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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Gewöhnlich wird angenommen, es sei im dreizehnten Jahrhundert aufgefunden worden, und zwar auf das Gebet hin der heiligen Kinga (Kunigunde), der Gattin Herzogs Boleslaus des Verschämten, welche ihren Ring in einen ungarischen Salzbrunnen geworfen und denselben später bei Bochnia von einem Salzkrystall umschlossen wiedergefunden habe; allein es ist verbrieft, daß schon im elften Jahrhundert Wieliczka ein „Magnum Sal“, eine große Saline, gewesen ist. Sie hat bis auf unsere Zeit merkwürdige Schicksale und Wechselfälle erlebt, wie das Land, dem sie angehört, aber immer ist sie unerschöpflich geblieben, hat sich alljährlich erweitert, im Ertrag verbessert, und verspricht noch auf Jahrhunderte hinaus eine stetige, reiche Ausbeute.

Ehe man mit der Vorsicht des jetzigen wissenschaftlich regelrechten bergmännischen Betriebs verfuhr, besonders in jenen Zeiten, wo das Werk an Pächter vergeben war, welche, unbekümmert um die Zukunft, abbauten, was ihnen am bequemsten zur Hand stand, hatten sich zahlreiche Unglücksfälle ereignet; heute noch sieht man die Spuren furchtbarer Tagbrüche – weiß man doch mit Bestimmtheit, daß die ganze Stadt Wieliczka, welche unmittelbar über den unterirdischen Salzhöhlen erbaut ist, sich im Laufe der Jahre beträchtlich gesenkt habe; man will sie früher von dem dreiviertel Meilen entfernten Krakau aus überblickt haben, was heute nicht mehr möglich ist. Auch von verheerenden Wassereinbrüchen sind beglaubigte Nachrichten genug vorhanden, wenn es gleich der Bergmannskunst immer gelungen ist, diese zu bewältigen und unschädlich abzuleiten. Aber mehr als einmal haben sie die Bevölkerung der Salzstadt aus ihren damaligen Holzhütten in die Flucht gejagt, und die Ueberlieferung hat mit romantischen Zusätzen die Angst vor solchen Ereignissen in den Gemüthern wach gehalten. Daher war es nicht zu verwundern, daß das jüngste Unglück eine so gewaltige Aufregung hervorbrachte. Unverstand und Aberglaube, zum Theil auch der Eigennutz, nährten sie, mancher Besitzer glaubte die Gelegenheit benutzen zu müssen, um sein baufälliges Häuslein zu gutem Preise an den guten Mann, Aerar genannt, zu bringen; die nimmersatten Tageblätter bemächtigten sich des willkommenen Sensationsstoffes in stiller Zeit; die derbsten Uebertreibungen wurden ausgeschrieen, und eine Unzahl von Projectenmachern bestürmte Regierung und Publicum mit Rettungsplänen, einer abenteuerlicher als der andere.

Allerdings standen unermeßliche Werthe auf dem Spiel, aber nicht unwiederbringlich. Denn es ist gar kein Zweifel, daß das Land Galizien noch unendlich größere Salzschätze in seinem Schooße birgt, als Wieliczka jemals geliefert hat; an zahlreichen Orten brechen die Salzquellen zu Tage, stößt der Brunnengräber auf gesättigte Soole; eine Ausnutzung erschien aber bisher völlig überflüssig, das Monopol gestattete neben der großen Saline nur einigen wenigen Sudwerken den nicht einmal lohnenden Betrieb. Nichtsdestoweniger durfte jedoch nicht daran gedacht werden, das weltberühmte, wohlorganisirte Bergwerk, an welches das Wohl von Tausenden gebunden ist, ohne Kampf aufzugeben; er ward aufgenommen, anfangs mit Bedenken und Irrthum, allein die Kraft erstarkte, die Energie erwachte, und jetzt ist es ein lehrreich erhebendes Schauspiel, zuzusehen, wie hier der Mensch ringt mit den Gewalten der dunklen Tiefe, in dem Willen und der Hoffnung, ihrer Herr zu werden.

Es waren besonders günstige Umstände, welche mir verstatteten, Augenzeuge zu sein von dieser entschlossenen Bekämpfung eines unheimlichen Feindes, unter und über der Erde Vieles zu sehen, was Anderen unzugänglich bleibt, zu erfahren, was nicht Jedermann zu wissen braucht – wenngleich mit löblicher Umsicht den Gästen nicht das mindeste Hinderniß bei dem Besuche des Bergwerks, nach wie vor, in den Weg gelegt wird. Nebenbei sei ausdrücklich bemerkt, daß dieser Besuch völlig kostenlos geschehen kann, die Bergleute dürfen sogar bei strenger Ahndung nicht die kleinste Gabe annehmen oder gar fordern. Am 20. Februar befuhr ich das Werk in Begleitung einer Anzahl ausgezeichneter Ingenieure und unter einer Führung, wie man sie besser und fachkundiger wohl nicht haben kann. Wir fuhren, nach Anlegung der Grubenkittel, ein im Tagschacht Danielowice, der seinen Namen, wie viele Schachte und Strecken einem früheren Bergcommissär verdankt, welcher ihn im Jahre 1640 anlegte. Die Einfahrt ist so bequem wie möglich; in einer geräumigen Vorhalle wartet man, bis die Gesellschaft beisammen ist, oder betrachtet einstweilen die dicht daneben befindliche St. Antoniuscapelle mit ihren Altären, Heiligen, Kanzeln und Geräthen, sämmtlich aus festem Grünsalz herausgehauen, das Werk eines schlichten Bergarbeiters, dessen Name unbekannt ist, aus dem siebzehnten Jahrhundert, ohne allen Kunstwerth und fast grotesken Eindrucks, wenn man das Material und den Bildner vergißt.

