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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Mund, gedrückt, sorgfältig bewahrt würde, denn heute bergen die weichen Blumenkelche außer ihrem Dufte noch manches heiße, längstersehnte Geständniß, manches Rendezvous, manch’ andere tiefgeheime Verheißung. Wie sehnsüchtig blickt die edle, bleiche Sennorita ihrem stolzen Ritter nach und grüßt solange mit wehend weißem Schleier, bis die wallenden Barettfedern an einer Straßenbiegung verschwunden sind.

Nordöstlich von der emporragenden Freiheitsgöttin auf der Plaza Victoria leuchtet eine glänzende Illumination, rauscht eine bacchantische Ballmusik durch die weitoffenen Balconthüren des Teatro Colon. Vor dem Portale drängen und reihen sich dunkle Kutschen mit leuchtenden Laternenaugen. Schimmernde Ballgäste schwanken durch zuschauende Maskengruppen zur Steintreppe und müssen manche schmeichelhafte, manche beißende Kritik anhören. Von hier aus überschwemmt ein kaleidoskopisches Gewühl die mondhelle Plaza. Krähende Pierrots, Harlekins, Sassafrasse, Dulcamaras, Magier, Don Quixotes, Riesen und Zwerge wirbeln gliederzuckend, tarantelwüthig um die Freiheitsgöttin, wie um das goldene Kalb in der Wüste. Weiterhin erregt ein der Vignette des „Punch“ entsprechender Compadrito mit safranrothem, spitzem Frack und falschem Buckel durch burleske Einfälle, Prisennehmen und Niesen ein brausendes Beifallsgelächter. Phantastisch uniformirte Züge der „Comparsas“ marschiren wohlgeordnet mit Sang und Klang die Straßen entlang und bringen befreundeten Familien Serenaden.

Der Mond leuchtete weich und voll über die letzte Carnevalsnacht. Langmäntlige „Serenos“ (Nachtwächter) mit Lampen und Blendlaternen fangen bereits die Verkündigung der zwölften Stunde und verloren sich dann in die tiefen Schatten an den Häusern. Flüchtig leichte Tritte, seidenes Rauschen dicht hinter mir machte mich aufmerksam. Eine hohe verschleierte Gestalt schwebte an mich heran, schob ihren zitternden Arm unter den meinigen und flüsterte fast athemlos. „Caballero, retten Sie, schützen Sie mich! Ich werde verfolgt!“

Ein wunderschönes bleiches Antlitz blickte mich unter dem emporgehobenen schwarzen Schleier mit oceandunklen Augen so ängstlich bittend an, daß an eine Weigerung nicht zu denken war.

„Woher kommen Sie?“ fragte ich.

„Vom Ball!“

„Wer verfolgt Sie?“

„Mein Mann!“

„Warum?“

„Er will mich tödten!“

„Wohin wollen Sie?“

„Zu meinen Eltern!“

„Nach welcher Straße?“

„Der Calle de las Piedras!“

Mit bebender Scheu wandte sie sich um, – sie zitterte heftiger; – auch mir war es, als ob in der Entfernung von etwa zwanzig Schritt eine Gestalt uns eilig folgte, schnell lenkte ich um die nächste Ecke, – eine uns entgegenkommende leere Kutsche wurde hastig von mir beansprucht, – wir stiegen ein, – der Wagen wendete um, da bog in wildem Lauf gleichfalls eine Gestalt um die Ecke, – die Pferde zogen an, – ein Schuß krachte hinter uns, und wie rasend stürmten die scheugewordenen Pferde mit uns von dannen.

Nach zehn Minuten langten wir an und stiegen aus. Noch war Licht im Hause; sie pochte an’s Fenster. „Wer ist da?“ fragte eine Stimme von innen. „Ich bin es, Euere Mercedes! Schnell, schnell, macht auf!“

Ein Negermädchen mit einer flackernden Kerze in der Hand öffnete.

Mit innigem Blick schaute Mercedes mich an und lispelte: „Gott lohn’ es Ihnen.“ Sie reichte mir die schmale kleine Hand und – die Thür schloß sich.

Auf der Schwelle schimmerte eine blutrothe Busenschleife. Ich hatte sie bei ihr gesehen, darum hob ich sie auf und steckte sie sorgfältig in die Brusttasche meines Rockes. „Adios, Du reizende, unglückliche Mercedes!“

Zu aufgeregt, um mich nach Hause zu begeben, lenkte ich meine Schritte hinab zur Landungsbrücke, die auf hohen Pfeilern weit in den Hafen hineinragt. Die dunklen Umrisse der Stadt verschwammen beim Dämmerlicht des Mondes in ferne, traumhaft graue Nebel.

