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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

über der Nasenwurzel zusammenstoßenden Brauen beschattete Augen, bei denen der Beschauer unwillkürlich an ein tragisches Menschenschicksal denken, mußte.

Gisela hatte dieses wunderschöne, schwermüthige Männergesicht mit dem blond niederwallenden, vollen Bart vor langen Zeilen gesehen – „vielleicht in einem der colorirten Heldensagen-Bücher, die sie als Kind so unbeschreiblich geliebt hatte.“. Es lag etwas Unirdisches in dem Gesammtausdruck der Züge – entweder der Mann war nie auf Erden gewandelt, oder die Malerhand hatte in diesem Kopf eins Lebens- und Leidensgeschichte meisterhaft verklärt.

Dieses halbverhüllte Oelbild im Verein mit den Gerätschaften aus längstvergangener Zeit machten das düstere Zimmer zu einer Art von Reliquienschrein. Gisela meinte, mit der Luft auch den Hauch und Staub vertrockneter Blumenreste einzuathmen, ihr war, als müsse man hier in einsamen Stunden ein leises Geflüster aus dunkler Vergangenheit herüber hören können.

Sie nahm hastig alles Geld, das sie bei sich trug, legte es auf das Bett der Kranken und forderte sie auf, nach ihrer Genesung sofort nach Arnsberg zu kommen – sie wolle für das Kind sorgen; dann verließ sie das Zimmer.

In der Halle schrak sie zusammen vor einem ausgestopften Tiger, der am Boden kauerte und, den Kopf aus die Vorderpfoten gelegt, tückisch nach ihr hinüber stierte; die zottigen Felle unter ihren Füßen, die gleißenden Waffen an den Wänden, auf denen das Sonnenlicht funkelte, – das Alles erschien ihr wildfremdartig wie der Herr des Hauses selber. … Und dort in einer halboffenen, gegenüberliegenden Zimmerthür stand der alte Mann, mit finsteren Augen, in sichtlicher Spannung des Moments wartend, wo die Eingedrungene, „der das Unheil auf dem Fuß folgte“, das Haus verlassen würde.

Sie floh hinaus auf die Terrasse und legte draußen tiefaufathmend die Hand auf ihr heftig klopfendes Herz.

„Sie haben sich gefürchtet in meinem Hause?“ fragte die Stimme des Portugiesen neben ihr – er hatte, so lange sie im Waldhause war, dasselbe nicht betreten.

„Ja,“ flüsterte sie scheu weggewendet und schritt an ihm vorüber. „Ich fürchte mich vor dem alten Mann, und auch –“ sie schwieg.

„Und auch vor mir, Gräfin,“ vollendete er in eigenthümlich bedeckten Tönen.

„Ja, auch vor Ihnen!“ bestätigte sie muthiger, indem sie sich langsam auf der obersten Treppenstufe nach ihm zurückwandte und mädchenhaft schüchtern, aber doch mit dem Ausdruck ernster Aufrichtigkeit in seine Augen sah.

Dann stieg sie die Stufen hinab und schritt über den Kiesplatz. Am Springbrunnen blieb sie einen Augenblick stehen, hielt ihre weißen Hände in den niederfallenden Sprühregen und legte sie an die klopfenden Schläfe.

„Rache ist süß!“ schnarrte droben auf der Terrasse der Papagei und schwang sich wild auf seinem Ring. Die erschrockene junge Dame sah, wie der Portugiese, der ihr offenbar folgen wollte, einer Bildsäule gleich am Fuß der Treppe stehen blieb und mit bleichem Gesicht zu dem Thier hinaufstarrte.

„Wer weiß, was der Mann für eine Vergangenheit hat – selbst sein Papagei schnaubt Rache!“ hatte die schöne Stiefmutter gesagt. Und in der That, in seiner Erscheinung lag, wenn auch nur augenblicklich, etwas Wildes, Ungebändigtes. … Das war sicher ein Charakter, der nicht vergab, noch vergaß, der das Wort: ,Aug’ um Auge, Zahn um Zahn’ unerbittlich zur Geltung brachte und auf seinem Schilde trug!

Die Aeußerung der Mama hatte sehr verdächtigend gelautet – seltsam – die junge Dame wußte, daß der Mann ihr ausgesprochener Widersacher war, und dennoch, in dem Augenblick, wo er ihr sein edelschönes Antlitz wieder zuwandte, kam ihr ein Gefühl der Beschämung, fast ein stechendes Weh darüber, daß die zweideutige Bemerkung in ihrer Seele wiedergeklungen hatte.

Er stand mit wenigen Schritten neben ihr. Mittels einer leichten Bewegung seiner Hand fing auch er einige der niederfallenden Tropfen auf.

