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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Dem obigen Zerrbild des französischen Thier- und Menschen-Zusammenlebens gegenüber hatte ich jüngst, bei einem Besuch in der Heimath, ein echt deutsches Bild vor Augen, wie es in einem Städtchen des Schwabenlandes unweit Stuttgart schon viele Hausfreunde vor mir erfreut hat. Und nach mir noch erfreuen wird und wie ich es von der geschickten Künstlerhand Specht’s hier mittheile. Warum soll ich’s nicht verrathen, daß die Jungfrau dieses Thierkreises eines den Lesern der Gartenlaube bereits bekannten Hundezüchters, ihres Onkels, thierkundige Nichte Marie ist?

So stand sie vor dem Zuber, in welchem sie der großen wolfsgrauen und weißgezeichneten, säugenden Hündin ihr Futter gebracht. Es sollte ein anderer Mensch es sich unterstehen, eines ihrer Jungen so ohne Weiteres als Spielzeug zu sich emporzuheben! Aber Marie ist die Herrin dieses Geschlechts, ihr gehorcht Alles, selbst der stattliche Rüde Marco, der hier am Rande des Zubers herumleckt, weil er den Futterrest selbst nicht anzutasten wagt, Die jungen Kobolde nehmen sich mehr Freiheit heraus; der eine stößt den andern in den Futtertrog hinein, während im selben Augenblick die kecken Spatzen seine Aufmerksamkeit fesseln. Die Rehe wissen, daß das saftige Gras in Mariens aufgebundenem Schürzchen für sie bestimmt ist. Nur die Katze auf dem Baume scheint dem Landfrieden nicht ganz zu trauen, und doch steht sie, auf der Herrin schützende Gegenwart bauend, bereit zum Sprung mitten in das allgemeine Vergnügen.

Man sagt, Mariechen sei seit ihrem zwölften Jahre im Geschäft der Hundeveredelung des Onkels rechte Hand gewesen. Mir war vor Allem ihre Erziehungsweise interessant. Es versteht sich von selbst, daß sie die Thiere füttert und pflegt, denn nur damit hängt für letztere die Naturnothwendigkeit zusammen, daß sie dafür sich von ihr etwas gefallen lassen müssen. Und auch das soll nicht so gefährlich sein. Wie ihre Belohnungen einfach in einem freundlichen Wort, einem Schmeicheln mit der Hand, einem Leckerbissen oder darin bestehen, daß sie sie von der Kette losmacht oder sie gar auf einen Spaziergang mitnimmt, – so beschränken sich die Strafen auf ein ernstes Wort, ein Drohen mit dem Finger, ein mehrtägiges Nichtliebkosen und Nichtloshängen von der Kette. Mit solchen an sich schwachen, aber durch die wunderbare Macht der Liebe starken Mitteln vermochte das Mädchen den löwenähnlichen Thieren freundlichen Umgang mit den scheuen Rehen, dem täppischen Wildfang von jungem Hund höfliche Rücksicht auf das anwesende Geflügel zu lehren, kurz ein Stückchen von dem Zustand zurückzuführen, wie ihn die Bibelbilder des Paradieses vor dem Sündenfall darstellen. Gerade darum heimelt uns dieses Bild so an und wird auch unseren alten und besonders den ganz jugendlichen Lesern und Leserinnen zu einem um so lieberen Anblick werden, als es im Gegensatz zu der französischen Hundekinderei, ein würdiges Beispiel von der Anmuth und Kraft der Thiere zeigt, welche allein unser Wohlgefallen an ihnen begründet.




Zwei Mönche einer protestantischen Hochschule.

1. Banz und der Pater Roman.

Aus der schönsten Frühlingszeit des Lebens und des Jahres erzählt man so gern eine liebe Erinnerung.

Als Koburger Gymnasiast, schon in der obersten Classe, wo der Sehnsuchtsblick nach der akademischen Herrlichkeit aufgeht, wohnte ich mit dem in den dreißiger und vierziger Jahren besonders bekannten und beliebten Novellisten und Reiseschriftsteller Gustav von Heeringen unter einem Dache. Der kleine, zarte, allezeit glattrasirte und feine Mann mit den großen schönen Augen hinter der Brille gehört zu den guten Geistern meiner Jugend; sein Bild steht unverblaßt in meiner Seele. Er war damals gewiß der seltsamste Kammerjunker des koburgischen Hofes und vielleicht aller Höfe; im äußern Dienst zeigte er sich wie jeder andere seines Ranges, aber im Innern hegte und pflegte er das schnurgeradeste Gegentheil von dem, was sein Dienstkleid andeutete. Talent und Bildung allein hätten das nicht verursacht, beide vertrugen sich gar wohl mit seiner Hofstellung; aber in ihm lebte zugleich der wahre Dichtergeist, für welchen Volk, Vaterland und Freiheit heilige Güter sind, und deren Cultus hielt er um so höher, je heimlicher er ihn begehen mußte. Seinen Patriotismus konnte er zwar in seinen Schriften vorsichtig bekennen; für seine Freude an einem gesunden Volksleben zeugen besonders, seine „Fränkischen Bilder“, welche eine Fülle kräftiger Schilderungen aus demselben aufbewahren; nur sein Freisinn mußte der kalten Hoflust gegenüber ein Zimmergewächs bleiben, aber um so sorglicher hat er’s gehütet und um so freudiger gezeigt, wenn das Vertrauen ihn schützte.

