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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

daneben und trat dann, die Platte mit dem Silber auf dem Arm, in die Halle zurück.

Dieser Anblick genügte, um der schönen Frau sofort eine Fluch verhaßter Erinnerungen aufzudrängen. … Der schreckliche Mensch dort hatte sie einst gezwungen, hie und da den schwarzen Kochtopf in die Hand zu nehmen, in die Hand, die jetzt den Ehering des mächtigsten Mannes im Lande trug – der Gedanke, daß diese weißen Finger ein Verbrechen begangen, hätte die Dame nicht mehr aufregen können, als die Erinnerung an die schändenden Rußflecken. … Ferner hatte sie recht gut gewußt, daß der alte Soldat zu Ende des Quartals stets den Unterhalt für sie und ihre Mutter aus seiner Tasche bestritten – die Baronin Fleury, Excellenz, hatte somit Bettelbrod gegessen – und dort in dem Thurmzimmer war die alte, blinde, eigensinnige Frau gestorben mit den furchtbarsten Anklagen auf den Lippen gegen den, dessen stolzen Namen die Tochter jetzt führte – auf jener Terrasse aber hatte einst in einer lauen Sommernacht ein Mann gestanden, der hohe, schöne Mann mit dem prächtigen, blonden Vollbart, dem schweigsamen Mund und melancholischen Gesicht, und an seine Brust hatte sich ein junges Mädchen geschmiegt, auf seinen ungestümen Herzschlag lauschend – über die Waldwipfel aber war der Mond gekommen, groß und voll, und das junge Mädchen hatte geschworen, geschworen – die Frau hinter dem Strauch fuhr in die Höhe wie von Furien aufgejagt – fort, fort! … welcher dämonisch heimtückische Zug hatte sie hierhergeführt! …

Ihr verfinstertes Gesicht war todtenbleich geworden, aber nicht unter den Schmerzen fruchtloser Reue – das war Grimm, unauslöschlicher Haß, mit welchem die schwarzen Augen noch einmal zurückblickten nach dem unseligen Hause, das die letzte Zweiflingen so „entwürdigt, kindisch und thöricht“ gesehen hatte – und doch haftete ihr flüchtiger Fuß plötzlich wieder am Boden, denn aus der Halle trat in diesem Augenblick auch eine Männergestalt.

Unser Pygmäengeschlecht steht heutigen Tages voll ungläubiger Verwunderung in den alten Rüstkammern und sinnt, was das wohl für Gestalten gewesen, die einst unter dieser Wehr- und Waffenlast sich so gewandt und unbeschwert bewegt hatten, als schritten sie leichtbeschuht über die Fließen des Banketsaales – dort stand eine solche Reckenerscheinung – dieses schöne braune Gesicht würde sicher unter dem wuchtigsten Helm trotzig gelächelt haben, und die mächtige, kraftvolle Gestalt mit der breiten Brust und dem stolzgetragenen Haupte, die nach Frau von Herbeck’s Aussage „wie ein Gott“ zu Pferde sitzen sollte, hätte wohl auch im klirrenden Eisenpanzer die südliche Geschmeidigkeit der Bewegungen nicht verleugnet.

Heute konnte die Baronin den Fremden mit mehr Ruhe und Muße beobachten; ein breitrandiger Pflanzerhut hatte vorgestern sein Gesicht halb beschattet; nun sah sie tiefgebräunte Züge mit der tadellosen Linie des Römerprofils – kein Bart verdeckte die klassische Rundung des Kinnes und der Wangen. Die braune Haut verdankte er offenbar mehr der Einwirkung des tropischen Himmels und seinen muthmaßlichen Strapazen und Streifzügen unter demselben, als seiner südlichen Abkunft – denn die Stirn, die der Hut beschützt hatte, war bleich wie Alabaster, aber, seltsam – sie leuchtete förmlich, und doch gab gerade sie dem jungen Gesicht – der Mann mochte vielleicht dreißig Jahre zählen – den Ausdruck eines gereisten, finsteren Ernstes, ja, die zwei einschneidenden Furchen zwischen den stark entwickelten Brauen trugen entschieden das Gepräge des tiefsten Mißtrauens, einer förmlichen feindseligen Protestation gegenüber dem gesammten Menschengeschlecht.

Mit einer eigenthümlich sanften Bewegung, die an dieser hünenhaften Erscheinung doppelt auffiel, streckte der Portugiese seinen linken Arm aus – das Aeffchen sprang hinüber und legte die kleinen Arme mit der Zärtlichkeit eines Kindes um den Hals seines Herrn – der lauschenden Dame kam plötzlich die rätselhafte Empfindung, als müsse sie das unschöne Thier von ihm wegschleudern … hatte dieser heiß und jäh aufsteigende Gedanke die Eigenschaft eines fortspringenden elektrischen Funkens? … der Portugiese schüttelte in diesem Augenblick das kleine Geschöpfchen ziemlich unsanft ab, trat an die erste Treppenstufe und sah gespannt und aufmerksam nach der Richtung, wo die Baronin stand sie erkannte jedoch sofort, daß der Blick nicht ihr galt.

