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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Andere Luft, mein Söhnchen, kein Lob und keine weichen Händchen, die Euch die Wangen streicheln, Ihr seid zu etwas Besserem als zu einem Pagen geboren! Um mich hat sich freilich weder in meinem Elternhause noch sonst irgendwo ein Weib gekümmert, ich mag sie aber auch nicht, die Katzen. Die Mutter starb, als ich eben geboren war, und da ließ man mich denn schreien stundenlang. Das hat mir vielleicht die gute Lunge gegeben. Nachher war auch das Leben rauh mit mir und die Lehrzeit hart, aber die Stimme wuchs vielleicht eben deswegen wie ein Baum, und singen gelernt habe ich von der Orgel. Mein Vater ließ mich neben sich stehen, wenn er spielte, und mit dem Orgelton mußte ich die Stimme schwellen und sinken lassen – da gab es denn manche Ohrfeige, wenn ich immer nur laut schrie, ohne mich zu mäßigen. So lernte ich’s, und eines Tages zupfte mich mein Vater an den Haaren, was seine größte Liebkosung war, und sagte: nun ist’s gut, nun wollen wir ein Sänger werden. Da steckte man mich zuerst in eine Capelle und dann wurde Scacchi[WS 1] mein Lehrmeister. Später ging ich nach Rom und Venedig, und jetzt bin ich hier im Norden, wie Ihr seht. Eine Sängerlunge aber, welche die Luft Italiens geathmet, kann unter dem grauen Himmel hier nicht lange ausdauern – meines Bleibens wird nicht von großer Dauer sein. Und dann ärgert mich die ganze Frauenzimmerwirthschaft und die kleine kokette Teufelin vor Allen, die Angelique la Barre mit ihrer dünnen Stimme und ihrem Ziegentriller, die Euch Alle verhext. Sie ist schlimmer als die Schweden, denn sie verdirbt mir das ganze Theater und meine besten Schüler, und somit auch Euch. Seht, wie Ihr roth geworden seid, kleiner Thor! O, ich weiß Alles, weiß, wie sie Euch schmeichelnd ihren Landsmann nennt, obgleich Euer Vaterland Brabant von dem Schlangennest Paris beinah so weit sein mag, wie Kopenhagen von Rom, und wie sie Euch zu sich lockt, um mit Euch zu kauderwelschen. Das Herz dreht sich mir um, wenn ich das Alles höre und doch nichts ändern kann, weil Ihr Alle toll seid. In’s Wasser möchte ich sie werfen, die schlaue Katze! Nun singt – ich habe mich ausgetobt!“

Und die klare, wunderschöne Discantstimme sang, aber Francesco war nicht mit der Seele bei den Tönen. Die Strafpredigt seines Lehrmeisters, an dem er hing mit aller Leidenschaft eines jungen feurigen Herzens, war nicht ohne Eindruck auf ihn geblieben. Früh verwaist, hatte der schöne Knabe mit entfernten Verwandten sein geliebtes Vaterland mit dem fremden Dänemark vertauscht. Sehr bald hatten seine Schönheit und seine bezaubernde Stimme in der nordischen Hauptstadt Aufsehen erregt, man sprach sogar dem musikliebenden Könige von dem jungen Fremden. Friedrich der Dritte liebte vorzugsweise zwei Dinge, schöne Menschen und schöne Stimmen. Franciscus gefiel ihm in der Grazie seines Wesens auf den ersten Blick, und der Vortrag eines kleinen Brabanter Volksliedes, das der Knabe vor ihm sang, entzückte den königlichen Herrn dermaßen, daß er fortan den Sänger täglich zu hören wünschte. Er übergab ihn sogleich zur ersten Ausbildung einem tüchtigen Musiklehrer, ließ ihn auch in den Wissenschaften unterrichten, überhäufte ihn mit Geschenken, und der Liebling des Herrschers wurde bald der Liebling des ganzes Hofes und der Aristokratie Kopenhagens. Man schmeichelte dem zierlichen Pagen, wie man ihn nannte, und so wuchs er auf wie ein kleiner Prinz. Nannte ihn sein hoher Gönner doch selber oft „mein lieber Sohn“! So gingen Jahre hin, als zwei Gestalten in das Leben Francesco’s traten, die demselben eine andere Wendung geben sollten: die reizende Sängerin Angelique la Barre kam von Paris und nahm ein Engagement an der Oper an, und – Caspar Förster wurde als Capellmeister nach Kopenhagen berufen.

Bei Gelegenheit eines Festes im Palaste eines reichen und vornehmen Kunstfreundes geschah es, daß die französische Sängerin und Schauspielerin den schönen Pagen zuerst sah und hörte. Ueberrascht von seiner Anmuth, trat sie ihm mit lieblicher Freundlichkeit entgegen und erbot sich ohne weitere Einleitung seine Singmeisterin zu werden. Geblendet schaute er auf zu dieser Erscheinung aus einer fremden Welt, zu dieser Fee, die aus einer rosenrothen Wolke von Seidenstoff und Spitzen ihm zunickte und lächelte. Eine berauschende Duftwelle umhüllte ihn, sie strömte aus dem Strauß zu ihm herüber, der an ihrer Brust blühte, dunkle Augen strahlten ihn an, und es war ihm, als hätte er noch nie schönere Lippen gesehen als die, welche soeben in der Sprache seines Heimathlandes flüsterten: „wollt Ihr mich als Eure Singmeisterin annehmen?“

Wer hätte auf eine solche Frage ein „Nein“ zu antworten vermocht?

