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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Ausdruck lag auf dem marmorweißen Gesicht mit den lodernden, dunklen Augen. „Diese Testamentclausel hat Kraft für Dich, nicht aber für mich – und deshalb, Kind, wirst Du mir schon erlauben müssen, das Armband an seinen Ort zu legen, lediglich, damit der letzte Wille der Gräfin Völdern nicht geschädigt werde.“

Die betroffene junge Dame ließ sich widerstandslos den Schmuck vom Anne nehmen – sie war ja so unerfahren, und ihre Rechte hinsichtlich des Mein und Dein hatten sie bisher sehr wenig interessirt. Sie hatte demzufolge augenblicklich keinen Maßstab für die Handlungsweise ihrer Stiefmutter – der beste Helfershelfer für Ihro Excellenz aber war die unbesiegliche Abneigung der Stieftochter gegen die schweren, kältenden Steine, sie war froh, als sie ihre Haut nicht mehr berührten.

Unten war unterdeß der Wagen vorgefahren. Frau von Herbeck, die stumm, aber in der peinvollsten Verlegenheit der kleinen Scene beigewohnt hatte, athmete tief auf, als sich die junge Gräfin mittels einer sehr förmlichen Verbeugung von ihrer Stiefmutter verabschiedete. Sie selbst empfahl sich wortreich und sichtlich erleichtert bei Ihrer Excellenz, während Gisela nach der Thür schritt.

„Apropos, nur noch Eines, Herzenskind!“ rief die Baronin bittend dem jungen Mädchen nach.

Gisela wandte sich in der Thür um und blieb stehen – sie schien durchaus keine Lust zu haben, sich noch einmal durch den bunten Kram und Tand zu winden, über den ihr Blick sarkastisch hinstreifte. Das Licht eines Eckfensters strömte voll über ihre Gestalt – die ganze herbe Jungfräulichkeit, aber auch die entschiedene Verwahrung gegen jegliche Gemeinschaft mit der üppigen Stiefmutter lag in ihrer Haltung. Die schöne Frau ließ sich jedoch nicht abschrecken – sie stand ja auf dem erhabenen Piedestal der Muttersorge und Mutterpflichten.

„Seit ich weiß, daß Du reitest, verzehrt mich die Angst!“ rief sie hinüber. „Nicht wahr, Du versprichst mir, kein Pferd zu besteigen, so lange Du in Greinsfeld bist?“

„Nein, Mama, das Versprechen gebe ich Dir nicht – ich würde es nicht halten können.“

Die Baronin biß sich auf die Lippen. „Kind, Du bist grausam!“ klagte sie schmollend. „Nun muß ich auch noch bei all’ den Strapazen, die mir bevorstehen, in der Angst leben, daß Du über Berg und Thal jagst und eines schönen Tages den Hals brichst!“

„Ich reite nicht so wild und unbesonnen, Mama – und Sarah ist ein frommes Thier!“

„Das will ich ja ganz gern glauben, aber es beruhigt mich noch lange nicht. … Wenn ich z. B. an das unebene Terrain zwischen Greinsfeld und Arnsberg denke, da schaudert mir die Haut – ich, für meine Person, habe es dem Papa stets verweigert, ihn auf der Tour zu Pferde zu begleiten.“

Auf dem fetten Gesicht der Gouvernante erschien ein häßliches, zweideutiges Lächeln.

„Beruhigen sich Euer Excellenz!“ sagte sie mit einem verständnißvollen Blick. „Unsere liebe Gräfin wird sicher ein anderes Terrain für ihre Spazierritte wählen – ich glaube nicht, daß sie sich besonders auf die Gegend zwischen Greinsfeld und Arnsberg capricirt. Auch auf unseren Ausfahrten vermeiden wir, wenn wir nicht gerade nach Arnsberg wollen, den Weg fast immer – er ist zu holperig, wie Excellenz ganz richtig sagen.“

Die Baronin nickte ihr huldvoll und dankbar zu.

„Nun, wenigstens ein Trost!“ seufzte sie auf. „Wenn mir auch die Angst bleibt, so habe ich doch die Beruhigung, Dich nicht auf dem Pferde sehen zu müssen, Du böser kleiner Trotzkopf! … Du versprichst mir fest, daß Du auf Deinen Morgenritten nicht in meinen Gesichtskreis kommen willst, nicht wahr, liebste Gisela?“

Das junge Mädchen bejahte mit sichtlicher Ungeduld. Diese Zärtlichkeit, die auch nicht einen Funken von Sympathie in ihr zu erwecken vermochte, bedrückte sie wie ein Alp, den sie um jeden Preis abschütteln wollte.

„Nun, so geh’ mit Gott, mein Kind!“ rief die schöne Stiefmutter und wandte ihr Gesicht dem Spiegel wieder zu.

Gisela verschwand, und Frau von Herbeck folgte ihr nach einer tiefen Verbeugung gegen die Excellenz am Spiegel.