Schon einmal war der Neufoundländer, der vorgestern dem Töchterchen des Neuenfelder Pfarrers das Leben gerettet, an ihrem Versteck vorübergekommen – das Thier war rasch, mit keuchendem Athem gelaufen, hatte, als werde es gejagt, den ganzen Kiesplatz durchmessen und war dann hinter dem Waldhause verschwunden – jetzt kam es wieder.

„Hero, hierher!“ rief sein Herr hinüber.

Der Hund lief weiter, als habe er auch nicht einen Laut gehört; er beschrieb in seinem Lauf abermals den weiten Bogen um das Haus.

Der Mann dort war jedenfalls furchtbar jähzornig und heftig – seine braunen Wangen waren bleich geworden vor Grimm – er sprang die Stufen herab und erwartete das lautkeuchende Thier, das eben in gestrecktem Lauf wieder hinter dem Haus vorkam – ein erneuter, drohender Zuruf blieb ebenso erfolglos, wie der erste.

Mit zwei Sätzen sprang der Portugiese auf die Terrasse zurück, verschwand im Hause und kam sofort mit einem Terzerol in der Hand wieder heraus.

Das widerspenstige Thier schien zu ahnen, daß ihm eine Gefahr drohe – dahin rasend, so daß sein Leib fast die Erde berührte, verließ es den Kiesplatz und bog in einen der Waldwege ein, die nach dem See führten – sein Herr, der es noch im Verschwinden sah, sprang ihm nach.

Nun floh aber auch die entsetzte Frau. … Sie lief auf dem Wege zurück, den sie gekommen – den Sonnenschirm fortwerfend, hielt sie beide Hände auf die Ohren, um den Schuß aus der Waffe des erzürnten Mannes nicht zu hören. …

Der Weg, den der Hund eingeschlagen, beschrieb weit mehr Schlangenwindungen, als der, auf welchem die Baronin flüchtete, und doch, als sie athemlos die Waldwiese erreichte, umkreiste das Thier dieselbe bereits ebenso, wie den Kiesplatz – wohl streckte es die Zunge lechzend aus dem Rachen, allein die flüchtigen Füße zeigten keine Spur von Ermattung, es sah aus, als werde es von einer unsichtbaren Macht vorwärts geschleudert.

Die Lakaien hatten sich schützend vor den vollständig arrangirten Frühstückstisch gestellt, der jeden Augenblick in Gefahr war, umgerissen zu werden – aber keiner von ihnen wagte, sich an dem riesigen Thier zu vergreifen, oder es fortzuscheuchen.

Fast mit der Baronin zugleich, nur von einer anderen Seite, trat der Portugiese aus dem Walde, und in demselben Augenblick kam auch Gisela in Frau von Herbeck’s Begleitung vom See her – die schöne Frau stürzte auf die beiden Damen zu.

„Er ist ein Wütherich! … Er will den Hund erschießen, weil er ihm nicht gehorcht!“ flüsterte sie mit vibrirender Stimme und deutete nach dem Mann, der mit heftig arbeitender Brust und bleichem Gesicht dort stand – trotz der sichtlichen, tiefen, inneren Erregung hob er doch mit einer ruhigen, beherrschten Bewegung den Arm –

„O mein Herr, der Hund hat einem Kinde das Leben gerettet!“ rief Gisela – sie flog über die Wiese und warf sich zwischen den eben heranrasenden Hund und seinen tieferbitterten Herrn – sie fühlte sich plötzlich von einem Arm umfaßt und hinweggerissen, zugleich krachte ein Schuß, und das prächtige Thier brach dicht vor ihren Füßen zusammen. … Das junge Mädchen, das nie auch nur die leiseste Berührung einer anderen Hand duldete und infolge dieser seltsamen Scheu selbst Lena’s Dienstleistungen consequent zurückwies – es wurde jäh an ein heftig klopfendes Herz gepreßt, sie fühlte den Athem eines Menschen über ihre Stirn hinstreichen – entsetzt schlug sie die Augen auf – sie sah in das tief herabgebeugte Gesicht des Portugiesen, dessen dunkle Augen mit einem räthselhaften Ausdruck auf ihr ruhten. … Die gräfliche Waise hatte in ihrem Leben unzählige Mal die Besorgniß um ihren leidenden Zustand aussprechen hören – immer dieselben Phrasen, die ihr gesundes Gefühl abstießen und sie schließlich zu einem fast rauhen Widerspruch herausforderten – ein Blick voll wirklicher zärtlicher Angst läßt sich nicht heucheln, ihn hatte sie nie kennen gelernt, und deshalb begegneten ihre Augen verständnißlos denen des Portugiesen. …

Dagegen begriff sie sofort, daß er sie nur hinweg gerissen hatte, weil sie ihm im Wege gewesen, und daß Frau von Herbeck’s Ausspruch: „er suche etwas darin, sie zu beleidigen“, begründet sei – denn er zog urplötzlich seinen Arm an sich und trat jäh zurück, als habe er den kalten Leib einer Schlange berührt.

Dies Alles hatte sich in wenige Augenblicke zusammengedrängt. Der Portugiese warf das Terzerol von sich und bog

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_179.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2021)