einige Blumen in einem halbverschütteten Garten, dessen zierliche Anlagen Zeugniß ablegten von der Sorgfalt der früheren Bewohner. Alles war gefallen, wie man es verlassen, und machte einen unbeschreiblich wehmüthigen Eindruck auf mich. Ich fand Briefe, Wechsel, Waarenstücke allenthalben zerstreut; die trunkenen Wachen schützten das Eigenthum nur nothdürftig. Soweit die Nachrichten nach Norden reichen, reicht die Verheerung, wir werden ihre Ausdehnung erst in Callao beurtheilen können.

Callao, den 25. August 1868.

Wir sind am Ziele unserer Reise angelangt und sehen mit Freude, daß Callao, zum Theil wenigstens, der vernichtenden Hand des Schicksals entgangen ist. Trotzdem hat die Stadt bedeutend gelitten, jedoch weniger durch Erdbeben, als durch Wasser und Feuersbrunst; drei Straßen sind niedergebrannt und die geängstete Bevölkerung ist größtentheils nach Lima geflüchtet. Auch die Hauptstadt zitterte eine ganze Nacht, und die traurigen Nachrichten aus Arequipa finden sich nur zu sehr bestätigt. Unzählige Häuser liegen dort am Boden und vierhundert Menschen fanden ihren Tod. Gleichzeitig wird ein großer Brand aus Guayaquil berichtet. Wahrlich, die Hand des Schicksals hat schwer auf dieser Küste gelastet! Der Mittelpunkt der Bewegung scheint in der Nähe von Arequipa gelegen zu haben, und allenthalben ist der eigentliche Schaden weniger durch das Erdbeben, als durch das austretende Meer und durch Feuersbrunst verursacht worden.

Robert Wehrhan.


Die Heimath von Ulysses S. Grant, dem gegenwärtigen Präsidentschaftscandidaten der republikanischen Partei in den Vereinigten Staaten von Amerika, ist die Stadt Galena in Davies County im Staate Illinois. Bekanntlich betrieb Grant hier vor Beginn des Secessionskampfes in Gemeinschaft mit seinem Vater ein blühendes Gerbergeschäft. Als der Bürgerkrieg – wesentlich durch Grant’s Heldenthaten – beendigt war, erbauten die Bürger von Galena dem sieg- und ruhmgekrönten General, ihrem früheren Stadtgenossen, ein schönes Haus, welches sie ihm, vollständig meublirt und wohnlich eingerichtet, zum Präsent machten. Das Haus ist nicht übermäßig elegant und kostbar gebaut, es ist einfach aus Mauersteinen aufgeführt; aber es hat eine prächtige Lage. Es liegt an dem östlichen Ufer des Galenaflusses auf einem ziemlich hohen Hügel, der eine wundervolle Aussicht auf die rings umher liegenden reichen Fluren gewährt. Das Haus ist zweistöckig und enthält, ausser den Küchen- und Vorrathsräumen, neun bis zehn Zimmer, die nicht übermäßig groß sind. Das Empfangszimmer (parlor) z. B. ist zwanzig Fuß lang und sechszehn Fuß tief; von hier führt ein kleiner Kreuzgang (cross hall) nach dem Speisezimmer. Dem Empfangszimmer gegenüber befindet sich eine leidliche, gut ausgestattete Bibliothek. –

Mitte September 1868 befand sich General Grant nebst seiner Frau, deren Vater, Herrn Dent, der bereits einundachtzig Jahre zählt, und seinen zwei Kindern, einer zwölfjährigen Tochter und einem neunjährigen Sohne, hier in diesem Hause, welches er der Liebe und der Achtung seiner Mitbürger verdankt. „Ich wollte eigentlich einen Badeort, z. B. Saratoga oder Long Branch, besuchen,“ sagte er zu einem Freunde, allein bei reiferem Nachdenken zog ich hierher, in dies Haus, das ich – der Exgerber – der Liebe meiner guten Nachbarn und Mitbürger verdanke. Ich sehne mich nach wohlthuender Ruhe, nach guten Freunden und aufrichtigen Herzen, und wo kann ich diese sicherer und besser finden, als in Galena?“

Außer seiner Familie hatte Grant auch noch seinen Adjutanten, den General Comstock, bei sich, der ihm die Besorgung seiner Amtsgeschäfte erleichterte.

Die Zeit vertrieb sich Grant außerhalb des Hauses namentlich durch Spazierenreiten und durch den Besuch der Orte, wo er seine alten Freunde zu finden hoffen konnte. Niemals sah man ihn ohne eine Cigarre, denn das Rauchen ist ihm bekanntlich zur Leidenschaft geworden.

Besucher nahm er ungern an, wenn es nicht alte Freunde waren; auch redete er nicht gern von politischen Dingen. Als eines Tages die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 671. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_671.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)