Seite:Die Gartenlaube (1869) 089.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Wunderliche Heilige.
4.0 Joseph Smith und die Goldene Bibel.

Wenn Jemand uns sagen wollte, er habe eine taube Nuß gepflanzt und es sei daraus ein stattlicher Baum geworden, so würden wir lachen und antworten: wir leben im neunzehnten Jahrhundert, Freund, und da giebt’s keine Wunder mehr. Die Geschichte der Mormonen aber würde uns dann widerlegen; denn sie spielt mitten im besagten Jahrhundert und ist genau das Wunder vom Baum aus tauber Nuß.

Und wenn ferner uns Jemand erzählte, er habe ein Ding, halb Feuer und halb Wasser, ein Geschöpf aus Frosch und Nachtigall zusammengesetzt, einen Regenwurm mit Hirschgeweihen oder auch nur ein Gebilde, das oben Frauenzimmer und unten Fisch, gesehen, so würden wir ihm nur glauben, wenn er hinzufügte: im Traume. Die Biographie des Propheten der Mormonen aber zeigt uns in voller wohlverbürgter Wirklichkeit weit Seltsameres als solche Zwitter der Traumwelt. Sie führt uns einen Heiligen vor, der zugleich ein Hanswurst war, einen kleinen Muhammed, der, mit einem großen Barnum zusammengewachsen, nach einem Leben voll plumper Lüge und kecken Schwindels den Tod des Märtyrers starb, und der jetzt von mehr als hunderttausend Menschen, und zwar keineswegs wilden Mohren oder Rothhäuten, sondern Angehörigen der „erleuchtetsten“ Nationen, als eine Art Halbgott, nicht viel geringer als Jesus Christus, verehrt und angerufen wird.

Das wäre! sagt der verehrte Leser. Witz oder Uebertreibung? Keins von Beiden. Hören wir die Geschichte.

In den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts – so erzählen die Mormonen – lebte zu Manchester bei Palmyra im Staate New-York eine Familie Smith, die aus Vermont eingewandert war und sich durch Gottesfurcht und frommen Lebenswandel auszeichnete. Namentlich der jüngste Sohn derselben, Joseph, hielt seinen Sinn schon in früher Jugend auf himmlische Dinge gerichtet, und häufig geschah es, daß er bis tief in die Nacht hinein zum Herrn um Erleuchtung über den Weg zu seiner Seele Heil flehte. Da begab sich’s, als er sein sechszehntes Jahr erfüllt hatte, daß sein Gebet erhört wurde. In Verzückung gefallen, sah er am Himmel ein glorreiches Licht, welches sich allmählich auf die Stelle im Walde herabsenkte, wo er kniete, und aus dem ihm zwei strahlende Engel entgegentraten. Dieselben verkündeten ihm, daß das gesammte Christenthum in Verderbniß versunken und deshalb von Gott des Priesterthums entkleidet worden sei, daß er, Joseph Smith, aber vor dem großen Jehova Wohlgefallen gefunden und Vergebung seiner Sünden gewonnen habe und daß er den Auftrag erhalten solle, das Priesterthum auf Erden wiederherzustellen und eine Kirche wahrer Gläubigen zu gründen zum Empfange des Herrn, dessen tausendjähriges Reich nahe sei.

Etwas später, am 23. September 1823, hatte er ein zweites Gesicht. Als er einsam auf dem Felde war, erschien ihm „eine überaus liebliche, unschuldige und herrliche Gestalt“, die ihm eröffnete, daß er zunächst berufen, ein in uralter Zeit verfaßtes heiliges Buch, welches die Offenbarungen Gottes in Amerika enthalte und von einem indianischen Propheten in der Nachbarschaft seines Wohnortes vergraben worden sei, wiederzufinden und zu veröffentlichen. Am nächsten Morgen nach dem Gipfel eines Hügels zwischen Palmyra und Canandaiqua geführt und angewiesen nachzugraben, fand er wirklich eine Steinkiste, aber der Versuch, sie zu öffnen, mißglückte wiederholt. Jedesmal schlug ihm ein Unsichtbares auf die Hand. Auf sein inbrünstiges Gebet um Erklärung dieses Räthsels empfing er die Antwort: der Schatz bleibe ihm vorenthalten, weil er, auf dem Wege vom Teufel überredet, sich vorgenommen habe, den Inhalt der Kiste zur Förderung seiner zeitlichen Angelegenheiten zu mißbrauchen. Wenn er sich bessere, solle er die Erlaubniß bekommen, die heilige Urkunde von hier abzuholen. Uebrigens solle er inzwischen Koptisch studiren, um sie entziffern zu können. Zu gleicher Zeit aber wurden ihm die Augen aufgethan, und „siehe, da stand vor ihm, der ihm jene bösen Gedanken eingegeben, der Fürst der Finsterniß, umgeben von seinen unzähligen Gesellen“.

