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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

der Investitur des Superintendenten Deyling zu Leipzig (am 13. August 1721), der in der Biographie J. S. Bach’s von Bitter (I, 163 ff.) mitgeteilt ist, zeigt dies hinlänglich. Freilich haben die geistlichen Schmäuse zu allen Zeiten zu den Glanzpunkten in den Annalen der Gastronomie gehört, und Leipzig nahm ja überdies den Ruhm in Anspruch, ein kleines Paris zu sein. In der That verstand der dortige Magistrat schon viel besser zu speisen als hundert Jahre früher der Hof zu Berlin. Für die Haupttafel von vierundzwanzig Personen (die hohe evangelische Geistlichkeit, der Rath, Rector Magnificus) ist die Bemerkung gemacht: ‚Es muß ein Riß gefertigt werden, wie die Speisen und Confitüren zu setzen.‘ Zum ersten Gang erschien: Eine Wildpretspastete auf der Schüssel; eine Potage mit angeschlagenen Rebhühnern; große Forellen gesotten; Pörsche mit der Butterbrühe, Biranzen (?), Bistazien, Meerrettig; Hamburger Fleisch und Bohnen dazu; zwei Schöpskeulen mit Sateller-(?)Brüh; zwei Krebstorten. Zum andern Gang: ein Schweinsrücken mit sechs Fasanen belegt; ein ganz Reh gebraten; Schweinskopf mit Rindszunge belegt; allerhand Sallats; Babtißtorten, zwei Stück. – Die niedere Geistlichkeit, die an drei Tafeln zu je vierundzwanzig Personen speiste, erhielt nur sechs Schüsseln. Außerdem wurde ‚Ein Köstgen vor die Frau Superintendentin auf sechs Personen‘ angerichtet, in dessen sinniger Anordnung sich eine zarte Rücksicht und ein feines Verständniß des dirigirenden Künstlers für die Neigungen des weiblichen Geschmacks kundgiebt: ‚Ein Trütt Hühner (Truthühner-)Pastet, Eine Rehkeule mit zwei Rebhühner gebraten, drei Forellen gesotten, Johannisbeertortte.‘ Außerdem erhielt die Frau Deylingin für sich und die übrigen Damen einen Korb Confect, eine Mandeltorte, eine Krafttorte und Obst, während ‚vor die Herren Geistlichen‘ dreißig Stück Mandeltorten, dreißig ganze Krafttorten, dreißig Schälchen Confect und achtzig Stück Krafttorten gegeben wurden. Die Musikanten (zwölf Personen) und die Aufwärter (zweiunddreißig Personen) erhielten je vier Schüsseln. Getrunken wurde nur Bier (zwei Faß Wurzener, drei Achtel Faß Lobgünner) und Rheinwein (drei Eimer und sechs Kannen von einer gewöhnlichen Sorte, ein Eimer alter Rheinwein): eine Einfachheit, die bei einer so reich besetzten Tafel überrascht. Während übrigens, so weit man hieraus schließen kann, damals im innern Norddeutschland der Rheinwein allein verbreitet war oder doch den Vorrang vor allen anderen behauptete, bezogen die Bewohner der Küsten über See französischen Wein.

Das Danziger Archiv enthält eine Kostenrechnung einer Bürgerhochzeit im Danziger Werder am 26. Januar 1700, wobei an ‚Persohnen‘ vierhundertfünfundfünfzig Paar Theil nahmen. Verzehrt wurden: fünfundvierzig Pfund Gewürz, fünfzehn Stein Reis, zwölf Stein Pflaumen, fünf Ochsen, fünfundsechzig Kälber, fünfundvierzig Lämmer, hundert Paar Kapaunen, hundertfünfundvierzig Paar Tauben, sechszig Hasen, fünfundfünfzig Schweine, zehn Schock Karpfen, Brod von einer Last Weizen, zwei Last Roggen, an Zuckerwerk für dreihundertvierundvierzig Gulden. Getrunken wurden: sechszehn Tonnen Wismarer Bier, zehn Elbinger, sechsunddreißig Danziger, und vier Oxhofft Franzwein.

