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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Stiefvaters, daß sie plötzlich die aufquellende Bitterkeit in ihrem Herzen weichen fühlte.

Sie neigte sich mit einem unnachahmlichen Gemisch von mädchenhaft herber Zurückhaltung und graciöser Geschmeidigkeit tief vom Pferde und sagte mit kindlichem Lächeln: „Ich bin Euer Durchlaucht sehr dankbar für diese Beruhigung –“

Sie wollte offenbar noch einige Worte hinzufügen, allein der Minister hatte abermals den Zügel erfaßt, diesmal jedoch mit wahrhaft eisernem Griff – jetzt war er vollkommen Herr seiner Aufregung geworden, ja, er brachte sogar ein bedeutungsvoll mitleidiges und zugleich entschuldigendes Lächeln fertig, mit welchem er nach dem Fürsten hinsah, während er das Pferd rasch wendete und den Kopf des Thieres dem Greinsfelder Wege zukehrte.

Er deutete gebieterisch nach dem Laubgang.

„Du wirst jetzt ohne Aufenthalt nach Greinsfeld zurückkehren, meine Tochter,“ sagte er mit jener eiskalten, geschärften Stimme, die jedes Wort zu einem eisernen Gebot machte. „Ich hoffe, heute noch Zeit und Gelegenheit zu finden, mich mit Dir über einen Schritt zu verständigen, der schwerlich seines Gleichen in den Annalen der Häuser Sturm und Völdern finden dürfte.“

Das stolze Blut der Reichsgrafen Sturm und Völdern, an welches er eben appellirte, übergoß das Gesicht des jungen Mädchens mit einem flammenden Roth; Gisela richtete sich hoch empor, allein die feinen Lippen preßten sich fest aufeinander – sie wollte ja niemals heftig werden. Es war auch nicht nöthig; das leichte, ausdrucksvolle Achselzucken, mit welchem sie sich auf dem Pferd zurecht setzte, wies die beißende Bemerkung Seiner Excellenz beschämender und treffender zurück, als es vielleicht ein rasches, gereiztes Wort gethan hätte.

„Aber, mein bester Fleury“ – rief der Fürst in lebhaft bedauerndem Ton.

„Durchlaucht“ – unterbrach ihn der Minister mit verbindlicher Haltung und fast devot niedergeschlagenen Lidern, aber auch mit einem Nachdruck, den Seine Durchlaucht als unbeugsam nur allzugut kannte, – „ich handle in diesem Augenblick als Vertreter meiner Schwiegermutter, der Gräfin Völdern. Sie würde ihrer Enkelin dies phantastische, zigeunerhafte Auftreten niemals verziehen haben … Ich kenne leider den abenteuerlichen Hang meiner Tochter sehr gut, und wenn ich außer Stande war, diese peinliche Situation zu verhüten, so will ich mich wenigstens nicht der Taktlosigkeit schuldig machen, den Scandal, der mir sehr bei den Haaren herbeigezogen erscheint, verlängert zu haben.“

Jedes andere junge Mädchen würde höchst wahrscheinlich diesen zermalmenden Worten gegenüber in Thränen der Hilflosigkeit ausgebrochen sein – die braunen, in diesem Moment zu schwarz sich verdunkelnden Augen feuchteten sich nicht. Mit jenem tief forschenden Ausdruck, der leidenschaftlich nach dem wahren Ursprung einer Handlung in der Seele Anderer sucht, heftete sich ihr Blick fest und durchdringend auf das Gesicht des Mannes, welcher sie als elendes, hinsterbendes Kind mit einer Art von Vergötterung auf den Händen getragen und systematisch verzogen hatte und der nun seit wenigen Tagen urplötzlich, ohne irgend welchen erklärlichen Uebergang, eine so tödtliche Kälte und Rücksichtslosigkeit ihr gegenüber entwickelte.

Sie saß nicht da droben wie eine Angeklagte – weit eher als Verurtheilende – an dem ruhigen Schweigen ihrer leicht erblichenen Lippen, die sich in den Winkeln verächtlich senkten, zersplitterte die Waffe ihres Verleumders.