Es schlug Eins! Die La-Platawellen rauschten stärker und warfen mondbeglänzte Schaumrosen an das Ufer und im Norden verschwand eine leuchtende Sternschnuppe in den tiefen Nebeln.

Der Carneval war vorüber. Ein blauer, sonniger, festmüder Aschermittwoch blickte durch die offenen Thüren und Fenster meiner Wohnung.

Da trat vom Markte heimkehrend, einen runden Korb mit Gemüse auf dem Kopfe, die junge, schlanke Mulattin Incarnacion in den Hofraum. Ohne den gefüllten Korb abzusetzen, beide Arme auf die Hüften gestemmt, erzählte sie heftig aufgeregt und mit Ausrufungen des tiefsten Mitgefühls, vor einer Stunde sei ein junges, schönes Weib von ihrem eifersüchtigen Manne in der Calle de las Piedras meuchlings erstochen worden, gerade als sie aus dem Hause ihrer Eltern nach dem Kloster San Juan zur Messe gehen wollte. O Mercedes, Mercedes!

Buenos-Ayres, im August 1868. Ferdinand Böhm.     




Die Fabrication des Schrots in England. Wie eine Flintenkugel gegossen wird, weiß ein Jeder, auch ohne daß er dem Caspar in der Wolfsschlucht dabei zusah, die Fabrication des Schrotes aber, welches ähnlich wie die Kugeln früher in kleinen, viele Löcher enthaltenden Formen gegossen wurde, dürfte, wie sie heute betrieben wird, weniger bekannt sein, deshalb will ich es unternehmen, das, was ich darüber in England sah und hörte, in gedrängter Kürze mitzutheilen.

Die Geschichte der Erfindungen, in welcher neben dem Bedürfniß nach Besserung einer Hantirung der Zufall oft eine so hervorragende Rolle spielt, erzählt uns, daß vor ungefähr fünfzig Jahren ein Bleigießer in Bristol, Namens Watts, durch einen Traum, in dem er einen Bleiregen auf sich herabfallen sah, auf den Gedanken gekommen sei, geschmolzenes Blei von der Höhe des Kirchthurms seiner Vaterstadt herab in ein unten hingestelltes Gefäß mit kaltem Wasser zu gießen, um auf diese Weise die kleinen Kügelchen herzustellen, deren Anfertigung seither so viel Zeitaufwand und Mühe kostete. Der Versuch gelang ihm vollkommen und er verkaufte seine Erfindung für eine nicht unbedeutende Summe.

In ähnlicher Weise, wie Watts vor einem halben Jahrhundert Schrot goß, wird dasselbe nun heute noch fabricirt, nur ist im Laufe der Jahre das dabei eingehaltene Verfahren wesentlich verbessert.

Die Thürme, von denen herab das geschmolzene Metall mittels Röhren in die darunter angebrachten Bassins fällt, haben eine Höhe von zweihundert Fuß. Mittels einer schmalen eisernen Wendeltreppe, welche ihr Licht von oben erhält, besteigen wir einen derselben und betreten den runden, staubigen Arbeitsraum, in dem sich, umgeben von unzähligen Mulden Blei, vor einem großen Schmelztiegel ein einziger Mann befindet. In der Mitte dieses Raumes sehen wir eine offene Fallthür und über unseren Köpfen gerade oberhalb derselben eine zweite, denn wir sind erst in dem ersten Schmelzzimmer angekommen, von welchem aus nur die feineren Nummern Schrot, zu deren Bildung ein geringerer Fall nothwendig ist, als zu den größeren, hergestellt werden. Die nichts weniger als einen freundlichen Anblick gewährenden Wandungen dieses Raums sind mit einer schmutzig grünen Decke überzogen, deren Entstehung uns sofort klar wird, wenn wir aus dem Schmelztiegel die erstickenden gelblichgrünen Dämpfe aufsteigen sehen, welche theils durch den im Bleie enthaltenen Schwefel, theils aber auch durch den der Masse zugesetzten Arsenik entstehen; letzterer Zusatz ist nothwendig, um sowohl das Metall zu härten, als auch dessen vollständigere Rundung zu bewirken. Diese giftigen Dünste üben einen sehr nachtheiligen Einfluß auf die Gesundheit Derer, welche sie einzuathmen gezwungen sind, und stellen somit die Schrotfabrication in die Reihe derjenigen industriellen Unternehmungen, welche nur auf Kosten menschlichen Wohlergehens bestehen. Ueber der Fallthür steht, von einem eisernen Rahmen getragen, ein zwölf Zoll im Durchmesser haltendes Sieb. Der Boden desselben ist mit Löchern versehen, welche der Größe des zu gießenden Schrots entsprechen und in den in Anwendung kommenden verschiedenen Sieben von 1/50 Zoll Durchmesser bis zu 1/360 Zoll variiren. Die Dimensionen der Löcher sind wesentlich schmaler als das entsprechend fabricirte Schrotkorn, für welches sie bestimmt sind, indem das flüssige Blei in feinen Fäden durch dieselben fließt und sich erst während des Herabfallens zu Kügelchen bildet.

