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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

viel natürlichem Verstand ein gewisses einnehmendes Wesen und eine gewisse Beredsamkeit verband und mit dreister Anwendung dieser Eigenschaften manchen Einfältigen täuschte. In der Regel ließ er sich von denen, welchen er einen Schatz zu heben versprach, ein schwarzes Schaf liefern, das er alsdann unter Beschwörungsformeln schlachtete. Das Blut wurde den Geistern geopfert, das Fleisch und das Fell behielt er für sich. Spötter sagten deshalb, sein Schatzgraben habe zwar kein Gold und Silber, aber viel Hammelfleisch gebracht. Im Jahre 1825 entführte er dem Farmer Hale zu Harmony in Pennsylvanien, der ihn gastfreundlich aufgenommen, seine Tochter und ließ sich heimlich mit ihr trauen. Um dieselbe Zeit schwatzte er einem gewissen Lawrence unter dem Vorwand, er habe am Susquehanna eine reiche Silberader entdeckt, eine Summe Geldes ab. 1826 betrog er in ähnlicher Weise einen Deutschen, Namens Stowell, indem er in einer Höhle bei Manchester einen ungeheuren Goldklumpen wissen wollte.

Mit der „Goldenen Bibel“ aber, die Smith, von Engelshand geleitet, in jenem Hügel bei Palmyra (die Mormonen nennen ihn Cumorah) gefunden haben soll, verhielt sich’s folgendermaßen.

In den Jahren 1809–1812 hatte der Eisenwerksbesitzer Spaulding zu Conneauct in Nordohio in seinen Mußestunden eine Art historischen Roman verfaßt, den er „Die entdeckte Handschrift“ nannte und in welchem er die Ansicht durchgeführt hatte, daß die Ureinwohner des westlichen Continents Nachkommen der Kinder Israel seien. Dieses Buch bot er später dem Drucker Lambdin in Pittsburg zum Verlag an, und derselbe behielt es mehrere Jahre in Verwahrung und betrachtete es, als Spaulding 1816 starb, als sein Eigenthum. In dieser Eigenschaft gedachte er es, als er mit seiner Druckerei Bankerott gemacht, zu einer Speculation, die ihm wieder aufhelfen sollte, zu verwenden, denn es war trotz vieler Mängel im Stil immerhin ein Werk, welches Aufsehen erregen mußte. So übergab er es zur Feilung einem Bekannten, dem ehemaligen Setzer Sidney Rigdon, der in der Mitte der zwanziger Jahre zu Pittsburg als Prediger der Disciples, einer Wiedertäufersecte, wirkte. Der Tod Lambdin’s machte Rigdon zum alleinigen Besitzer des Geheimnisses, und ohne Verzug ging er an die Ausbeutung desselben. Zunächst prägte er den Roman in eine Bibel um. Dann traf er Vorbereitungen, um das Buch vom Glanz des Wunderbaren umgeben erscheinen zu lassen. Zu diesem Zweck setzte er sich heimlich mit dem damals auch in der Gegend von Pittsburg bekannt gewordenen Schatzgräber Joseph Smith in Verbindung, auf den die zu jener Zeit sich verbreitende Nachricht, in Canada sei ein altes Buch auf goldenen Tafeln ausgegraben worden, hinwies und der, wenn man ihn den Fund thun ließ, den Verdacht von Rigdon ablenken mußte. Sodann aber zog der Anfertiger der Indianerbibel von seinem bisherigen Aufenthaltsorte weg nach dem Städtchen Mentor im nördlichen Ohio, um sich dort eine Gemeinde zu gründen, der er hierauf ähnliche Dinge von der Verderbtheit des gesammten Christenthums, von der nothwendigen Erneuerung des Priesterthums und von der nahebevorstehenden Wiederkunft Christi vortrug wie die, welche der Engel seinem Gehülfen Smith verkündet hatte.

Soweit war Alles nicht ungeschickt eingefädelt. Nur fehlte es den beiden Schwindlern noch an den Mitteln zur Veröffentlichung des angeblichen Fundes durch den Druck. Indeß wußte Smith hier bald Rath zu schaffen, indem er sich an den Farmer Martin Harris, einen leichtgläubigen Tropf, der schon verschiedenen Secten angehört, mit dem Vorgeben machte, Gott habe ihm offenbart, er, Harris, werde ihm fünfzig Dollars zur Herausgabe der Goldenen Bibel vorstrecken. Harris war bereit dazu, und als die verlangte Summe natürlich nicht genügte, so gab er nach und nach gegen dritthalbtausend Dollars her, obwohl er dabei lebhaftem Widerstand von Seiten seiner Frau begegnete.

Nun ging man an’s Werk. Da Smith damals im Schreiben wenig bewandert war, so dictirte er seine Uebersetzung des Textes auf den Goldplatten oder, wie wir uns jetzt ausdrücken müssen, das ihm von Rigdon gelieferte Manuscript, erst diesem Harris, dann dem oben erwähnten Cowdery, der seines Zeichens ein verdorbener Schulmeister war. Weshalb der Prophet dabei hinter einem Vorhang saß, bedarf keiner Erklärung, und wenn er sich bei der Entzifferung der angeblichen Urkunde – es war nach den Mormonen „Neuägyptisch“ – die Prophetenbrille vor die Augen hielt, so werden die Leser ebenfalls nicht im Zweifel sein, was er damit beabsichtigte.

