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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Wundercuren so viel von sich hat reden machen, wirkt jetzt im Stillen und verdient viel Geld. Er hat seine Uniform ausgezogen und lebt in Passy, wo ihn eine zahlreiche Kundschaft aufsucht. Er arbeitet vorzüglich auf dem Gebiete der Rheumatismen und behandelt die Patienten, wie ein Corporal seine Gemeinen behandelt. Die Leidenden, die sich an ihn wenden, werden mit den Worten angeschrieen: „Die Arme ausgestreckt! Die Beine in die Höhe! Pas de drogues! Allez-vous en!“ (Keine Medicin! Marsch!) Dieser unhöfliche Lakonismus erfüllt die Gebrechlichen mit Vertrauen. Sie glauben sich geheilt und belohnen ihn reichlich, und was die Obrigkeit betrifft, so kann sie ihm nichts anhaben, da er keine Medicin verschreibt.

Sprechen wir jetzt ein Wort von der Kartenschlägerei, die in Paris ebenfalls ein sehr verbreitetes Gewerbe ist. Die Kartenschlägerei oder Cartomancie, wie die Franzosen sagen, wird meistens von Frauen betrieben, und zwar von solchen Frauen, die eine mehr oder minder stürmische Vergangenheit hinter sich haben. Sie besitzen viel Menschenkenntniß und verstehen sich vortrefflich auf Physiognomiken. Auch wissen sie durch die Unterhaltung mit den Kunden, die größtentheils dem schwachen Geschlecht angehören, auf indirecte Weise und ohne daß diese es merken, so viel zu erfahren, daß sie mit ziemlicher Sicherheit und geschützt vor lächerlichen Widersprüchen ihre Offenbarungen formuliren können. Ist die Kunde eine verheirathete Frau mit schwermüthigem Gesichte, so ermangelt die Sibylle nicht, ihr den baldigen Eintritt in den Wittwenstand zu prophezeien. Sie kommt dabei sehr häufig dem stillen Wunsche der Dame zuvor; denn in der Regel wenden sich an die Kartenschlägerinnen schmachtende Frauen, die mit ihren Gatten in Hader leben. Keine dieser Prophetinnen erlangt zwar einen solchen Ruhm wie weiland Mademoiselle Lenormand, die Freundin der Kaiserin Josephine, des Kaisers Alexander und anderer gekrönter Häupter; indessen giebt es doch manche unter ihnen, die sich einer sehr vornehmen Kundschaft erfreuen. Eine dieser Prophetinnen, Madame Guloten, hat sogar vor Kurzen die Ehre gehabt, in die Tuilerien geladen zu werden und der Herrin des Hauses die Zukunft zu entschleiern.

Wie gewisse Putzmacherinnen und Schneiderinnen sind auch gewisse Kartenschlägerinnen eine Zeit lang in der Mode, um dann andern den Rang abzutreten. Die Cartomancie wird auch von vielen Männern betrieben und zuweilen mit glänzendem Erfolg, So erregte vor einigen Jahren der Kartenschläger Edmond unter den wundergläubigen Seelen großes Erstaunen. Er wohnte in der Rue Fontaine St. Georges. Seine Zimmer waren mit Skeleten, Todtenköpfen, Himmelsgloben, kabbalistischen Figuren und sonstigem Firlefanz verziert und er selbst zeigte sich seinen Besucherinnen in der Tracht eines Magiers. Ein junger schöner Mann, nahm er sich in dem langen schwarzsammetnen Talar und dem spitzen, mit goldenen Charakteren gestickten chaldäischen Hut vortrefflich aus. Die vornehmsten Damen harrten stundenlang in seinen Vorzimmern und bezahlten seine Weissagungen mit schwerem Golde. Er war jedoch kein allzuschroffer Aristokrat und verschmähte es nicht, auch der kargen Bourgeoisie um ein mäßiges Honorar zu verrathen, was in der Zeiten Schooße verborgen liege. Aber nachdem das Geld, nachdem die Waare. Das „grand jeu“ war für die höheren Classen, das „petit jeu“ für die geringeren. Nachdem Edmond mehrere Jahre als Magier gewirkt, warf er eines Tages die Skelete, die Todtenköpfe, die kabbalistischen Figuren und seine chaldäische Garderobe in die Rumpelkammer und zog sich in die Provinz zurück, wo er als Rentier lebt und Muße genug hat, über die Thorheiten der Menschen zu lachen.

Die Cartomanten werden von der Polizei nicht verfolgt; viele von ihnen stehen sogar mit derselben auf vertrautem Fuße und leisten ihr manchen Dienst. Da sich nämlich bestohlene Personen häufig an sie wenden, um den Dieb zu entdecken, so setzen sich mit ihnen die Diener der öffentlichen Sicherheit in Verbindung, erfahren von ihnen eine Menge Details und kommen dadurch nicht selten dem Hehler und Stehler auf die Spur. Vielleicht leisten sie der Polizei noch andere Dienste, die sich weniger auf das Mein und Dein beziehen.

