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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Sieger war, im Kampf mit dem andern, seinem ewigen Feind, nicht ruhte, unablässig sich hob, unmerklich, aber sicher. Und Niemand wußte, ob und wie weit es schon den Boden unterwaschen, auf dem wir standen; mehr als einmal wurde der Ruf: Vorsicht! laut. Es war ein großartiges, überwältigendes Schauspiel, sowohl an und für sich, als auch mit Rücksicht auf seine Wirkung und Bedeutung. Erhöht wurde es durch den seltsamen Anblick, die Schienen der unterirdischen Eisenbahn mit ihren Schwellen auf dem Wasser schwimmend zu gewahren, das sie unterspült, losgelöst hatte und sie nun in der gesättigten Soole trug neben Berghunden, Fässern, Geräthen und Holzstücken. Die Höhe des Wassereinbruchs betrug zur Zeit meiner Anwesenheit neunzehn Klafter fünf Fuß, die tägliche Steigung zwei Zoll, trotz der unaufhörlichen, aber noch unvollkommenen Bewältigungsarbeit. Der Einbruch erfolgte am 19. October 1868 in dem Querschacht Kloski, der mit dem Horizonte Austria ziemlich in gleicher Ebene geführt ist. Man hatte daselbst, gelockt von der Auffindung des Sylvins in Kalusz (in Ostgalizien an der Lomnicza), einen Hoffnungseinschlag auf Kalisalze eröffnet und dabei – was nicht ganz aufgeklärt ist – entweder den Sandstein geritzt oder den salzlosen Thon beleidigt.

Im Anfange legte man nicht viel Gewicht auf den Einbruch von Süßwasser. Die Bergarbeiter, welche ihn zuerst bemerkten, gaben an, daß es in einem breiten, schrägen Strahl, wie aus einem engen Spalt, hervorgerieselt sei, und dachten dabei, an derlei Unfälle gewöhnt, an keine größere Gefahr. Erst allmählich steigerte sich der Zustrom, am dritten Tage betrug er schon fünfzig Kubikfuß in der Minute. Nunmehr erwachte die Angst, man suchte Vorkehrungen zu treffen, doch zu spät. Die aufgemauerten Dämme wurden umwaschen, überspült; unaufhaltsam ergoß sich die Fluth durch den Schacht Wodnagora (Wasserberg) in die tiefer liegenden Baue. In dem Franz-Joseph-Schachte war zwar eine Pumpe aufgestellt, aber sie leistete viel zu wenig; eine zweite Pumpentour ward eingebaut. Gleichzeitig beschloß man auch, die nutzlos aufgerichteten Dämme wieder zu durchbrechen und den ganzen Kloskischlag zu bewältigen, um im salzleeren Hangendtegel etwa abermals neue, erfolgreichere Dämme zu errichten. Diese schwierige, zeitraubende Arbeit, bei welcher nur je zwei Mann, die halbstündig abgelöst werden mußten, in unerträglicher Atmosphäre, im engsten Raum und bei steter Lebensgefahr vordringen konnten, wurde bis nahezu in die sechszigste Klafter fortgesetzt, mußte jedoch ebenfalls aufgegeben werden, da das Wasser, unter fünfunddreißig Kubikfuß Zustrom per Minute, endlich auch den Kloskischlag überschwemmte. Von nun an war man ganz auf die oberirdischen Bewältigungsarbeiten durch die Maschinen angewiesen.

Aber woher kommt die ungeheure Wassermenge des Einbruchs? ist die natürliche Frage, welche Jeder aufwirft. Man weiß es nicht: ist man auf eine wasserführende Schicht, einen unterirdischen Sumpf oder ein Reservoir gestoßen, hat sich das Wasser der Weichsel durch eine Kluft des Gebirgs Bahn gebrochen in das Bergwerk? Viele sind geneigt, das Letztere anzunehmen, obgleich der Strom über eine Stunde von Wieliczka entfernt ist; nahe der Stadt fließt das Serawa-Flüßchen, in welches die Grubenwässer geleitet werden, jenem zu.

