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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

könnt mich ein Stück Wegs begleiten; wenn Ihr den ganzen Tag lang herumvagabundirt seid, so kommt es jetzt auch nicht darauf an, ob die Frau noch eine halbe Stunde länger wartet! Ich habe ein Hühnchen mit Euch zu pflücken, Herr Schwiegersohn, und zwar ein ganz gehöriges! Was rührt Ihr für Teufelsbrühen ein! Komme ich heute früh in Euer Haus und finde dort mein Mädel mit rothgeweinten Augen – sie geht nicht mit der Sprache heraus, ein Blinder kann aber sehen, daß sie was auf dem Herzen hat. Ich will sie zum Mittagessen mit hinausnehmen, sie thut’s nicht, ich komme schon verdrießlich nach Hause und denke mich an einem guten Bissen zu erholen – pros’t Mahlzeit, da wartet erst die Bescheerung auf mich! Sitzt da ein ganz confiscirter Kerl, einer von Abraham’s Söhnen, und macht mir Offerten für Euch, weil er Euch nicht am Ort gefunden hätte. Bringt ein Kauderwelsch zum Vorschein, daß Ihr tausend Gulden bei ihm habt aufnehmen wollen, daß er aber selbst nichts gehabt hätte, inzwischen habe er herumgefragt und könnt’ es jetzt schaffen, wenn ich Bürgschaft stellen wollte, wegen der schlechten Zeiten. Ich hab’ den Kerl vor die Thür geschmissen, ehe er noch mit seiner gotteslästerlichen Zinsforderung zu Ende war. Was sind mir das für verfluchte Geschichten, Musje! Wenn Ihr Geld braucht, was geht Ihr da zu dem Judenvolk und kommt nicht zu mir? Bscht – still geschwiegen, ich weiß, was Ihr sagen wollt, daß ich selber ein armer Teufel bin, für Euch hab’ ich aber doch Geld im Hause, Geld wie Heu! Wie Ihr damals so aufsässig wart, als meine Frau Schwester dem Mädel was Jährliches hat aussetzen wollen, da ist sie auch aufsässig geworden, denn sie hat einen harten Kopf, das weiß ihr Mann am besten. So hat sie denn das ganze Capital, das sie Euch verzinsen wollte, in guten Staatspapieren in meine Hand gelegt, mit der Commission, daß ich’s Euch aufhebe und die Zinsen dazuschlage, bis einmal Noth an Mann käme, denn sie war so falsch auf Euch, daß sie Euch in Geldsachen kein gutes Wort mehr geben wollte. Kommt also in’s Guckucks Namen hinaus, heut’ noch oder morgen, und holt Euch von dem Eurigen, was Ihr braucht oder, was mir am liebsten wäre, die ganze Bescheerung. Wozu Ihr’s bracht, das geht mich nichts an – kann mir’s übrigens schon denken – alte Geschichten – Jugend hat nicht Tugend – Universitätsschulden etc. Und jetzt Basta, ich verbitte mir alles Dreinreden, macht Rechtsumkehrt und marschirt zu Eurer Frau. Das sage ich Euch aber, finde ich mein Mädel noch einmal mit rothen Augen, so kriegt Ihr’s mit mir zu thun, und die Tante hetz’ ich Euch auch noch auf den Hals!“

Ohne den jungen Mann zu Wort kommen zu lassen, machte der Revierförster sich von ihm los, drehte ihn mit seinen gewaltigen Fäusten um wie ein Kind und marschirte mit Riesenschritten der Chaussee zu.

Schaumberg sah ihm mit leuchtendem Auge nach. Eine Centnerlast war so unvermuthet, so plötzlich von seiner Seele genommen – ohne Rechenschaft ablegen zu müssen, konnte er sich für alle Zukunft von der Ehrenschuld befreien, die ihm so schwere Sorgen gemacht! Wenn auch noch genug auf seinem Gemüth lastete – die Ehre war nun gerettet!

Sein ganzes Herz drängte ihn jetzt zu Elisabeth – er empfand ein gebieterisches Bedürfniß, sich voll und ganz gegen sie auszusprechen und aus dem Chaos von Empfindungen, das ihn an diesem Tage bedrängt hatte, das eine, höchste Gefühl seines Herzens klar hervorzuheben.

Als er sein Haus betrat, flog Elisabeth ihm entgegen und umfing ihn mit leidenschaftlicher Innigkeit. Er sah ihr in die Augen – ihr Vater hatte wahr gesprochen, noch jetzt trugen sie Spuren vergossener Thränen.

„Endlich bist Du da!“ rief sie erregt, „ich habe mich so nach Dir gesehnt! Warum sagtest Du mir nicht, daß Du nach Bamberg zurückwolltest? – aber still davon, ich sehe, daß Dein Auge heut’ heller blickt – die Sorgenfalte ist fort von der lieben Stirn – Du hast Deinen Zweck erreicht!“

„Ja, Elisabeth,“ sagte er, „diese Sorge ist gehoben, so weit es meine Verpflichtungen betrifft, und Dein Vater ist es, der mich in ganz unerwarteter Weise davon erlöst hat. Was mich heute nach Bamberg führte, war aber nicht dieser Anlaß – es gab dafür einen andern Grund.“

„Also doch!“ sprach Elisabeth erblassend. „Ich fürchtete es wohl.“

Otto sah sie fragend an.