Er stand damals im dreiunddreißigsten Jahre, ich im zwanzigsten; er war ein adeliger Hofherr und ich ein armes „Studentle“, wie man damals in Koburg die Gymnasiasten noch nannte; aber mit einem Paar Dutzend Gedichte hatte ich mir’s verdient, daß er mich näher zu sich stellte. – Das Haus, wo wir wohnten, steht in einem Garten vor dem Judenthor. Er nahm die erste Etage der Hauptseite ein, ich ein Erkerstübchen nach hinten.

Da stand ich an einem Maiabend des Jahres 1834 am Fenster, das Auge dem grünen Adamiberg zugewandt mit seinem Gartenhäuschen, in welchem einunddreißig Jahre früher meine selige Mutter als Aufwartemädchen das sinnreiche Gespräch über Donner und Blitze mit Jean Paul gehalten hatte,[1] und lauschte dem Abendläuten, das vom Thurme der Heiligen-Kreuzkirche herüberschallte, – als plötzlich der freundliche rothwangige Kopf mit der goldenen Brille sich zur Thür hereinneigte und mit hausgenößlicher Vertraulichkeit rief: „Gar zu herrlicher Abend heut’! Kommen Sie, Fritz, machen wir eine Fußpartie nach Banz!“

Freilich war der Abend gar zu herrlich: wir hatten so viel zu betrachten und zu loben, und das Schöne lag überall so nahe auf unserm Gang in den reizenden Itzgrund hinein, an der Finkenau vorüber, wo der alte gute Johann Peter Uz einst so manches Lied gedichtet, daß noch eine Stunde vor Banz uns die Nacht erreicht hatte. Wir blieben in einem Dorfwirthshause, um in aller Frühe durch den Banzer Forst nach unserm Ziel zu wandeln. So geschah’s. Aus dem Itzgrund zu einem Morgen im Walde emporzusteigen, in diesem zu schwelgen und dabei das Wiedersehen alter Klosterpracht und des köstlichen Mainthals in der Erwartung vor sich zu haben, das war wirklich für ein Paar so leicht zu beglückende Poeten fast zuviel auf einmal.

Endlich standen die letzten Stämme des Waldes hinter uns und auf etwa Büchsenschuß-Entfernung vor uns, jenseits einer leicht abwärts geneigten breiten Ackerfläche in grünem Saatschmuck, erhob sich das mächtige Viereck der Gebäude, Paläste und Parkmauern von Banz, der einst hochberühmten Benediktiner-Abtei und nun dem Sommerschlosse des Cither-Herzogs Max in Baiern. – Da gähnte das hohe Thor, in welches am siebenten Juli vor achthundert Jahren die ersten Mönche eingezogen waren. Der große aufsteigende Hof mit der fürstlichen Auffahrt zum ehemaligen Abteipalast war noch über die Thormauer sichtbar, zur Rechten und Linken des Hofes dehnten die in gelbem Anputz paradirenden Beamtenwohnungen sich aus und zur Rechten des Palastes ragten die Doppelthürme der Kirche mit ihrem Bildsäulenschmuck empor, und dies Alles war begrenzt und zum Theil durchzogen von maifrischer, blüthenfröhlicher Baumpracht.

Man hat mit Banz auch ein reiches Stück Geschichte vor Augen. Schon die Kämpfe zwischen Kaiser und Papst wurden bis hierher verspürt. Die Frömmigkeit der benachbarten fränkischen Edelleute brachte das Kloster hoch in Flor. Aber zweimal, nach dem Bauern- und nach dem dreißigjährigen Kriege, mußte es sich fast völlig neu aus dem Schutte erheben. Dann stieg die Sonne wissenschaftlichen Ruhmes über demselben auf; Gregor Stumm hieß der merkwürdige Abt, welcher ungeheure Summen auf Bücher-, Naturalien-, Münz- und Kunstsammlungen verwendete und gegen Gelehrte jedes Glaubens, die derentwegen hier einsprachen, ausgedehnteste Gastfreundschaft übte. An der Erbschaft dieses Ruhmes hielten auch die folgenden Aebte fest, obgleich, wie wir nachher ganz genau erfahren werden, hier schon Vieles faul war, als im Jahre 1802 auch dieses Kloster aufgehoben und in den beneidenswerthen Sitz eines Landgerichts und eines Rentamts umgewandelt wurde. Nach den Franzosenkriegen brachte es die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_007.jpg&oldid=- (Version vom 4.1.2022)