Wollte man die Musterung denkwürdiger Küchenzettel bis auf die neueste Zeit verfolgen, so müßte man ein Buch schreiben; denn je mehr wir uns der Gegenwart nähern, desto reichlicher wird das Material. Aber zugleich vermindert sich auch das Interesse. Der herrschende Einfluß der französischen Kochkunst absorbirt je länger je mehr die nationalen Eigenthümlichkeiten, und die gewaltige Zunahme des Weltverkehrs trägt auch nicht wenig dazu bei, die Unterschiede in den Mahlzeiten der verschiedenen Länder auszugleichen. Noch sind diese Unterschiede sehr erheblich, und selbst in ein und demselben Lande weichen die provinziellen Schattirungen stark von einander ab, wie in Deutschland die norddeutsche, rheinische und bairisch-österreichische Küche. Aber wer weiß, ob nicht schon unsere Enkel nur noch die schablonenhaften Menus kennen werden, die schon jetzt allen großen Gasthöfen von Mitteleuropa gemeinsam sind; ob nicht in hundert Jahren der Wanderer in abgelegener Gegend beim Anblick einer Dampfnudel oder eines Schmarrens ebenso erstaunen wird, wie der Mensch der Jetztwelt, wenn er in einer Gebirgsschicht auf einen fossilen Saurier oder ein anderes vorsindfluthliches Gebilde stößt!




Blätter und Blüthen.

Nestroy und der Mann des Juxes. Der Schauspieler Ignaz Stahl war vor drei Jahrzehenten ein sehr verwendbares Mitglied des Theaters an der Wien und eine grundehrliche Haut; – aber er war dabei so possirlich zänkisch und bärbeißig, daß er jahrelang der Mann des Juxes war für seine Collegen. Wenn man es zu arg mit ihm trieb, wurde er grob wie ein Sesselträger und man ließ ihn einige Tage in Ruhe.

Aber wie zu seiner Zeit es den Arm juckt, der an den Aderlaß gewöhnt ist, so juckte es auch den Schauspieler Stahl, wenn man ihm zu seiner Zeit keinen Possen spielte, an den er gewöhnt war. „Laßt mich ungeschoren!“ brüllte er. Und wenn man ihn ungeschoren ließ, schien sein Auge wehmüthig zu fragen: „Warum scheert Ihr mich denn nicht?“ Der Arme konnte den Aderlaß nicht mehr entbehren.

Es ist eine Stunde vor der Vorstellung. In der Herrengarderobe des Theaters an der Wien finden wir sie alle bei einander die lustigen und traurigen Räthe der papiernen Krone: die Komiker Scholz, Nestroy, Grois, Hopp, den herrischen Kunst, den schönen Gämmerler, den grimmigen Spielberger und andere Musensöhne, die einen Spectakel machen, daß ihre jungfräulichen Mütter ihnen sicher einen strengen Verweis gegeben hätten, wenn ihnen der Weg vom Apollo bis zum Director Karl nicht zu weit gewesen wäre.

Das Bühnenvölkchen lebte in der Zeit der goldenen Laune und bot eine Anzahl von theuern und billigen Späßchen im Ausverkauf feil, wie z. B. die sogenannten „Bären“, die damals Castelli aus der Wildniß herbeigezogen. Wenn Scholz mit seinem eisernen Ernst im Gesicht seine „patscheten Bären“ oder „Rathsel“ vorführte, brach man sich vergebens die Köpfe, denn die Lösung war zu blitzdumm, um von gewöhnlichen Menschenkindern gefunden zu werden.

„Aufgepaßt, meine Herren!“ rief Kunst. „Ein Bär, oder vielmehr Räthsel als Bär: Die Erste ist das Haus eines Gimpels, – die beiden letzten war Friedrich der Große und das Ganze ist der Vater eines sehr bekannten Lumpen.“

„Nest–roy! Nest–roy!“[1] riefen Alle nach ein paar Secunden.

„Richard Löwenherz hat sich blamirt! Da weiß ich ein ganz anderes ‚Rathsel‘, das nicht so leicht zu lösen ist,“ bemerkte Scholz mit höchst wichtiger Miene.

