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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Wie, Seppl, thu die Schnauz’n auf, der Herr möcht’ da bleib’n.“

„So,“ sagte der verwegene Hirt, „dobleib’n mog’ er scho, aber hob’n thue i nix, und Heu kriegt er a koans.“

Aha! dachte ich mir, da heißt es einen milderen Ton anschlagen, um aus dieser starren, seinen Felsen gleichenden Natur etwas herauszubringen; ich näherte mich ihm daher mit der Feldflasche (dem gewöhnlichen Talisman in diesen abgelegenen Orten), doch ehe ich ein Wort gesprochen, war dieselbe schon in seiner Hand und an seinem Munde, und in langen Zügen schlürfte er den langersehnten und langentbehrten Trank in sich hinein. Die darauf erfolgte Metamorphose des alten Sünders war komisch; er zog sein Gesicht, so gut es ging, in grinsende Falten und bot mir nicht nur ein Abendessen, sondern für die Nacht sogar ein „Zimmer“ an, obgleich ich nicht absehen konnte, wo dieses Zimmer sich befinden dürfte. Das Souper war sehr einfach: Milch, ein fettes Mus, etwas Brod und Branntwein, von welch’ letzterem am meisten der metamorphosirte Wirth profitirte. Da wir schon um zwei Uhr Morgens aufzubrechen gedachten, so wurden vorerst noch sogenannte „Pucheln“ (Fackeln aus harzigem Holze) verfertigt und sodann das Schlafgemach, das sogenannte „Zimmer“, aufgesucht. Dasselbe befand sich zwanzig Schritte von der Hütte entfernt; rechts lagerte, dem behäbigen Grunzen nach zu schließen, eine nicht unansehnliche Familie von Schweinen, während man unten die Glöcklein der unruhigen Ziegen vernahm. Eine schwankende Leiter führte zum „Zimmer“. Böse Ahnungen beschlichen mich, und ich sehnte mich jetzt schon, bevor ich alle Genüsse eines solchen Bivouacs durchgemacht, nach dem Morgen. Eine weitere Beschreibung dieser qualvoll durchlebten Nacht scheint überflüssig. Ringsum durch handbreite Spalten pfiff lustig der eisige Nachtwind, im Heu fand sich auch einiges Leben, und unter mir veranstaltete die ehrsame Ferkelfamilie ein höllisches Concert, während die liebenswürdigen Ziegen gerade mein Dach, das auf der einen Seite am Boden anfing, zum Tummelplatz ihrer verwünschten nächtlichen Zweikämpfe auserkoren hatten.

Erwähnung verdient noch der eigenthümliche Gruß, mit dem mich der alte Senne zum „Zimmer“ geleitete. Er äußerte sich nämlich sehr naiv: „Das Heu da drinnen sei frisch und thue schrecklich dampfen (gähren); vor zwei Jahren habe ein junger, starker Bursche auch in einem solchen Heu geschlafen und seitdem keine gesunde Stunde mehr gehabt. Güate Nacht, sö!“ (so), und damit säuselte er von dannen.

Ich wußte nicht, sollte ich lachen oder mich ärgern, doch that ich das Erstere und hüllte mich tief in meinen Plaid. Obgleich ich mich umsonst abquälte, Alles auf der Welt vergänglich und auch die gegenwärtige Situation alpin-poetisch und romantisch zu finden, so konnte ich doch nicht schlafen und erwartete sehnlichst meine Führer, die sich denn endlich etwas nach zwei Uhr Morgens einfanden. Ich wollte noch etwas warme Milch zu mir nehmen, allein unser wackerer Wirth war nirgends zu finden. Warum – wird sich später aufklären. Nachdem wir uns zum heutigen Tagesmarsch und längerer Gletscherwanderung vorbereitet und ausgerüstet und unsere Requisiten und Vorräthe gehörig versichert hatten, zündeten wir die Fackeln an, und nun ging es still und schweigsam den Felsen und Schuttwällen des Floitengletschers entgegen.

Es war noch fast Nacht; die Sterne glänzten in seltener Pracht, und vor und neben uns hoben sich die gewaltigen Eis- und Firnkuppen vom dunklen Nachthimmel ab. Das ganze Bild – die großartige, noch in geheimnißvolles Dunkel gehüllte Umgebung, die kolossalen Wälle und Dämme und die wuchtigen Felstrümmer, die beim grellen Fackellicht allerhand Gesichter und fast dämonische Gestalten darstellten, dazu wir drei kleinen Gestalten in dieser weiten, erhabenen Welt der Oede und des Todes, die mit verwegenem Muth die nie entweihten Kronen dieser Eisriesen zu stürmen drohten – das Bild hatte etwas Feierliches, fast Geisterhaftes. Da der Floitengletscher an seiner Stirnmoräne wegen der gewaltigen Schutt- und Trümmeranhäufungen und der ungeheuren Zerklüftung nicht erreichbar schien, so wendeten wir uns etwas östlich, um das höhere Plateau zu gewinnen. Nach etwa dreiviertel Stunden hatten wir das Ende des Alpbodens erreicht und somit für viele, viele Stunden der Vegetation Lebewohl gesagt. Immer gewaltiger und massenhafter thürmten sich vor uns Geschiebe und Felsbauten auf, und es erforderte alle Umsicht und Gewandtheit, um bei dem trügerischen Fackellicht und der eintretenden Morgendämmerung nicht einen verderblichen Fehltritt zu thun.