Alle Tage dürfe er kommen, hatte sie ihm später zum Abschied noch gesagt, und da ging er denn auch hin zu ihr und stand neben der Harfe, die sie meisterlich spielte, und versuchte die zierlichen Triller und Rouladen nachzusingen, welche sie ihm mit der Stimme eines kleinen Vogels vorzwitscherte. Wie viel Zeit blieb ihm dazwischen, sie zu bewundern! Zierlich war Alles an der verführerischen Pariserin, die Gestalt, die Hände und Füße, der Mund und das Näschen, nur die Augen waren groß und von dem gefährlichsten Feuer. Besonders geduldig war sie nicht, diese reizende Lehrmeisterin; wie oft schob sie die Harfe zurück, stampfte mit den kleinen Füßchen den Boden und rief: „tu chantes comme un petit fou!“ (Du singst wie ein kleiner Narr.) Es war freilich reizend, diese ungeduldigen Füßchen in den hohen Hackenschuhen von hellem Atlas zu sehen! Oder sie warf sich zurück in ihren Sessel bei einem Triller, in dem ihrem Schüler der Athem ausging, oder bei einer ungeschickten Roulade, und lachte wie ausgelassen. So sehr nun auch Franciscus erröthete bei solchem Mißlingen, so hätte er doch am liebsten fortwährend schlecht gesungen, nur um sie lachen zu sehen und zuletzt – selber mit zu lachen. Es gab nichts Hübscheres auf der Welt nach seiner Meinung, als die lachende Angelique, sie war eben zum Lachen und Fröhlichsein geschaffen, wie die Sonne zum Leuchten. Die Augen blitzten, die Perlenzähne schimmerten zwischen den rothen Lippen hervor, überall tauchten Grübchen auf, und der Ton dieses Gelächters erinnerte an silberne Glocken.

Zuweilen geschah es freilich auch, daß sie in diesem Ausbruch der Heiterkeit ihren jungen Schüler beim Kopfe faßte und ihn auf die Stirn küßte, und dieselbe Liebkosung wurde ihm zu Theil, wenn er eine kleine Arie oder eine schwierige Stelle ohne Fehler nachgesungen. Es war seltsam, daß er aber nachher viel weniger gut sang. Nicht selten gebot sie ihm, sich nach der Stunde noch eine Weile auf einen Schemel zu ihren Füßen zu setzen, und dann mußte er ihr von seinem Daheim erzählen und von seiner Kindheit und der todten Mutter, die ihm so zahllose Lieder singen gelehrt mit der süßesten Stimme der Welt, und von seinem schönen Vater, der so früh gestorben, und von der alten wunderlichen Tante, die ihn mit nach Kopenhagen gebracht, und von seinem hohen Schützer und dem Leben im Königsschloß. Und während er redete, tanzten die kleinen Füße vor ihm auf und nieder und eine kleine unruhige Hand spielte mit den Locken seines blonden Haares. Die Singstunden wurden auch zuweilen durch Besuche unterbrochen, wie denn überhaupt die Wohnung der gefeierten Sängerin einem Taubenschlage glich. Elegante Cavaliere erschienen, um nach dem Wohlergehen der Bühnenkönigin zu fragen, niedliche Colleginnen hüpften herein, um Zuckerwerk zu naschen und pikante Geschichten zu erzählen.

Die Fortschritte des schönen Pagen waren also nur gering bei dieser Art des Unterrichts, aber das kümmerte ihn wenig, er lebte eben das sorglose Leben einer Blume, die sich von Jedermann bewundert sieht in ihrer ersten frischen Blüthe.

Da erschien Caspar Förster in der dänischen Hauptstadt und übernahm auf den besondern Wunsch des Königs die Leitung der Oper. Auf leuchtenden Flügeln war sein Ruhm ihm vorausgeeilt. Als Franciscus ihn bei einem Hoffeste zum ersten Mal hörte, stand er starr und regungslos hinter dem Thronsessel seines hohen Schützers, sein liebliches Gesicht erschien todtenblaß und die Thränen strömten unaufhaltsam über seine Wangen. Und am andern Morgen schon hatte er an die Thür Förster’s geklopft und ihn gebeten, ihn als Schüler anzunehmen. Der Gang kostete ihm große Ueberwindung, denn im tiefsten Herzen fürchtete er sich vor dem neuen Capellmeister, den ihm seine schöne Freundin als eine Art Menschenfresser und Eisbären zugleich geschildert hatte. Der berühmte Mann empfing ihn auch nicht sonderlich freundlich. „Der König hat mir schon von Euch gesprochen, mein Sohn,“ sagte er, „aber Ihr habt eine Frau zu Eurer Lehrmeisterin gehabt. Singt mir zuerst eine kleine Probe, damit ich selber höre, ob ich’s mit Euch versuchen kann!“

Zitternd und erregt bis in’s Innerste der Seele, sang Franciscus, und erwartungsvoll hingen die blauen Augen an dem strengen Antlitz des großen Sängers.

„Ihr müßt Alles wieder verlernen, was Ihr bis zur Stunde

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Marco Scacchi; Vorlage: Scuchi
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_234.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)