„Das wird wieder was Sauberes sein!“

„Heraus damit, Wenzel! Laß den wilden Bären los!“

„Es ist ein Rathsel in vier Silben. Die Erste ist ein Engländer, die Zweite ein Vieh, die beiden letzten eine Engländerin und das Ganze hat heute mein Pudel gefressen. Was ist das?“

Die Gesellschaft sann nicht lange nach, denn, wie gesagt, die „Rathsel“ des Komikers Scholz waren zu berüchtigt, um sich mit ihnen lange zu befassen.

„Die Lösung! Die Lösung!“ begehrten Alle.

Serviladi!“ sagte Scholz.

„Bravo, Wurstmacher! bravo!“

Die Bärenjagd wurde unterbrochen, denn Stahl, der Mann des Juxes, trat in strengster Balltoilette in die Theatergarderobe und in den Kreis seiner staunenden Collegen.

„Was hast denn Du heut vor, Nazi?“ frug Nestroy.

„Ich bin zum Ball und Hochzeitschmaus geladen,“ antwortete der Gefragte mit wohlgefälligem Schmunzeln, indem er sich schnell auskleidete und sich in’s Costüm seines zärtlichen Bühnenvaters warf. „Mein Ballkleid, – meine Cravatte und Stiefel bleiben unberührt auf meinem Platz!“ befahl er streng dem Garderobier. „Ich muß mich über Hals und Kopf umkleiden nach meiner letzten Scene!“

Die lustigen Brüder waren mäuschenstill, – blinzelten jedoch mit fragenden Augen auf Nestroy hinüber, der offenbar wieder über einen neuen Schabernack brütete.

Die Vorstellung begann und haspelte sich ziemlich rasch und lebendig aus der trocknen Kehle des durstigen Souffleurs. Im dritten Acte, während Stahl als zärtlicher Vater das Liebespärchen auf der Bühne mit aller Salbung segnete, – stand Nestroy mit einem vollen Bierkruge, umringt von den Verschworenen, in der Garderobe und füllte eines der glänzend lackirten Ballstiefelchen fast bis zur Hälfte mit edlem Gerstensaft an. Der Vorhang fiel. Stahl stürzte in die Garderobe, warf das Theatercostüme von sich, brachte eiligst seinen Kopf in Ordnung, schlang sich die weiße Cravatte um den Hals, legte die Beinkleider an und fuhr hastig mit einem Fuß in den gefüllten lackirten Stiefel hinein. Der edle Gerstensaft machte sich Luft und sprudelte in zwei rothen Fontainen an beiden Strupfen empor. A tempo hörte man ein gewaltiges Grunzen, wie in van Aken’s Gesellschaftssaal bei der Fütterung, sah den Mann des Juxes wie einen Kautschukmann bis zum Plafond emporschnellen und, als er wieder auf festen Füßen stand, dem Schneiderjungen in die Haare fahren, daß dieser ein Zetergeschrei erhob, als müßte er der Löschmannschaft einen Theaterbrand signalisiren.

Das gutmüthige Künstlervölkchen blickte mit der rührendsten Theilnahme auf den unglücklichen Collegen und brachte eiligst aus allen Winkeln Schuhwerk herbei, um ihm so schnell als möglich aus der Noth zu helfen. Nestroy bot ihm Filzgaloschen, Scholz ein paar alte Pelzstiefel, Gämmerler sogenannte Kanonen, Grois rothe Schnabelschuhe aus den Zeiten der Madame Pompadour, Kunst seine hirschledernen Ritterstiefel und Hopp ein Paar zerrissene Pantoffeln. Aber Stahl schleuderte seinen Collegen die Gaben der Liebe an die Köpfe und schrie zähneknirschend die Fäuste ballend: „Gebt mir den Bösewicht her, der mir das angethan hat! Gebt ihn mir her – mir kömmt’s auf einen kleinen Mord nicht an! Aber es soll der letzte Streich sein, den Ihr mir gespielt habt, das schwör’ ich Euch!“


  1. Der Verfasser der Posse „Lumpaci-Vagabundus“, wie bekannt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_031.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)