Der Hauptführer Bartl, ein verwegener Steiger, steuerte consequent auf dem nächsten Wege dem Ziel zu und kümmerte sich nicht viel, ob Gefahr dabei war oder nicht, und ob sein Schützling die Schwierigkeiten allein zu überwinden im Stande sein werde oder nicht, – ihm schien es eben nicht, gefährlich zu sein, und das Terrain war ihm ja bekannt; überdies bedurfte ich als alter Bekannter und Vertrauter der Berge und Gletscher auch keiner sonderlichen Nachhülfe. Ein fünfviertelstündiges, mühevolles und angestrengtes Klettern brachte uns auf die Höhe des Gletschers und mit ihm das erste Grauen des Morgens. Noch lag ein fahles Weißgrau auf allen Bergen und die ganze Natur harrte schweigsam des feierlichen Momentes, wo die Allbeherrscherin Sonne mit ihren goldenen Strahlen an die höchsten Kuppen anschlagen würde.

Mittlerweile war es bereits fünf Uhr geworden und wir sahen uns am eigentlichen Floitengletscher und zugleich am ewigen Eise angelangt. Derselbe, ein Gletscher erster Ordnung, erreicht eine Länge von nahezu vierzehntausend Fuß und füllt jene gewaltige Mulde aus, die sich vom Fuß des Löfflers bis zum Schwarzenstein in einer Breite von neun- bis zehntausend Fuß ausdehnt. Ungeheure Schutt- und Moränenhaufen umlagern seine Stirn, und gewaltige Brüche, Klüfte und Schründe durchziehen seinen Körper. Manche derselben sind kaum handbreit, manche dagegen so enorm, daß sie ganze Häuser verschlingen könnten. Trügerische schmale Eisbrücken verbinden im buntesten Wirrwarr die beiderseitigen Ufer, während bei anderen spiegelglatte, oft überhängende Wände vom Rande in die grause Tiefe stürzen. Manche dieser Klüfte, die ich gemessen, hatten eine Tiefe von drei- bis vierhundert Fuß und darüber.

Wir lagerten nun auf einem gewaltigen Felsblock, um hier unser Dejeuner einzunehmen und unsere Vorbereitungen zur Ueberschreitung des Eises zu treffen. Die aufgehende Sonne hatte zugleich einen schneidend kalten Wind mitgebracht, der uns durch Mark und Bein drang und einen Schluck feurigen Cognacs sehr erwünscht erscheinen ließ. Wir packten unsere Vorräthe aus, die in ziemlichen Quantitäten von kaltem Braten, Brod, Käse, Cognac und kaltem Thee bestanden, einem der besten Präservativmittel gegen den grimmigsten Feind im Hochgebirge, den Durst. Zuerst wollte ich mich jedoch innerlich erwärmen und setzte daher meine Flasche an den Mund. Doch, o Schreck! ich sog und sog, allein die kalte Flasche spendete keinen Tropfen. Verdutzt sahen mich meine Führer an, und noch verdutzter blickte ich sie an. Wer konnte der Verwegene sein, der mich des jetzt so nothwendigen Trankes beraubt hatte? Wuth und Ingrimm erfaßten mich, doch was half es? Bartl, der den Zorn in meinen Mienen las, löste das Räthsel und sagte beschwichtigend: „Den hat der Spitzbub, der Seppl, unten in der Nacht ausg’soffen.“

Diese Bestätigung meines Verdachtes war mir ein schlechter Trost und half mir wenig; ich mußte mich in das Unvermeidliche fügen, obgleich es, in Anbetracht der noch zu machenden großen Touren, sehr deprimirend auf mich einwirkte. Jetzt war mir auch klar, warum der graue, schuldbewußte Sünder Morgens beim Aufbruch nirgends zu finden war. Doch half kein weiteres Argumentiren, weg war weg! Wir nahmen unseren Imbiß ein, schnallten uns die Steigeisen fest an die Füße, banden uns an die Stricke, und nun ging es, nachdem ich meinen Führern noch Vorsicht und Ruhe an’s Herz gelegt hatte, langsam das Eis hinan. Anfangs bot dasselbe, da es mäßig anstieg und nur von wenigen Klüften durchzogen war, keinerlei Schwierigkeiten. Allein bald mehrten sich dieselben. Der trockene Sommer hatte den Eiskörper stark angegriffen und die Klüfte alle bloßgelegt. Es galt nun dieselben entweder zu umgehen oder zu überspringen. So weit es die Breite derselben gestattete, geschah das letztere, als jedoch dieselbe zunahm und Schründe mit zwanzig bis dreißig Fuß Breite sich präsentirten, die nicht übersprungen und nicht recht umgangen werden konnten, da mußte ein anderer Ausweg gefunden werden.

Der erste Führer, Bartl, mit den nöthigen Vorsichtsmaßregeln vom zweiten Führer und mir fest am Seile gehalten, stieg verwegenen Muthes auf schmalem Eisbande in das dunkle Grab, und als er eine Tiefe von neun bis zehn Fuß erreicht, dort, wo

ein scharfer Eisgrat in vielfach gewundener Linie, bald auf- bald

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_270.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)