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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

des Portugiesen vorüber, und die reizenden Trägerinnen derselben, die ungeblendet und scheinbar zwanglos den Glanz auf der Menschheit Höhen umflatterten, geriethen fast in Verwirrung den dunklen Augen gegenüber, die sich bei der Vorstellung so ernst und kühl, so völlig unberührt von irgend einem äußeren Eindruck, auf ihr Gesicht hefteten. … Wie unfürstlich erschien Seine Durchlaucht mit der ängstlich gestreckten, militärischen Haltung und der spitzen, jäh zurücklaufenden, ausdruckslosen Stirn neben der machtvollen Erscheinung des Fremden, die fast aussah, als suche sie königliche Abkunft hinter möglichst leichten, ungezwungenen Bewegungen zu verbergen!

Die Baronin hatte wieder rothe Lippen und ein unbefangenes Lächeln, und als ihr Name genannt wurde, berief sie sich auf die neuliche Begegnung im Walde. Ihre biegsame Stimme klang fast melancholisch, als sie des erschossenen Hundes gedachte, – die schöne Excellenz konnte auch barmherzig aussehen. Die vier schwarzen Augen begegneten sich – auf der Stirn des Fremden loderte der rothe Streifen wie ein Feuermaal jäh auf, und die Augen sprühten in wilder Gluth – sie senkte die ihren erschauernd unter dem Ausbruch einer „so gewaltigen, niegesehenen Leidenschaft, die keines Wortes fähig war“.

Die raffinirte Kokette von Geist verbirgt ihre Befriedigung über die ersten Anzeichen eines neuen Sieges beinahe noch sorgfältiger, als das junge, verschämte Mädchen seine erste Liebe. … und so zog sich die schöne Excellenz fast bescheiden mit ihrem Triumph hinter die jüngeren Damen zurück, die ihr bei allem jugendlichen Liebreiz doch nicht mehr gefährlich werden konnten.

„Und nun will ich Ihnen eine Dame vorführen,“ sagte der Fürst zu dem Portugiesen, nachdem die Vorstellung beendet war. Er neigte das Haupt gegen ein Frauenportrait, das einzige an der Wand. „Sie ist und bleibt meine Protégée, obgleich diese wundervollen Formen längst die Erde deckt und mein fürstliches Haus eigentlich alle Ursache hat, mit ihr zu schmollen. … Indeß, sie war eben doch ein himmlisch schönes Weib, diese Gräfin Völdern! … Lorelei, entzückende Lorelei!“

Er hauchte einen Kuß auf Daumen und Zeigefinger der rechten Hand und warf ihn mit einer graciösen Bewegung nach dem Bilde.

Diese Frau hatte in der That wahrhaft genial die dämonische Gewalt ihrer äußeren Erscheinung aufzufassen gewußt. … Der bestrickende Zauber der Wasserfluth, ihr schmeichelnd geheimnißvoller Zug, hinter welchem die Tücke lauert, der uns reizt, unwiderstehlich hinzieht und doch einen Angstschauer erweckt, er ging auch von dieser blendenden Gestalt aus – das Seezimmer und das Bild fanden ihren Ursprung in diesem Gedanken. … Ja, das war die Lorelei! Himmel und Wasser lösten sich fern, fern in einem grünlichen Duft – die Wogen spielten an das einsame Weib heran, und mit ihnen verschmolzen die Spitzen der gelösten Haarwellen – es sah aus, als ströme der Geist, das schauerlich schöne, ergreifende Element, die heranschwellenden Wasser, durch die goldenen Fäden und concentrire sich in dem Frauenkörper, der auf dem muschelbesäeten Strande im Vordergrund ruhte.

„Ich habe vorhin ein wenig den Hausherrn im weißen Schlosse gespielt und das Bild eigenmächtig hierher schaffen lassen,“ sagte der Fürst. „Diese Gewaltthat stößt auf energischen Widerspruch von Seiten der Damen – sie meinen, an die drapirten Wände gehöre kein Bild. … Mag es sein – ich gehe von der Ansicht aus, die Schöpferin dieses verführerischen Zimmers solle und dürfe im Bild nicht fehlen, und so wie es placirt’ ist, macht es sich auch ganz originell.“

Er trat einige Schritte zurück und betrachtete das Arrangement mit prüfendem Auge. Man hatte das Bild aus dem Rahmen genommen; das festgezauberte Stück Himmel und Wasserfläche umrauschten die grünen Seidenfalten – Seine Durchlaucht hatte Recht – gerade sie ließen die Gestalt des hingesunkenen Weibes, die ganze, köstliche Perspective des Hintergrundes gewaltig- und in wahrhaft, packender Wirkung hervortreten.

Serenissimus wandte sich lächelnd an den Portugiesen, während sein Blick noch an dem Gemälde hing.

„Nicht wahr, da begreift es sich leicht, daß ein Mann selbst in der Sterbestunde seine besten Vorsätze über diesen berückenden Augen vergessen konnte?“ fragte er.

„Ich bin außer Stande, mich in eine solche Lage zu versetzen, Durchlaucht, denn ich pflege meine Vorsätze durchzuführen,“ antwortete Oliveira gelassen.

