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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Frankfurts jener Tage mit einer Lebendigkeit und Lustigkeit, daß die Heiterkeit dieser süddeutschen Gruppe die allgemeinste Aufmerksamkeit erregte. Namentlich war es die Schilderung des „dicken Daumer“ mit seiner kolossalen Todesfurcht, welche die Söhne des jetzigen preußischen Regierungsbezirks Wiesbaden entzückte. Dann fuhr Bismark fort:

„Mit diesem ‚dicken Daumer‘ war ich eines schönen Herbstmorgens in der Nähe von Frankfurt auch auf der Jagd gewesen. Als wir uns am Rande des Waldes hoch im Gebirge zur Rast niedersetzten, entdeckte ich zu meinem Schrecken, daß ich kein Frühstück mit hatte. Der ‚dicke Daumer‘ dagegen zog eine mächtige ‚Wurscht‘ hervor, die für mich allein gerade ausgereicht hätte und von der er mir edelmüthig die Hälfte offerirte. Das Mahl begann; ich sah das Ende meines Wursttheils herannahen. Ich hätte vor Wehmuth frankfurterisch reden mögen. Da frage ich den ‚dicken Daumer‘ von ungefähr: ‚Ach sage Sie mir, Herr Daumer, was is doch das Weiße da unne, was aus de Zwetschebaim herausschaut?‘

‚Gott, Exellenz, da möchte Eim ja der Appetit vergehn – das is der Kirchhof.‘

‚Aber, lieber Herr Daumer, da wollen wir uns doch bei Zeiten ein Plätzchen suchen, da muß sich’s wunderbar friedlich ruhen.‘

‚Nu, Exellenz, nu leg i awer die Wurscht weg.‘

Der dicke Daumer blieb bei diesem Entschlusse, und ich hatte mein ordentliches Frühstück.“ Ringsum anhaltende Heiterkeit.

„Warum sieht man Sie niemals mehr im Hause?“ frage ich einen der Thüringer, der als Staatsanwalt und Schöngeist einen gleich bedeutenden Ruf hat.

„Ich bin jetzt täglich im europäischen Charpie-Congreß.“

„Was ist das?“

„Ja, wissen Sie noch nicht, daß der Berliner Witz die internationale Vereinigung über die Behandlung und Verpflegung verwundeter Krieger also bezeichnet?“

Neben mir stehen zwei der größte Juristen der Welt im tief durchdachten Gespräch. Alle Viertelstunden wird ein Wort eines Paragraphen des zukünftigen norddeutschen Strafgesetzbuches fertig. Da tritt Braun-Wiesbaden dazu und hört das Problem der Aufhebung der Todesstrafe erörtern. „Heben Sie die Todesstrafe ruhig auf, meine Herren,“ sagt er.

„Ja, haben Sie ein Surrogat?“

„Ja, gewiß.“

„Nun?“ – – ruft die zünftige Jurisprudenz mit ungläubiger Spannung.

„Gott, lassen Sie den Delinquenten in die norddeutsche Gewerbeordnungscommission wählen.“

„Apropos,“ sagt der schlimme Hennig zum schlimmen Ziegler, der außer dem rothen Becker und dem trefflichen Löwe heute allein hier die Fortschrittspartei vertritt, „wissen Sie denn, warum unser Garten-Telegraph, der die Abgeordneten aus dem Reichstagspark zum Abstimmen ruft, heute eine Viertelstunde lang fortwährend klingelte, als gälte es dem Umsturz der Bundesverfassung oder einem Extrazug nach Bremen?“

„Nein.“

„Ja, der alte Patow war während seiner Rede von der Tribüne auf dem Drücker des Telegraphen eingeschlafen.“ Die beiden Bösewichte nahmen ruhig eine Prise.

Ihr nichtsnutzigen Collegen, die ihr Eure Mitmenschen so herabsetzt und Eure arge Freude nicht verhehlt an den boshaften Reichstagscaricaturen des Abgeordneten Blum, wenn er Blankenburg auf dem Veloeipede zeichnet, wie er ausruft: „Ich sehe keinen Stillstand – ich galoppire nach rechts!“ oder auf einem andern Blatte „Die Naturwunder der Gewerbeordnung!“ nämlich Grumbrecht und Wagener (Neustettin) als siamesische Zwillinge, verbunden durch das Band des Zunftzwangs, und von Blankenburg in der Wiege, auf dessen Rücken Miquel als „Schievel’sche Geburt“ sich entwickelte; oder „Ziegler’s Stellung zur Frage der Sonntagsarbeit,“ d. h. in tiefen Schlaf auf feinem Parlamentssitze versunken, oder noch einmal Grumbrecht „auf den Trümmern seiner durch die Aufhebung der Bürgerrechtsgelder zerstörten Vaterstadt.“