Mit einer stolzen Geberde warf sie das Haar nach den Schultern zurück; dann neigte sie sich grüßend nach allen Seiten, während sie mit der Reitgerte das Pferd leicht berührte. Es flog wie ein Pfeil in den Laubgang zurück, und nach wenigen Augenblicken verschlang die grüne Waldesdämmerung die schwebende weiße Gestalt und das flatternde Goldhaar der Reiterin. …

(Fortsetzung folgt.)

Mit der nächsten Nummer erscheint die Erzählung „Reichsgräfin Gisela“ wieder an der Spitze des Blattes.

D. Red.

Blätter und Blüthen.

Das Katzenasyl. Das Hundeasyl in London hat schon so viel von sich reden gemacht, daß es wohl erlaubt sein dürfte, auch einmal eines Katzenasyls zu erwähnen, welches – freilich nur im Kleinen und privatim betrieben – schon seit vielen Jahren im Staate Pennsylvanien in der Nähe Pittsburgs besteht.

Die Gründerin desselben, Miß Mary K., in der ganzen Umgegend nur die „Katzenjungfrau“ genannt, hat es sich zur Lebensaufgabe gestellt, alle Kräfte des Leibes und der Seele diesen „lieben, aber schnöde verkannten“ Geschöpfen zu widmen, und sie ist diesem ihrem „Berufe“ treu geblieben und hat im Laufe eines langen Lebens in der That schon Großartiges darin geleistet. Alle bedrängten und unglücklichen Katzen aus der ganzen Nachbarschaft haben stets instinctmäßig sich unter Miß Mary’s schützendes Dach geflüchtet und dort liebevolle Aufnahme und die zärtlichste Pflege und Behandlung gefunden. Miß Mary, die Tochter eines reichen und einst hoch angesehenen Farmers, war von zarter Kindheit an mit besonderer Vorliebe den Katzen zugethan. In ihrem zwanzigsten Lebensjahre reichte sie einem feurigen Anbeter die Hand am Altare, aber das Glück sollte nur von kurzer Dauer sein! Als nämlich am Hochzeitsabend das junge Ehepaar sich in das gemeinschaftliche Schlafzimmer zurückzog und der Gatte mehrere Betten vorfand, welche sämmtlich mit schlafenden und schnurrenden Katzen angefüllt waren, da wurde ihm bedenklich zu Muth und er verbat sich ernstlich, zuerst in freundlichen, dann, als diese keinen Eingang fanden, in derben Worten die ebenso unerwartete wie unwillkommene Zimmergesellschaft. Dies machte auf die zartfühlende junge Frau einem so schmerzlichen Eindruck, daß sie sofort den Barbaren, der ihre Sympathie nicht zu theilen vermochte, ja sogar einen Ekel und Abscheu gegen ihre Herzenslieblinge an den Tag legte, aus dem Zimmer und Hause verwies – ein Befehl, dem dieser sehr bereitwillig nachkam. Mary sah ihren Mann nie wieder; sie legte sogleich seinen Namen ab, war aber boshaft genug, nie in eine Scheidung von ihm einzuwilligen, „damit er nicht auch noch ein anderes Mädchen täusche“. Alle Bemühungen des armen Mannes blieben daher erfolglos, da auch in amerikanischen Gesetzbüchern die Liebe zu Katzen nicht als Scheidungsgrund angenommen wird.

Nach dem Tode ihrer Eltern zog sich Mary mit ihren vierfüßigen Schutzbefohlenen in ein kleines Landhaus zurück, verpachtete ihre schönen Ländereien und lebt nun schon seit mehr als dreißig Jahren daselbst, indem sie für sich und ihre Katzen das ganze Einkommen bis auf den letzten Cent verbraucht. Da es ihr nicht möglich ist, Dienstboten zu bekommen, so hat sie stets vollauf zu thun und reibt sich, ihrer eigenen Aussage nach, beinahe auf, was Jedermann glauben wird, wenn man bedenkt, welch’ eine Riesenarbeit es ist, täglich fünfzig bis siebenzig launische Katzen zu bedienen, dieselben zu bürsten und zu kämmen, ihnen die Betten zu machen und für gute Kost zu sorgen.