„Schönes, klares Wasser – nicht wahr, Gräfin?“ fragte er. Vorhin war seine bedeckte Stimme weich und wohllautend gewesen – jetzt mit dem häßlichen Rachegeschrei des buntgefiederten Thieres war der finstere Geist wieder über ihn gekommen. „Was für Wunder stecken doch in solch’ einem köstlichen Waldquell!“ fuhr er fort. „Die Gräfin Sturm läßt sich Stirn und Hände benetzen, und – weggespült ist das Werk der Barmherzigkeit, die Berührung mit einer Welt, außerhalb der sie steht! … Sie kann getrost in’s weiße Schloß zurückkehren und unter strenge Augen treten – es haftet nichts mehr an ihr!“

Gisela erblaßte und wich unwillkürlich einen Schritt von ihm zurück.

„Nun, fürchten Sie sich abermals, Gräfin?“

„Nein, mein Herr – in diesem Augenblick sind Sie nur feindselig – nicht jähzornig wie vorhin. … Ich bebe nur vor der blinden Heftigkeit.“

„Sie haben mich jähzornig gesehen?“ Es lag viel Betroffenheit in seinem Ton.

„Würde ich wohl je in das Haus dort getreten sein, wenn ich nicht für das hülflose, unvernünftige Geschöpfchen auf meinem Arme gezittert hätte?“ fragte sie. Jetzt brach auch ihr tief beleidigter weiblicher Stolz in Blick und Stimme durch.

Die zwei verhängnißvollen Linien auf der Stirn des Portugiesen vertieften sich und ein leichtes Roth trat in die braunen Wangen – seine Lippen aber zückten spöttisch.

„Sie haben wirklich geglaubt, ich würde mich an dem armen, kleinen, eigensinnigen Tropf vergreifen?“ sagte er.

„Ja, mein Herr,“ entgegnete das junge Mädchen und sah, trotz ihrer energischen Haltung, mit den weitaufgeschlagenen braunen Augen fast kindlich unschuldig zu dem hohen, gewaltigen Mann empor. „Ich bin noch sehr unerfahren – ich verstehe gar nicht, in den Gesichtszügen Anderer zu lesen, denn mein Leben ist ein sehr einsames –“

„Aber den Jähzorn im menschlichen Auge kennen Sie?“

„Ja – und ich weiß auch, daß die Hand keiner Leidenschaft so schnell gehorcht, wie ihm.“

Sein Blick hing an ihrem Gesicht.

„Wie mag Ihnen dieses Stück Nachtseite der Menschenseele nahe gekommen sein!“ murmelte er mehr wie für sich. … Und in der That, sie stand da vor ihm mit der keuschen Stirn und den leidenschaftslosen Zügen, wie eine jener Gestalten, denen die Maler den Palmzweig in die Hand drücken. „Und so wild und unbeherrscht wollen Sie auch mich gesehen haben?“ fügte er nach einem augenblicklichen Schweigen hinzu.

Ein leises Erröthen lief über ihr Gesicht. „Ich habe diese Ausdrücke nicht gebraucht,“ versetzte sie, abermals scheu zurückweichend. „Aber ich mußte vorhin bei Ihren Augen denken, daß ich sie früher schon einmal gesehen habe.“

Wie von einem elektrischen Schlag getroffen, wandte der Portugiese plötzlich sein Gesicht nach der entgegengesetzten Richtung, so daß die junge Dame nicht einmal die Linie seines Profils sehen konnte.

„Sie waren in Brasilien, Gräfin? … Denn wo sonst könnten Ihnen meine Augen begegnet sein?“ fragte er in erzwungen leichtem Ton, wobei er angelegentlich die niederfallenden Tropfen der Fontaine zu zählen schien.

Diese Art Nonchalance von Seiten eines Mannes, der in seiner ganzen majestätischen Erscheinung ihr so gewaltig imponirte, dessen Handlungsweise, gegenüber den Menschen, sie bewunderte, verletzte sie tief.

„Ich kann begreiflicherweise nur von einer Aehnlichkeit sprechen,“ sagte sie kühl zurückhaltend, „von einer Aehnlichkeit, die vielleicht nur im augenblicklichen Ausdruck liegt. … Ich wurde als Kind von einem Mann im heftigsten Jähzorn thätlich gemißhandelt – an diesen Moment dachte ich, als ich mich vorhin – überwand und den Knaben in das Haus, unter den Schutz seiner Mutter trug.“

„Hatten Sie den Mann gereizt?“

„Nein, mein Herr – absichtlich gewiß nicht! … Ich war vor das weiße Schloß gelaufen, um meine neuen, schönen Kupferdreier“ – ein flüchtiges Lächeln glitt im Rückblick auf diesen opfermuthigen Kindergedanken um ihre Lippen – „den Neuenfelder Armen als Unterstützung zu schicken. … Der Mann, den ich vorher nie gesehen hatte, schleuderte mich weit hin – ich glaubte, er wolle mich tödten. Er nannte mich ein häßliches, gebrechliches Menschenkind – und dann hatte er Recht – ich muß wohl ein sehr schwaches Geschöpf gewesen sein, denn der eine Augenblick des Schreckens und Entsetzens machte mich krank und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_227.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2021)