Hier sei gleich beigefügt, daß sich auf diese früher täglich zum unterirdischen Gottesdienst benutzte Capelle reducirt, was man in älteren Reiseschriften und geographischen Handbüchern gefabelt hat von aus dem Steinsalz gehauenen ganzen Kirchen und Dörfern. Es bleibt doch an Wundern und imposanten Domen der Tiefe genug übrig. Die letzteren, weite, unregelmäßige Wölbungen, sind entstanden durch den Abbau der ungeheuren Grünsalzkörper – bis zu dreitausend Kubik-Lachter Mächtigkeit und darüber – welche im oberen Mittel des Salzgebirgs eingebettet sind. Dieses führt überhaupt drei Hauptsalzgattungen: das Grünsalz, von seiner grünlichen Farbe benannt, durch Thon verunreinigt; das Spiza-Salz, welches seine Bezeichnung von aus der Zips (Spisa) eingewanderten Bergleuten erhalten hat, dunkelgrau, mit organischen Resten vermengt; und das Szybicker Salz, von Szybik, Schacht, das in drei regelmäßig übeinander von Osten nach Westen allmählich abfallenden Flötzablagerungen ansteht, das reinste von allen, weiß und von festem Gefüge. Wir begegnen diesen verschiedenen Salzen auf der sogenannten Gasttour, d. h. den Wegen, welche die gewöhnlichen Besucher geführt werden. Anfänglich folgten auch wir denselben. Es kann hier nicht meine Aufgabe sein, die oft wiederholten Wunder dieser vielverschlungenen Unterweltreise auf’s Neue zu beschreiben; in glänzender, wunderbare Effecte hervorbringender Beleuchtung sahen wir die riesigen Kammern, befuhren die schwarzen Salzseen unter dem Klang von Musikchören der Bergleute, lauschten dem langhinrollenden Echo der Kanonenschläge, waren geblendet von der magischen Wirkung der Raketen und Feuerwerkskörper in den unabsehbaren Hallen der Nacht und des Geheimnisses. Aber nicht der leiseste Gedanke an Gefahr kann sich hier aufdrängen, man geht so sicher, bequem und trocken, wie im wohlgepflegten Park zur Sommerszeit; höchstens, daß die mit den talggenährten Grubenlichtern nebenherschreitenden Bergleute ein Nisko! (Nieder!) zurufen, damit man sich bückt, wenn eine Strecke nicht hoch genug ist, was aber nur ganz selten vorkommt. Besonders auffallend ist die große Trockenheit, welche allenthalben herrscht; deshalb und durch die Imprägnation mit fein zertheiltem Salz sind auch die Schutzbauten aus Holz so gut erhalten, daß in dem Tagbruch der Kammer Wlodkowice, dicht neben dem mächtigen und prächtigen Tanzsaal mit seinen riesenhaften Statuen und Kronleuchtern aus Salzkrystallen, welchen einst Suwarow herstellen ließ, das Holz der geborstenen Pfeiler noch so frisch aussieht, als sei es erst vor Wochen zersplittert, und nicht im Jahre 1703.

Die Temperatur ist dabei eine durchaus angenehme, zwischen zwölf und fünfzehn Grad Reaumur, die Luft frisch, der Pfad völlig eben, das Treppenwerk solid und bequem. Nur flüchtig besichtigten wir diesmal die besonderen Merkwürdigkeiten; von der Gasttour abweichend stiegen wir nieder in die Räume der Gefahr. Diese zu erreichen brauchten wir über eine Stunde angestrengten Marsches durch phantastisch schimmernde Gänge, finstere Höhlen, klingende Betriebsschläge; vorbei an rollenden Hunden, welche die gewonnenen Berge fördern, an fleißigen Hauern, bemüht die gewaltigen Balvanen zu lösen (Balvan, eigentlich der Name eines altslavischen Götzenbildes, werden cylindrische Formsteine des Salzes von über drei Centner Schwere genannt), an den Packorten, wo Löhner die Minutien (Salzabfälle) in Fässer packen, zuletzt in die schweigende Einsamkeit. Es wurde still und stiller unter uns, die Tritte hallten dumpf wieder, seltsam flackerten die Grubenlichter, eine bängliche Erwartung war über jeden gekommen.

Nach langem Schreiten ertönte endlich das Commandowort: Halt, Vorsicht! Und zugleich flammte ein romantisches Licht auf, mit Tagesschein eine weite Wölbung übergießend und vor unseren Füßen einen schwarzen See. Wir standen dem Eingang zum Horizont Oesterreich gegenüber, welchen das eingebrochene Wasser schon bis zu fünf Fuß Höhe überschwemmt hatte, so daß nur noch seine oberste Wölbung gleich einem dunklen Höllenthor jenseits sichtbar erschien. Still, unbewegt lag vor uns die Fläche, als sei sie unverrückbar immer gewesen und doch lauert in dem Abgrund, den sie deckt, die wilde Rau; wir wußten, und die Messungen

sagten es uns deutlich, daß das Element vor uns, welches jetzt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_278.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)