Wenn Miß Mary einen Spaziergang unternimmt in Begleitung ihrer Katzen, so ist dies eine unerhörte Belustigung für die Kinder der benachbarten Farmer, und Augenzeugen haben mir mitgetheilt, daß der Anblick der „Katzenjungfrau“ in der That unbeschreiblich komisch sei. Uebrigens hat Alt und Jung eine gewisse Scheu vor ihr, und man kommt ihr nicht leicht zu nahe. Ich konnte indeß der Neugierde nicht widerstehen, dieser merkwürdigen Dame einen flüchtigen Besuch abzustatten, und ich bekenne, daß ich meine Erwartungen noch weit übertroffen fand. Das Haus, welches sie bewohnt, ist dem Verfall nahe, da aus Rücksicht für die lieben Katzen von einer Renovirung keine Rede sein darf, und der Garten um das Haus herum ist von den artigen Geschöpfchcn total zerstampft und ruinirt, da er ihnen als Tummelplatz dient. Ich trat in die geräumige Stube ein, in welcher trotz der geöffneten Fenster ein im höchsten Grade widerlicher Geruch herrschte. Miß Mary, eine lange hagere Gestalt mit stechenden Augen und struppigem Haar, saß in einem Lehnstuhl, eine Anzahl junger Kätzchen auf dem Schooße wiegend und dieselben liebkosend; rings um sie her hatten aalfette Katzen jedes Alters, jeder Farbe und Gattung Posto gefaßt und schauten mich mit ihren funkelnden Augen grimmig an, so daß mir fast unheimlich wurde. Sämmtliche Möbel waren total zerkratzt und ebenfalls von diesen Thieren besetzt, und das Schnurren und Miauen tönte wahrhaft betäubend in den Ohren. Beim Abschied fragte ich die Dame, ob sie sich nicht fürchte, so allein auf dem Lande zu wohnen?

„Fürchten?“ entgegnete sie mit verächtlicher Miene, „eine freie Amerikanerin fürchtet sich nicht! Uebrigens,“ fügte sie mit großem Pathos bei, „habe ich mir, wie Sie sehen, selbst eine Sauve-garde, und glauben Sie mir, eine recht sichere! Sehen Sie meine Katzen an, es sind dankbare und kluge Geschöpfe, und so lammfromm sie von Natur sind, ich bin gewiß, beim geringsten Angriff auf ihre Herrin würden sie sich in wilde Tiger verwandeln! Ich habe dies erfahren, als vor einigen Jahren bei mir eingebrochen wurde; die Diebe befanden sich bereits im Zimmer, da gaben meine Lieblinge Laut, und die Eindringlinge stürzten unter Schreckensrufen zum Fenster hinaus.“

Vor einigen Jahren traf Miß Mary freilich ein herber Schlag, der sie, wie sie versichert, in’s frühe Grab bringen wird. Die Arme erkrankte tödtlich, und einige Verwandte kamen zu ihrer Pflege herbei. Während sie nun im Fieber lag, jagten die Hartherzigen sämmtliche Katzen zum Hause hinaus, und Miß Mary fand bei ihrer Wiedergenesung keine einzige mehr vor, was ihr beinahe einen Rückfall zuzog. Wie eine verzweifelnde Niobe durchstreifte sie Feld und Wald, ihre Lieblinge jammernd bei Namen rufend, aber nur fünfzehn derselben kehrten unter das schützende Dach zurück; doch hat sich ihre Zahl zum Glück wieder bis auf fünfzig erhöht. Die Verwandten sollen nun aber zur Strafe für ihre Grausamkeit enterbt werden, und Miß Mary beabsichtigt ihr Vermögen zur Gründung eines Katzenasyls zu bestimmen.

     Pittsburg.

L. W.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_304.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)