Daß etwas der Art, wie die oben beschriebenen Platten, existirt haben, ist nicht glaublich. Zwar sind der Ausgabe des Buchs Mormons, die mir vorliegt, zwei Documente vorausgeschickt, in denen elf Zeugen erklären, dieselben gesehen und in Händen gehabt zu haben. Aber diese Zeugen gehören, mit Ausnahme von Zweien, sämmtlich der Familie des Propheten und der ihres Nachbars Whitmer an, der 1838 von der Secte als Lügner, Dieb und Falschmünzer denuncirt wurde. Ein andrer Zeuge ist der wiederholt erwähnte Amanuensis Smith’s, Oliver Cowdery, später gleichfalls aller denkbaren Schlechtigkeiten angeklagt. Der letzte endlich, jener Harris, scheint ziemlich unklare Begriffe von der Bedeutung eines Zeugnisses gehegt zu haben, indem er einerseits durch Namensunterschrift erklärte, jene goldartigen Täfelchen gesehen und betastet zu haben, andrerseits aber dem Professor Anthon in Neuyork versicherte, Bruder Joseph habe sich geweigert, ihm dieselben zu zeigen, da „er nicht hinreichend rein von Herzen sei“.

Eine Probe der Schrift auf den Platten, die Harris dem Professor auf einem Blatt Papier brachte, bezeichnete dieser als einen Mischmasch alterthümlicher Alphabete und Phantasiebuchstaben. „Es war,“ so sagt er in seinem Gutachten, „augenscheinlich von Jemand angefertigt, der (man erinnere sich hier, daß Sidney Rigdon ursprünglich Buchdruckergehülfe gewesen) vor sich ein Buch mit verschiedenen Schriftgattungen hatte.“0 „Lateinische, griechische und hebräische Buchstaben, Kreuze und Schwänzchen, auf den Kopf gestellt oder umgelegt, waren in senkrechte Säulen geordnet, und das Ganze endigte mit der Figur eines Kreises, der in mehrere Felder geschieden, mit zahlreichen seltsamen Zeichen ausgefüllt und – zweifelsohne nach dem von Humboldt mitgetheilten mexicanischen Kalender copirt war.“

Das Buch Mormons, welches rasch fünf starke Auflagen erlebte und jetzt in englischer, französischer, walisischer, italienischer, spanischer, dänischer und deutscher Sprache zu haben ist, ist ein starker Band, der ungefähr so viel Stoff enthält wie das Alte Testament ohne die Apokryphen. Es zerfällt in die Bücher Nephi 1 und 2, Jacob, Enos, Jarom, Omni, Mosiah, Alma, Helaman, Nephi des Jüngeren, Mormon, Ether und Moroni. Der Inhalt hat nicht das Mindeste mit der geschichtlichen Wahrheit zu thun, ja er verstößt fast durchgehends gegen die Möglichkeit. Die Form ist mit ihrem unaufhörlichen „Und es begab sich, daß“ eine ungeschickte Nachahmung des biblischen Stils. Das Ganze ist durchgehends langweilig, trocken, eintönig und für Nichtmormonen ungenießbar. So unterlasse ich’s, eine Probe davon zu geben, und begnüge mich mit einer kurzen Uebersicht über den Inhalt.

Um das Jahr 600 v. Chr. wurde eine jüdische Familie vom Stamm Josephs, der fromme Lehi mit seinem Weibe Sariah und seinen vier Söhnen Laman, Lemuel, Sam und Nephi, von Jerusalem, wo damals der König Zedekia herrschte, zuerst an die Ostküste des Rothen Meeres, dann durch Asien an die See Irrkantum und zuletzt über das Meer nach der Westküste Südamerika’s geleitet, und elf Jahre später brach ein anderer Zug israelitischer Auswanderer, stärker als der frühere und meist aus Angehörigen vom Stamm Juda bestehend, gleichfalls nach dem großen Festlande jenseits des Stillen Oceans auf. Sie landeten in Nordamerika, begaben sich indeß später nach der Gegend der Landenge von Panama, wo man sie nach ihrer Hauptstadt die Leute von Zarahemla nannte und wo sie nach Verlauf von etwa vierhundert Jahren von dem einen Theile der Frühergekommenen entdeckt wurden und mit ihnen zu einem Volke verschmolzen.

Die Nachkommen Lehi’s nämlich schieden sich einige Zeit nach ihrer Ankunft auf amerikanischem Boden in zwei Stämme, indem einige von ihnen die übrigen wegen ihrer Gottesfurcht anfeindeten und verfolgten. Diese Frommen, die sich nach dem sie führenden Propheten Nephiten nannten, wanderten nach Centralamerika und von da nach dem Norden aus, während jene Gottlosen, nach ihrem Feldherrn Lamaniten geheißen, im Süden zurückblieben. Der Fluch Gottes verwandelte später ihre weiße Farbe in ein schmutziges Roth, dagegen ruhte der Segen des Himmels auf den Nephiten und führte sie zu Gedeihen und Ausbreitung.

Nachmals wichen jedoch auch sie von den Wegen des Herrn, verfielen in Sünden und tödteten die Propheten, die sie davon abmahnten. Da ergrimmte der große Jehova über sie und suchte sie mit harten Strafen heim. Finsterniß sank auf die Erde herab, ein grauenvolles Erdbeben wüthete von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_090.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)