Die kleinen grauen Augen Seiner Durchlaucht erweiterten sich vor Ueberraschung – diese feste, ungeschminkte Sprache schlug rauh an das verwöhnte Ohr, sie wies förmlich den verfeinerten, mit leiser Frivolität angehauchten Ton des fürstlichen Herrn zurück. Indeß, einem fremdländischen Sonderling, welcher Millionen commandirte, und der in Südamerika Besitzungen hatte, an Terrain zweimal so groß wie das ganze souveraine Fürstenthum – einem solchen Original durfte man schon etwas Nachsehen; auch stand ja der Mann, bei aller stolzen Würde seiner Haltung, doch ehrerbietig dem älteren Herrn und Fürsten gegenüber. Die unliebsame Ueberraschung aus dem Gesicht Seiner Durchlaucht verwandelte sich diesen Erwägungen zufolge in ein schalkhaftes Lächeln.

„Da hören Sie es, meine Damen!“ wandte er sich an seine schöne Umgebung. „Vielleicht machen Sie diese traurige Erfahrung zum ersten Mal– die Macht der schönen Augen ist nicht so unbegrenzt, wie Sie denken mögen. … Ich selbst bekenne mich nicht zu diesen unerbittlichen Herzen von Stahl und Eisen – ja, ich begreife sie nicht einmal – aber für mein fürstliches Haus wäre es doch von Vortheil gewesen, wenn mein Onkel Heinrich auf dem ehernen Standpunkt unseres edlen Portugiesen gestanden hätte – was meinen Sie, Baron Fleury?“

Der Minister, der bis dahin schweigend, mit verschränkten Armen neben dem Fürsten gestanden hatte, verzog die bleichen Lippen.

„Durchlaucht, es ist weltbekannt und bedarf wohl keines Beweises mehr, daß sich die guten Vorsätze des Prinzen Heinrich in seiner Sterbestunde lediglich auf die Versöhnung der Herzen, aber durchaus nicht auf ein Umstoßen seiner testamentarischen Verfügungen bezogen haben,“ versetzte er – eine schneidende Beimischung in seiner Stimme vermochte er nicht ganz zu unterdrücken. „Es ist ebenso weltbekannt, daß die Gräfin Völdern, einzig von einem unerklärlichen Ahnungsgefühl getrieben, in jener Nacht plötzlich den Maskenball verlassen hat, um eine Stunde darauf den fürstlichen Freund in ihren Armen verscheiden zu sehen – wer möchte ihn ganz wegleugnen, jenen geheimnißvollen Zug der Sympathie, der in dem Augenblick, wo sich der Geist losringt von der Erde, noch einmal aufglüht und die verwandte Seele gebieterisch zu sich verlangt! … Und zum Dritten ist es ebenso weltbekannt, daß der Prinz bis zum letzten Athemzug im vollen Besitz aller Geisteskräfte gewesen ist, daß die Gräfin während der letzten halben Stunde an seinem Bette gekniet hat und getreulich auf seine Idee, sich mit dem Hofe in A. aussöhnen zu wollen, eingegangen ist – sie war ja nicht eine Secunde allein mit ihm – Eschebach und Zweiflingen haben unerschütterlich bis zu seinem letzten Hauch neben dem Sterbebett des Prinzen gestanden. Er hat noch mit der Gräfin gesprochen, hat Ausdruck für den Schmerz der Trennung gefunden, aber seine Verfügungen hinsichtlich des Nachlasses hat er mit keiner Silbe berührt. … Ich freilich war in dem Irrthum, als ich nach A. ritt – ich glaubte –“

„Dem fürstlichen Hause die Erbschaft zuzuwenden,“ unterbrach und ergänzte der Fürst die erschöpfende Beweisführung. „Wie mögen Sie einen Scherz so tragisch nehmen, bester Fleury? … Würde ich wohl je der Gräfin den Zutritt an meinem Hofe wieder gestattet haben, wenn ich nicht überzeugt gewesen wäre, daß nur ihre verführerischen Augen, nicht aber böswillige Einflüsterungen ihrerseits den Sieg über unsere Rechte davongetragen haben? … Ach was, lassen wir die alten unerquicklichen Geschichten ruhen! … Wie, Herr von Oliveira, beginnt der Zauber zu wirken? Sie haben während der ganzen vortrefflichen Vertheidigungsrede Seiner Excellenz die Sirene dort mit Ihren brennenden Augen fast verschlungen!“

Wäre Serenissimus minder unbefangen in seiner Beobachtung gewesen, so hätte ihm auch der Farbenwechsel auf dem Bronzegesicht des Portugiesen nicht entgehen können. Alle Nüancen zwischen der geisterhaften Blässe und der jähen Flammengluth der Empörung und des auflodernden Grimmes spielten, so lange der Minister sprach, über die braunen Wangen des Mannes hin.

„Ich erliege allerdings in diesem Augenblick einem Zauber,“ entgegnete er mit leicht vibrirender Stimme. „Haben Durchlaucht nie gehört, wie sich die kleinen Vögel verhalten, wenn sie in das Bereich der Schlange gerathen? … Sie erstarren vor der tödtlichen Feindin, die unter den glatten, schillernden Windungen ihres Leibes den teuflischen Verrath verbirgt.“

O mon Dieu, welch’ ein Vergleich!“ rief die Gräfin Schliersen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_259.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2021)