Es leben, besonders in den ärmeren Vierteln von Paris, sehr viele Frauen, die aus dem Kaffeesatz prophezeien und von denen Einige großen Zuspruch haben. Auch die Chiromantie, die Handwahrsagerei, ist in Paris ein Gewerbe und wird von Manchen nicht ohne erklecklichen Gewinn betrieben. Die Welt will betrogen sein, und der gewandte Betrüger erfreut sich gewöhnlich eines wärmeren Dankes, als derjenige, der den Betrug enthüllt und dadurch die Eigenliebe des Betrogenen verletzt. Wir wundern uns über die Erfolge Cagliostro’s; wir haben jedoch an den Erfolgen des Amerikaners Home gesehen, daß das neunzehnte Jahrhundert kein Recht hat, der Leichtgläubigkeit des achtzehnten zu spotten, und daß es nicht die niederen, sondern die höheren und höchsten Stände sind, in denen der alberne Wunderglaube am tiefsten wurzelt.




Die Staßfurter Salzlager.

Von Professor Dr. K. Birnbaum.
(Schluß.)

Von weit höherem Werthe sind aber die Kalisalze und zwar einmal an sich selbst, zum anderen aber dadurch, daß Staßfurt in diesen Mineralien fast keine Concurrenz zu bestehen hat. Außer dem Lager von Sylvin in Kalucz in Oesterreich kennt man bis jetzt derartige Lager nicht. Ihre Bedeutung haben sie durch das in ihnen vorkommende Kali erlangt, und ehe man zur Besichtigung der Fabrikanlagen schreitet, ist es gerathen, sich über die Rolle des Kali in der Industrie und Landwirthschaft zu vergewissern.

Vom Kali wird in der Industrie sehr mannigfache Anwendung gemacht; man braucht:

Chlorkalium zur Darstellung von Salpeter, zur Alaunfabrikation, zu Kältemischungen; Jodkalium und Bromkalium in der Photographie, Cyankalium zur Bereitung von Metallauflösungen, zur galvanischen Versilberung und Vergoldung u. s. w.; kohlensaures Kali (Pottasche) zur Seifensiederei, Bleicherei, Färberei, Glasfabrikation und zu allerlei wichtigen Kalipräparaten; schwefelsaures Kali zur Alaun- und Glasfabrikation, zur Darstellung von Pottasche; salpetersaures Kali (Kalisalpeter) zu Schieß- und Sprengpulver, zum Conserviren und Einpökeln von Fleisch; chlorsaures Kali zur Erzeugung von Sauerstoff, zu Zündmassen, zu gefärbten Feuerwerken; chromsaures und blausaures Kali in der Färberei, letzteres zu Berliner- und Pariserblau; kieselsaures Kali ist bekannt als Wasserglas, und Aetzkali wird zum Bleichen, Färben und in der Seifensiederei gebraucht. In den Apotheken und Laboratorien werden außerdem noch alle diese und andere Kalipräparate in Mengen verbraucht.

Für die einzelnen Staaten war seit Erfindung des Pulvers die ausgiebige Beschaffung der dazu erforderlichen Rohmaterialien (Schwefel, Kohle, Salpeter) eine wahre Lebensfrage, und mancher blutige Krieg ist um ihretwillen schon geführt worden. Um der Schwefelzufuhren aus Sicilien und Neapel willen hat England von jeher in seiner italienischen Politik die der „freien Hand“ geliebt. In Ceylon und Bengalen wird Kalisalpeter in Menge gefunden; die Zufuhren nach England betrugen von 1858 bis 1863 jährlich von dreiundzwanzig bis vierundvierzig Millionen Pfund, wovon nur fünf bis zehn Millionen Pfund wieder direct ausgeführt wurden, ein anderer Theil in zehn bis vierzehn Millionen Pfund fertigem Pulver. Natürlichen Kalisalpeter findet man in beachtenswerther Menge nur noch in Spanien und vereinzelt in Ungarn, Frankreich, Italien, Nordamerika, Afrika. Andere Staaten mußten daher den zum Schießpulver brauchbaren Salpeter einführen (Deutschland jährlich 157,000 Centner) oder künstlich erzeugen. Dazu legte man entweder sogenannte Salpeterplantagen an oder mußte die Hülfe der Chemie, die Fabrikation, in Anspruch nehmen, um aus anderen kalihaltigen Materialien durch Umwandlung Kalisalpeter zu gewinnen.

Ein Franzose, Joulin, giebt in einer sehr interessanten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 730. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_730.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)