„Ich kenne den Grund, der Dich hingeführt,“ sagte die junge Frau bebend, – „ist Dir Aufklärung über die Absenderin des Kreuzes geworden?“

„Nein,“ erwiderte Otto mit wachsendem Erstaunen, „wie hast Du aber erfahren können, was nie über meine Lippen kam, was ich Dir eben jetzt zu vertrauen dachte?“

Elisabeth barg den Kopf an seine Brust. „Das Kreuz ist mein!“ hauchte sie, kaum hörbar, „– wird es mich Deine Liebe kosten, Otto?“

„Elisabeth!“ rief er in unbeschreiblichem Ton.

„Höre mich an!“ sagte sie, ohne die Stelle an seiner Brust zu verlassen, „ich will Dir Alles, Alles gestehen! In jeder Stunde dieses angstvollen Tages hab’ ich’s mir von Neuem gelobt, Dir nichts zu verhehlen!“

Ihr ganzer Körper zitterte in Otto’s Armen; sanft leitete er sie zum Sopha, wo er sie neben sich niederzog, mit kosender Hand über ihre Flechten strich und ihre fieberisch glühende Stirn mit seinen Lippen berührte. „Sprich denn, mein Liebling!“ sagte er bewegt.

„Lange, ehe Du von meinem Dasein wußtest, habe ich Dich geliebt! Du hast gehört, daß meine Tante, als ich in Bamberg bei ihr lebte, am Regnitzufer wohnte. Die Fenster meines Zimmers, nach dem Garten zu, gingen nach dem Spital – da sah ich Dich täglich in den Sälen wirken und walten – durch die hohen Scheiben konnte ich Alles unterscheiden, was in der Nähe der Fenster vorging. Ich sah die Freundlichkeit, mit der Du den armen Kranken begegnetest, ich sah, wie ihre Gesichter aufleuchteten, sobald Du in ihre Nähe kamst, und ich gewann Dich lieb aus dem Grunde meines Herzens! Ein ganzes Jahr lang genügte es mir, Dich so zu betrachten, an Dich zu denken – da kam des Onkels Versetzung nach München. Ich sollte fort – der Gedanke, Dich nicht mehr sehen zu dürfen, nie wieder von Dir zu hören, ließ mich erst ganz empfinden, wie fest mein Herz an Dir hing! Ich verweinte damals alle Nächte, der sehnlichste Wunsch, Dich ein einzig Mal zu sprechen, ehe ich ging, ließ mir keine Ruhe mehr! In diesen Tagen führte ein unglücklicher Zufall einen Roman in meine Hände, in dem ein ähnlicher Brief, wie der erste, den ich Dir geschrieben, zu einer glücklichen Verbindung zweier Herzen geführt hatte. Im ersten Augenblick war ich betroffen – dann schien es mir wie ein Fingerzeig von Oben! Die Tante wollte noch in Bamberg bleiben, bis die Festlichkeiten zu Ehren der Königin vorüber seien, ich sollte meinen ersten Ball bei diesem Anlaß mitmachen, gleich nachher war die Abreise bestimmt. Ich versuchte, meine Schrift zu verstellen – es gelang mir, und ich schrieb jenigen unseligen Brief! Zwei Tage lang kämpfte ich noch mit mir, mein innerstes Herz warnte mich – endlich warf ich ihn doch in den Briefkasten! Was hätte ich schon eine Stunde nachher darum gegeben, wenn ich ihn hätte zurücknehmen können! Als der Ball abbestellt wurde, fühlte ich mich wie erlöst – ein paar Tage darnach reisten wir ab, da gönnte ich mir das kurze Lebewohl an Dich, weil ich fest überzeugt war, Dir nie mehr zu begegnen. Denke Dir nun meine Empfindung, als mein Vater im Herbste schrieb, Du seist hierher versetzt. Unwiderstehlich zog es mich in Deine Nähe, und ich bat meinen Vater, daß ich nach Hause kommen dürfte. Ich lernte Dich kennen, Otto! Du gewannst mich lieb, mein Gefühl für Dich ward mit jedem Tage tiefer, nun aber kam auch die Strafe für mein keckes, unweibliches Beginnen! Je mehr ich Deinen Charakter erkannte, desto klarer empfand ich, daß Du mich verurtheilen würdest, wenn Du wüßtest –“

Elisabeth brach ab; die plötzliche Erregung erstickte ihre Worte.

Otto zog sie näher an sich, „Geliebtes, thörichtes Kind!“ sagte er innig, „welche Schreckgespenster hast Du Dir heraufbeschworen! Wie konntest Du noch fürchten, daß Dein Bild sich mir entstellen würde, nachdem ich Dein Herz, Dein ganzes, in schönster Weiblichkeit aufgehendes Herz erkannt und besessen habe!“

„Denke an den Abend vor unserem Hochzeitstage!“ rief Elisabeth erregt.

„Ich denke daran,“ – sagte Otto, und ein ernster Zug glitt über sein Gesicht, „und ich kann es nicht fassen, daß jener Augenblick in Deinem Zimmer, wo mein ganzes Herz Dir offen lag, kein Vertrauen in Dir weckte!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 795. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_795.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)