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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

No. 14.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Reichsgräfin Gisela.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


Die Pfarrerin hielt demnach inne und verbesserte sich, indem sie sagte: „Sie sehen ja aus wie die Gesundheit selbst!“

„Mein Kind, es ist Zeit, aufzubrechen!“ rief die Baronin hinüber.

Gisela’s Augen verfinsterten sich – die Stimme der Stiefmutter ging ihr durch Mark und Bein. Die stattliche Frau da vor ihr mit den guten, treuherzigen Augen sollte ja mittels dieser schneidend hochmüthigen Töne fortgescheucht werden.

„Ich nehme die Erdbeeren mit nach Hause, Röschen,“ sagte sie zu dem Kinde, „und morgen kommst Du selbst zu mir und holst das Körbchen, nicht wahr?“

„Im weißen Schlosse?“ fragte die Kleine und schlug die unschuldigen Augen groß auf – sie schüttelte energisch das blonde Köpfchen. „Nein, dahin kann ich nicht kommen,“ entgegnete sie sehr entschieden; „Bruder Fritz sagt, im weißen Schlosse hätten sie den Papa nicht lieb!“

Darauf ließ sich nichts erwidern – Frau von Herbeck haßte in der That den Mann, und Gisela kannte ihn nicht. Das Gesicht der Pfarrerin aber war plötzlich sehr ernst geworden, wenn auch ihr Blick noch mit unverkennbarer Innigkeit an der jungen Dame hing, deren Mund betroffen schwieg.

Sie nahm ihr Kind an die Hand, um ihren Weg fortzusetzen – die Damen da drüben zogen die Handschuhe an, und Frau von Herbeck ließ sich von einem der Lakaien mit großer Ostentation den Spitzenshawl um die Schultern legen. …

Und wenn auch die schöne, junge, hochgestellte Dame dort einst ihr Brod gegessen und unter ihrem Dache Schutz gefunden hatte, die einfache Frau war doch stolz und tactvoll genug, sie nicht mehr zu kennen, da die zwei schwarzen Augen alles Andere, nur sie nicht zu sehen schienen.

Der schräglaufende Weg führte ziemlich hart am Frühstückstisch hin – die Pfarrerin neigte sich höflich im Vorüberschreiten; die Damen erwiderten den Gruß mit einem leichten Kopfnicken, und der Minister lüftete den Hut. … Sei es nun, daß der Sonnenstrahl, der dabei auf seine Stirn fiel, das Steingesicht freundlich belebte, oder blickten die halbgeschlossenen Augen in der That nicht so streng und zurückweisend wie gewöhnlich – genug, die Frau blieb plötzlich wie angewurzelt vor ihm stehen.

„Excellenz,“ sagte sie bescheiden, aber ohne die geringste Furcht oder Befangenheit, das hörte man an ihrer festen, sonoren Stimme – „der Zufall führt mich da vorüber – in’s weiße Schloß wär’ ich nicht gekommen; aber hier im weiten Walde, wo die Luft uns Allen gehört, kommt Einem auch ein Wort leichter auf die Lippen. … Sie dürfen ja nicht denken, daß ich um etwas bitten will – arm sind wir, aber arbeiten können wir auch Alle – Gott sei Dank – rechtschaffen. … Ich will nur fragen, weshalb mein Mann pensionirt worden ist?“ …

„Das fragen Sie am besten Ihren Mann selbst, Frau Pfarrerin!“ entgegnete der Minister spitz.

„Ei, Excellenz, da gehe ich lieber gleich vor die rechte Schmiede und antworte mir selber! … Ich kann es meinem Mann unmöglich zumuthen; denn wenn er der Wahrheit die Ehre geben will, da muß er fügen: ,Ich bin ein Mann, wie er sein soll – demüthig vor Gott und furchtlos vor den Menschen, eifrig und streng in meiner Pflichterfüllung und goldtreu von Gemüth – und muß mich nur wundern Uber die verkehrte Welt, wo bestraft wird, wer nicht gesündigt hat –’“

„Hüten Sie Ihre Zunge, Frau!“ fiel der Minister mit kalter Stimme ein und hob drohend den Zeigefinger – Frau von Herbeck aber kicherte unbeschreiblich maliciös auf – „eifrig und streng in der Pflichterfüllung!“ wiederholte sie, wenn auch mehr wie für sich – eine direkte Einmischung war doch zu sehr gegen die Etikette.

Das satanische Hohngelächter traf das Herz der Pfarrerin wie ein Messerstich; die rebellischen Blutwellen schossen ihr in’s Gesicht und die blonden, starken Brauen falteten sich finster – allein diese Frau ließ sich niemals fortreißen.

„Gnädige Frau,“ sagte sie, gelassen den Kopf nach der Dame umwendend, „Sie sollten nicht so lachen – ich mein’ sonst wirklich, die Neuenfelder Leute haben Recht, wenn sie sagen, Sie hauptsächlich hätten meinen Mann um’s Amt gebracht – einer Frau steht das Verfolgen gar nicht schön an!“

Jetzt war es um die letzte Etikettenrücksicht der Gouvernante geschehen! Den andächtigen Augen stand im Dienst des Herrn noch weit mehr verächtlicher Grimm zu Gebote, als ehemals der feudalen Weltdame.

„Was liegt mir an Ihrer Meinung?“ rief sie. „Denken Sie immerhin, was Sie wollen – das soll mich durchaus nicht abhalten, Nattern zu zertreten, wo ich sie treffe!“

„Sie vergessen sich, Frau von Herbeck!“ rief der Minister. Er streckte ihr Schweigen gebietend die bleiche Hand entgegen.

„Liebe Frau, die langen Auseinandersetzungen sind gegen mein Princip,“ wandte er sich mit der ganzen vernichtenden Kälte des gereizten Gewalthabers an die Pfarrerin zurück. „Ich hätte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_209.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2021)