Ehe der Gießer das flüssige Metall vermittels eines eisernen Schöpflöffels in das Sieb zu füllen beginnt, bedeckt er den Boden desselben mit einer ziemlich dicken Lage der Schlacken oder des Bleioxyds von der Oberfläche der Schmelzpfanne, und erst nachdem er sich durch eine Probe überzeugt, daß er eine genügende Masse dieses Stoffes hineingelegt hat, um einen gleichmäßigen Abfluß zu bewerkstelligen, beginnt er seine Operation, die schnell und ohne Aufhören fortgesetzt wird, bis die Pfanne geleert ist. Zischend hören wir dann die sich formenden Körner in das Wasserbassin fallen, welche hell und blitzend wie Silber von einem oder mehreren anderen Arbeitern herausgeschöpft und in das Trockenzimmer geschafft werden, woselbst sie auf durch Dampf erhitzten eisernen Platten schnell die anhaftende Feuchtigkeit absorbiren, doch auch den bisherigen Glanz sofort verlieren.

Daß nicht auch manche unvollkommene Körner bei dieser Fabricationsmethode vorkommen, bedarf wohl kaum der Erwähnung; diese werden dann nach vollendetem Trockenproceß auf eine ebenso einfache wie sinnreiche Weise von den vollkommenen getrennt, indem man sämmtliches Schrot mit einer besonders geformten Schaufel auf eine schiefe Ebene wirft und herablaufen läßt, wo dann die nicht ganz runden Körner nach verschiedenen Zickzackbewegungen auf derselben liegen bleiben und demnächst noch einmal in die Schmelzpfanne wandern.

Nach diesem Proceß folgt der des Sortirens, welcher mit Hülfe einer Maschine geschieht, die einer Kornreinigungsmaschine nicht unähnlich ist und die Körner mittels durchlöcherter Cylinder, je nach deren Größe, kunstgerecht in ein besonderes Fach wirft.

Der letzte Gang, den die Schrotkörner vor ihrer Verpackung für den Markt zu machen haben – die in Säckchen von achtundzwanzig Pfund englisch von Frauenhänden geschieht – ist in die Polirmühle, welche gleichzeitig mehrere hundert Centner derselben, die mit einer bestimmten Quantität gepulvertem Reißblei gemischt und in große, von Dampfkraft in Bewegung gesetzte Cylinder gebracht werden, durch die schnelle rotirende Bewegung, welche sie erhalten, vollkommen abschleift und ihnen das tiefschwarze Aussehen giebt, welches wir an denselben kennen.

Der Jäger von Fach unterscheidet zwölf Sorten von Schrot, deren Nummern durch die Größe bestimmt werden. Die Körner der größten derselben, Schwanenschrot oder auch Rehposten genannt, haben ungefähr den Umfang gewöhnlicher Erbsen, während die kleinsten, Nummer 12, Vogeldunst genannt, einem Stecknadelkopf gleichkommen. Einige wenige Fabriken machen eine noch kleinere Sorte, deren Körner nicht größer sind, als die des gewöhnlichen Schießpulvers, und besonders in England von Naturalisten und Sammlern zum Schießen von Schmetterlingen und kleinen tropischen Vögeln, welche durch das gewöhnliche Schrot zu sehr zerfetzt werden würden, sehr geschätzt sind. F. v. Wickede.     



Inhalt: Reichsgräfin Gisela. Von E. Marlitt. (Fortsetzung.) – Der russische Carneval. Mit Abbildung. – Könige von Gottes Gnaden. Eine Rothweinskizze von Paul Wendt. (Schluß.) – Wunderliche Heilige. 4. Joseph Smith und die Goldene Bibel. – Fremde Hand im Vaterland? Eine Antwort dem Rittergutsbesitzer Herrn v. M. im Hannöverschen. Mit Illustration. – Polytechnikum der Gartenlaube. Nr. 1. – Blätter und Blüthen: Die Carnevalstage in Buenos-Ayres. Von Ferdinand Böhm. – Die Fabrication des Schrots in England. Von F. v. Wickede.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_096.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)