Nach genauer Besichtigung und Untersuchung, deren Einzelergebnisse hier mitzutheilen nicht der Ort ist, fuhren wir wieder aus zum Tageslichte, sehr beruhigt über die Gefahr und mit vollem Vertrauen in die Umsicht der Männer, welche die Vorkehrungen zu ihrer ferneren Abwehr und gänzlichen Bannung in die Hand genommen haben. Die Besten ihres Faches, bekannte Namen in der wissenschaftlichen Welt, haben dazu mit Rath und That gewirkt; gegenwärtig ist die Leitung der Bewältigungsarbeiten, wie der ganzen Saline, dem rechten Manne übertragen; sie hat in bessere Hände nicht gelegt werden können, und Anerkennung verdient, was seine Energie und Kenntniß binnen kurzer Zeit geschaffen hat. Die Ueberzeugung vom endlichen Erfolg muß sich jedem aufdrängen, der, wie wir, mit den Augen des Sachverständigen die an Tag errichteten Bewältigungswerke betrachtet. Nicht, daß Alles vollkommen, nichts zu tadeln wäre, im Gegentheil; aber mit Hinsicht auf die drängende Eile der Nothwendigkeit ist geleistet worden, was möglich war. Die Salzförderung geht ununterbrochen vorwärts im Franz-Joseph-Schacht, welcher täglich fünf- bis siebentausend Centner Szybicker Salz mittels Dampfkraft fördert, und in dem Göpelschacht Boza wola mit sechshundert Centnern Herausgebung (Porrecte). Im erstgenannten Förderschacht heben die Pumpen in der Minute zehn Cubikfuß Einbruchwasser. Der Elisabethschacht wird jetzt blos zur Wasserhebung mittels Dampfkraft benutzt; zwei eiserne Förderkästen im Wechsel bringen in 2,5 Minuten zweiunddreißig Cubikfuß Wasser an den Tag. Da der Zufluß gegenwärtig höchstens vierzig Cubikfuß in der Minute beträgt, so wird schon über die Hälfte desselben bewältigt. Binnen wenigen Tagen wird aber in dem Elisabethschacht eine kolossale Dampfpumpe spielen, welche neunzig Cubikfuß in der Minute fördert, so daß ein Steigen der Wässer unbedingt unmöglich, das ganze Entleeren des Werkes binnen vier bis sechs Monaten aber sehr wahrscheinlich ist. Leider fließt die zu Tag geförderte, völlig gesättigte Soole von achtzehn Grad in krystallklarem, durch den Salzinhalt wunderbar funkelndem Strome völlig unbenutzt ab in den Bach Serawa, dessen Wasser sie zur Tränkung der Heerden untauglich macht. Sie durch Sud zu verwerthen, ist aber trotzdem nicht rathsam, der Anlagekosten und der Theuerung des Brennmaterials halber, auch weil man darauf baut, die Saline bald wieder vom Einbruch zu befreien. Um nichts zu versäumen, wird jedoch zugleich ein Schacht auf den Kloskischlag niedergeteuft, um womöglich das Unheil an der Wurzel zu fassen und durch kunstgerechte Eindämmung gänzlich zu beseitigen. Die Gesammtkosten aller Schutz- oder Hülfsvorrichtungen und Arbeiten werden sich auf ungefähr dreihunderttausend Gulden belaufen.

Aber die Gefahr ist beseitigt, deß darf man sicher sein. Sehr groß ist sie überhaupt nicht gewesen. Selbst wer es als Gast befahren, hat nicht den geringsten Begriff von der ungeheuren Ausdehnung des Wieliczkaer Bergwerks. Dasselbe besteht aus sieben Etagen oder Horizonten untereinander, deren tiefster 128,9 Klafter oder 774 Wiener Fuß unter dem Tagkranz Danielowice liegt; es führen aber Schachte bis in 150 Klafter Tiefe. Die Horizonte heißen: 1. Danielowice, 33,4 Klafter; 2. Ludovica (oder Kunigunde), 14,5 Klafter; 3. Kaiser Franz, 9,3 Klafter; 4. Albrecht, 14,4 Klafter; 5. Rittinger, 22,5 Klafter; 6. Haus Oesterreich, 15,2 Klafter; 7. Tiefster Regis 19,1 Klafter. Allein nur in seiner Mitte, in einer Länge von etwa vierhundert Klaftern, ist das Bergwerk so tief; nach den beiden Endpunkten, welche, so viel bekannt, mindestens zweitausend vierhundert Klafter auseinanderliegen, verflacht es sich gegen Tag auslaufend. Der Wassereinbruch ist demnach genau zu vergleichen dem in den Keller eines mehrstöckigen Hauses, der die Bewohner der oberen Stockwerke wahrscheinlich wenig geniren wird. Zwar löst das Wasser das Salz auf, laugt die Pfeiler aus, doch nur so lange, bis es gesättigt ist. Zudem ist auch überall durch Holzverzimmerung etwa zu fürchtenden Senkungen zuvorgekommen; sagt man doch, daß die kahlen Höhen der Umgegend von Wieliczka nur davon herrührten, daß ihr einst prächtiger Hochwald Stamm nach Stamm unter die Erde gewandert sei.

In der Holzverschwendung bei solchen Schutzbauten hat die Vorzeit allerdings Unglaubliches geleistet; jetzt ist man klüger. Da das Bergwerk, je höher zum Tag, um so mehr in Länge und Breite sich ausdehnt, so mußte auch das Wasser um so langsamer steigen, je mehr es sich emporhob; man hat ausgerechnet, daß es bei ungemindertem Zustrom mindestens fünfzehn Jahre brauchen würde, um die Soole des Tagschachtes Danielowice zu erreichen, wodurch das gesammte Werk ersoffen sein würde. Man wolle nur erwägen, daß schon im Jahre 1840 nach der Messung des Markscheiders Hrdina die Strecken und Gänge des Wieliczkaer Salzbergwerks, aneinander gereiht, eine grade Linie von sechsundachtzig geographischen Meilen Länge gebildet haben würden; und wie viele sind bis heute hinzugekommen, wie viele sind gänzlich unbekannt, von keinem Fuß mehr betreten! Es bedarf langer, langer Jahre, ehe die erfahrensten Markscheider und Bergmeister sich in diesem unermeßlichen Labyrinth der Unterwelt mit einiger Sicherheit zurechtfinden, trotz der jetzt vorhandenen trefflichen Karten. –

Die kurze Schilderung meiner interessanten und ergebnißreichen Grubenfahrt schließe ich, im vollen Einverständniß aller Sachverständigen, deren Begleitung ich mich erfreute, mit dem zuversichtlichen Ausspruch: „Noch ist Wieliczka nicht verloren!“



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_279.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)