Vier Jahre lang befleißigte sich Joseph nun eines Gott wohlgefälligen Wandels und strebte eifrig der Wahrheit nach, wobei ihm der Engel zur Hand ging. Endlich, am 22. September 1827 eröffnete dieser ihm die Steinkiste, zeigte ihm den Inhalt, der in dem Schwerte Laban’s, einem Brustharnisch, einer Prophetenbrille, Urim und Thummim genannt, und einer Anzahl von Täfelchen mit fremdartigen Schriftzeichen bestand, und gestattete ihm, einen Theil dieses Schatzes mit heim zu nehmen. Das Schwert, in der Zeit König Zedekia’s aus Jerusalem nach Amerika gelangt, war vom feinsten Stahl und hatte einen goldenen Griff. Die Brille zeigte die Gestalt eines kleinen Bogens, in dessen Oesen zwei durchsichtige Steine eingesetzt waren, und man konnte mit ihr Sprachen, die man nicht verstand, sowie in der Vergangenheit und Zukunft lesen. Die Tafeln, die wie Gold aussahen, waren „mit ägyptischen Hieroglyphen bedeckt und durch drei an der einen Seite hindurchgehende Ringe zu einem Bande zusammengehalten“. Einen Theil derselben verschloß ein Siegel.

Als der Engel sich entfernte, blickte Joseph noch einmal in das Behältniß. Da nahm er eine ungeheure Kröte wahr, die sofort heraussprang und sich in den Satan verwandelte. Derselbe sah den Propheten eine Weile starr an, dann fuhr er auf ihn los, versetzte ihm einen fürchterlichen Schlag und entriß ihm die heiligen Platten. Jener aber griff ihn, beherzt und durch übernatürliche Kraft gestärkt, an und rang mit ihm, bis er ihm den Schatz wieder abgerungen hatte, worauf er sich schleunigst entfernte. Zwar eilte ihm der böse Feind nach und verabreichte ihm noch einen Stoß, daß er hoch emporflog, die Platten dagegen vermochte er ihm nicht wieder zu rauben. Wohl aber erhoben sich jetzt andere Gegner.

Als die Nachricht von dem Funde sich in der Nachbarschaft von Manchester verbreitete, erlitt die Familie Smith von dem gottlosen Volke schwere Anfechtung. Man stellte die Sache höhnend als Betrug dar. Pöbelrotten bestürmten das Haus des Propheten und schossen ihm in die Fenster. Mehrmals wurden Versuche gemacht, ihm die kostbaren Platten zu entreißen. „Da er nun stets in Gefahr war,“ so erzählt der Mormonenapostel Pratt, „von einer Bande verworfenen Gesindels ermordet zu werden, so entschloß er sich endlich, den Ort zu verlassen und nach Pennsylvanien auszuwandern, wo sein Schwiegervater wohnte.

Er packte also seine Sachen ein, verbarg die Platten in einem Faß mit Bohnen und trat die Reise an. Noch war er indeß nicht weit gekommen, als ihn ein Gerichtsdiener mit dem Befehl, sein Gepäck zu untersuchen und die Platten in Beschlag zu nehmen, einholte. Aber wie sorgfältig er auch nachsah, dieselben waren nicht zu entdecken.

Smith zog nun weiter. Ehe er jedoch sein Ziel erreicht hatte, hielt ihn ein zweiter Beamter mit einem ähnlichen Auftrag an, war aber ebensowenig im Stande, das Gesuchte zu finden, und so langte der Prophet endlich bei seinem Schwiegervater am Susquehanna an.“

Hier übertrug er mit Hülfe der Urim und Thummim und eines Schreibers, Namens Cowdery, den unversiegelten Theil des Urkundenbuchs in’s Englische, und diese Uebersetzung erschien 1830, ein Jahr nach ihrer Vollendung, unter dem Titel: „Die goldene Bibel“, der später in „Das Buch Mormons“ verwandelt wurde, in Newyork im Druck.

So die Ueberlieferung der Mormonen. Anders die profane Geschichte, die Folgendes berichtet:

In den zwanziger Jahren lebte zu Manchester bei Palmyra eine Yankeefamilie Smith, deren Glieder sämmtlich im Rufe von leichtsinnigen Tagedieben und lügenhaften Taugenichtsen standen. Namentlich der jüngste Sohn, Joseph, hielt seinen Sinn schon in früher Jugend auf allerlei Schwindel und Nichtsnutzigkeit gerichtet. Statt zu lernen, trieb er als Knabe Possen. Statt zu arbeiten, streifte er als junger Mann lieber in der Gegend umher, um Schätze zu suchen, wobei er sich bisweilen einer Wünschelruthe oder eines Siebes, gewöhnlich aber eines von ihm beim Graben eines Brunnens gefundenen durchsichtigen Kiesels bediente, den er am Hute trug und der ein „Seherstein“ sein sollte. Er war

ein Bursch von stattlicher Figur und angenehmen Zügen, der mit

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_089.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)