Seht Euch diesen Deutschen und Abgeordneten hier als Muster an! Seinen Namen werdet ihr freilich auf das erste Mal nicht aussprechen können, den er heißt Jan ten Doornkat-Koolmann, ist aus Norden in Ostfriesland und so bedeutender Genever-(Wachholder-)Branntweinfabrikant, daß sein Fabrikat unter dem Namen „Doornkat“ in die ganze Welt geht. Aber gleichwohl plaidirt er eben lebhaft für die Branntweinsteuer gegen den Zuckersieder und Melassenbrenner Sombart und einige schnarrende pommersche Branntweinjunker. Jetzt greift er nach seiner Fracktasche und die Gruppe zieht sich nach einer der Ecken, in denen in fünf Minuten Weltgeschichte gemacht wird. Doornkat, Doornkat, das hätte ich nicht von Ihnen gedacht, daß Sie die Ginflasche, die Sie unsern blauen Montagskatern so freundlich im Hotel Schmelzer reichen, auch hierher mitnehmen, um sie gelegentlich als Bundesgenossen der Bismarck’schen Steuerpolitik aufmarschiren zu lassen. Bismarck kann zwar nach seiner eigenen Erklärung im Reichstag die Angemessenheit der Branntweinsteuer auch als Praktiker beurtheilen, denn er treibt neben seinen amtlichen Functionen auch die Branntweinbrennerei schon über zwanzig Jahre.

Da höre ich des Kanzlers Stimme wieder hinter mir. „Stoßen wir auf die alten Farben Blau-Roth-Gold der Hannovera in Göttingen an, Herr Corpsbruder!“ ruft er seinem alten Verbindungsbruder, dem Oberbürgermeister Fromme aus Lüneburg, zu. Und die beiden „alten Herren“ gedenken in einem vollen mit einem Zuge geleerten Glase Maiwein der schönen Jugendstunden. Schon damals antwortete Bismarck auf die Frage, was er studire: „Diplomatie.“ Er war damals ein äußerst schmächtiger, hoch aufgeschossener feiner Studio, mit keimendem Schnurrbart, berühmt durch seinen prachtvollen Neufundländer, weithin gefürchtet durch seine Klinge, mit der er schon als Fuchs sämmtliche Mitglieder eines feindlichen Corps abgeführt hatte. Freilich auch seine linke Wange giebt vernarbte Kunde von dem treulosen Wechsel des Waffenglücks. Der böse Feind, der ihm diese Quart „hineingebracht“, genießt sogar das Vertrauen eines Bruchteils der norddeutschen Bevölkerung in dem Maße, daß er in den constituirenden Reichstag gewählt ward. Als er hier Bismarck sich vorstellen ließ, rief dieser mit bezeichnendem Hinweis auf seinen „Schmiß“:

„Sind Sie der?“

„Ja wohl, Excellenz.“

„Aber das war doch ein Sauhieb.“

„Ja, Excellenz, das haben Sie schon damals gesagt, aber das Paukbuch beweist das Gegentheil.“

Die diplomatischen Studien von Göttingen haben sichtbarlich Früchte getragen. Schade, daß die vielfachen Geschäfte in seinem Amte als dreifacher Minister, Kanzler und Branntweinbrenner dem Grafen nicht verstatten, als Privatdocent der praktischen Diplomatie aufzutreten. Ich vermuthe, manch' ein Lehrstuhl der „praktischen“ und „theoretischen“ Politik in Deutschland würde eingehen. Die diplomatische Vorlesung, die der Graf an diesem Abend zum Besten gab, behandelte das Thema der „Blaubücher“, das er Tags zuvor, durch Lasker veranlaßt, schon im Reichstag besprochen hatte. „Wenn Sie absolut ein Blaubuch bei mir bestellen, werde ich versuchen im nächsten Jahre etwas Unschädliches zusammenzustellen,“ hatte er dort unter großer Heiterkeit des Hauses erklärt. Hier erläuterte er an einem schlagenden Beispiel den trügerischen Werth dieser Depeschensammlungen:

„Da kommt z. B. Lord Loftus (der englische Botschafter in Berlin) zu mir und fragt mich, ob ich geneigt sei, einen Privatbrief seines Ministers, Lord Clarendon, anzuhören. Er liest mir nun ein kleines eigenhändiges Manuscript des edlen Lords vor, wir unterhalten uns ungefähr eine Stunde darüber, und – nach fünf Tagen läßt er sich wieder melden. Diesmal hat er ein großes amtliches Schreiben des großbritannischen auswärtigen Amtes bei sich. Er fängt an zu lesen.

‚Bitte um Vergebung, Excellenz,‘ sage ich, ‚das haben Sie mir ja schon am Montag einmal vorgelesen.‘

‚Ja, aber jetzt soll die Depesche ins Blaubuch.‘

‚Da soll ich Ihnen nun wohl auch noch einmal dieselbe Antwort für Ihr Blaubuch geben?‘

‚Gewiß, wenn Ew. Excellenz nichts dagegen haben, wird dies gar nicht zu umgehen sein.‘

‚Na, da haben Sie die Antwort noch einmal.‘

Und nun brauche ich noch einmal eine Stunde, nur um des Blaubuchs willen, und dabei muß ich sehr oft dem Engländer noch sagen: ‚aber diese Stelle meiner Erklärung bringen Sie nicht in Ihr Blaubuch‘ – zum Beispiel die, daß ich das Blaubuch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_315.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)