Die Thür fiel in’s Schloß, und die Dame sank, wie zu Tode ermattet, auf einem Fauteuil in sich zusammen, während sie die Hand über die Augen legte. Daß die kleinen Pariser Maiblumen und Erdbeerblüthen auf dem Kleid bei der heftigen, rücksichtslosen Bewegung alle Frische einbüßen mußten, kümmerte die Hingesunkene nicht – ein nie dagewesener Moment!

Die Kammerfrau schlug stillschweigend die Hände zusammen, aber bei aller Alteration huschte doch ihr Blick schadenfroh und boshaft nach der gestrengen Herrin hinüber. … Das war freilich herzbrechend genug! … Wie oft hatte sie diese wundervollen Steine in das nachtschwarze Haar der schönen Frau versenkt und den stolzen Nacken, den sie selbst nie berühren durfte, mit ihnen geschmückt! … Vor zwei Jahren war die reizende deutsche Excellenz, buchstäblich besät mit Brillanten, auf einem Pariser Balle erschienen – seit jenem erhabenen, unvergeßlichen Augenblick hieß sie in der vornehmen Welt „die Diamantenfee“!

Welche Triumphe, wie viel himmlisch schöne Stunden knüpften sich an diese glitzernden Schätze! Sie hatten den Sieg der Schönheit[WS 1] unzähligemal mitgefeiert! Ihr Funkeln erinnerte an so manche Thräne im glühenden Auge Besiegter, welche die verlockende Diamantensirene durch alle Stadien der Leidenschaft geführt hatte, um sie dann hohnlachend mit dem Fuße fortzustoßen! …

Und nun sollte sie es hingeben, das glänzende Rüstzeug der Koketterie, ohne das sie nicht leben konnte und wollte – sie sollte es hingeben an eine Andere, Jüngere!

Einen Schleier über die Kämpfe in der Seele einer Frau, die mit bunten Steinen um ihrer Seelen Seligkeit würfelt! …

Währenddem verließ die junge Gräfin Sturm das weiße Schloß. Alle die großartigen Vorbereitungen zu glänzenden Festivitäten, die sie hinter sich ließ, berührten sie nicht – sie empfand keinerlei Bedauern. … Was lag ihr daran, den Fürsten von Angesicht zu sehen? Allerdings hatte sie eine unbegrenzte Verehrung für seine erhabene Lebensstellung – die war ihr ja von ihrem ersten Gedanken an fast noch sorgfältiger eingeprägt worden, als die Gottesverehrung – aber sie war auch weit entfernt von dem Kinderglauben der großen Menge, der einen ganz besonderen Stempel auf dem Gesicht der Herren von Gottes Gnaden sehen will.

Ja, sie hatte den Wunsch, dem Fürsten vorgestellt zu werden – aber nur aus Rücksicht auf die Traditionen der alten Geschlechter Sturm und Völdern! Ihre Ahnen waren seit Jahrhunderten in den Banketsälen der Höfe erschienen – sie hatten den Thron umstanden, erlaucht durch die Geburt und durch die Auszeichnung von Seiten der Herrscher! Und diesen Glanz, diese Rechte sollte und mußte die letzte Sturm auch bis zum letzten Athemzug aufrecht erhalten – das war eine heilige Pflicht! … War es wirklich nur der Gedanke an diese Pflicht, infolge dessen sie heute dem Papa den Wunsch nahe gelegt hatte? … Eine tiefe Gluth schoß in ihr Gesicht – sie hatte ein Geheimnis; vor sich selbst – sie flüchtete angstvoll vor den Ausplaudereien ihrer Seele in die Außenwelt. …

Ihre Hand griff in die Aeste der Eichen, unter denen der Wagen langsam hinfuhr – aber wie die schlanken, zackigen Blätterzungen durch ihre bebenden, weißen Finger glitten, da stand es doch wieder da im zitternden Sonnenglanz, inmitten der uralten Eichen, die mit dem funkelnden Wasserstrahl um die Wette flüsterten – das alte, graue, grünumsponnene Waldhaus. … Und die prächtige Gestalt des Portugiesen schritt majestätisch die Stufen herab. … Der alte Mann in der Hausflur sah ihm nach, – auch das Aeffchen auf der Schulter des Edelknaben, und der Papagei schnarrte.

Er ging in das weiße Schloß, der Portugiese mit der geheimnißvollen, weißen Stirn und den heißen, zuckenden Lippen. Er wurde dem Fürsten vorgestellt, und um den wunderbaren Fremdling her standen die eingeladenen Damen vom Hofe zu A. und die schöne Stiefmutter im waldgrünen Kleide, mit dem Kranz von Maiblumen und Erdbeerblüthen über den strahlenden, schwarzen Augen. …

Die Hände des jungen Mädchens sanken jäh in den Schloß zurück, und einzelne abgerissene Eichenblätter rieselten auf den Waldboden nieder. …


(Fortsetzung folgt.)

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Schönheite
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_244.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2021)