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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Frau von Herbeck’s demüthig gesenkte Wimpern hoben sich bei den letzten Worten Seiner Durchlaucht in einem seltsamen Gemisch von Freude, Angst und Schrecken – die schwimmenden Augen streiften verzagt über das Gesicht des Ministers – in welch’ eisiger Kälte waren diese Züge erstarrt! … Die kleine, fette Frau empfand abermals den heißen Wunsch, sich in den Erdboden verkriechen zu dürfen.

„Sie haben einen heftigen Schrecken gehabt,“ sagte der Fürst weiter – „der Brand im Dorfe konnte recht bedenklich werden – aber beruhigen Sie sich, es hat nichts mehr zu bedeuten. Ich komme eben vom Brandplatze.“

„Ach Durchlaucht, das hätte sich überstehen lassen! … Ich kann viel weniger die Alteration über den tollkühnen Ritt meiner kleinen Gräfin verwinden! … Excellenz, ich bin unschuldig!“ wandte sie sich mit flehender Stimme an den Minister.

„Lassen Sie das jetzt!“ sagte er mit einem ungeduldigen Handwinken. „Wo ist die Gräfin?“

„Hier, Papa!“

Das junge Mädchen trat aus dem Seitenweg.

War sie in den wenigen Tagen ihrer Verbannung noch gewachsen? Und was mußte in dieser Seele vorgegangen sein, daß auch der letzte Rest kindlicher Unterwürfigkeit von der Erscheinung abgestreift schien? … So, wie sie da aus dem Gebüsch hervortrat, war sie die gebietende Herrin des Schlosses. Die ganze anmuthvolle Hoheit, mit der einst die Gräfin Völdern die Wirthin gemacht, umfloß auch diese jugendliche Gestalt; nur das verführerische Lächeln fehlte – auf der Stirn des jungen Mädchens lag ein tiefer Ernst.

Der Minister wollte ihre Hand ergreifen, um Serenissimus die Stieftochter in aller Form vorzuführen. Sie schien diese Absicht nicht zu verstehen – Seine Excellenz begnügte sich demzufolge, die Vorstellung mittels einer zierlichen Handbewegung einzuleiten, und das ,Meine Tochter!’ klang so zärtlich innig von seinen Lippen, als sei das verknüpfende Band zwischen ihm und der gräflichen Waise nie fester gewesen, als in diesem Augenblick.

Gisela verbeugte sich mit ungezwungener Grazie. Frau von Herbeck’s Blicke hingen in verzehrender Angst an dieser Verbeugung – sie war „lange, lange nicht tief genug!“ Aber die Züge des Fürsten verloren das Gepräge herzlichen Wohlwollens und lebhafter Freude darum nicht.

„Liebe Gräfin – Sie ahnen nicht, wie viel schöne Erinnerungen Ihre Erscheinung in mir weckt!“ sagte er fast bewegt. „Ihre Großmama, die Gräfin Völdern, der Sie zum Verwechseln ähnlich geworden sind, war einst, wenn auch nur für wenige Jahre, die Seele meines Hofes. Wir Alle werden die Zeit nie vergessen, wo dieser funkensprühende Geist uns das Leben von einer ganz neuen Seite zeigte – damals vergaß man, daß das menschliche Dasein auch Schattenseiten habe. … Die Gräfin Völdern war für uns eine beglückende Fee! –“

„Die ihre bittenden Untergebenen mit Hunden forthetzen ließ,“ dachte Gisela, und ihr Herz wand und krümmte sich unter diesem Schluß, der sich ihr unerbittlich aufdrängte. … Noch vor einer Viertelstunde würde sie der emphatische Nachruf des Fürsten beglückt und stolz gemacht haben – jetzt klang er ihr wie der schneidendste Sarkasmus.

Sie fand nicht ein Wort der Erwiderung auf die schmeichelnde Anrede. Seiner Durchlaucht galt dieses Verstummen für „reizende Blödheit des einsamen Kindes“. Er half ihr rasch über die anscheinende Verlegenheit hinweg, indem er ihre Hand faßte und sie nach der prächtigen Linde führte, die nahe am Gitterthor des Schloßgartens ihr uraltes, dickbelaubtes Geäst über eine Gruppe eiserner Möbel breitete.

„Im Schlosse will ich für dieses Mal nicht einkehren,“ sagte er, sich niederlassend. „Die Zeit des Diners rückt heran und wir dürfen die Damen in Arnsberg nicht warten lassen. … Aber einen Augenblick muß ich unter dieser Linde ruhen. … Wissen Sie noch, lieber Baron Fleury? – hier saßen wir meist in den italienischen Nächten, welche die Gräfin so wundervoll in Scene zu setzen wußte. … Da lag das Schloß dort drüben in feenhafter Beleuchtung – der Garten, den Jugend und Schönheit reizend belebten, schwamm in einem Meer von Licht und Duft - welch’ eine berauschende Zeit war das! … Vorüber, vorüber!“

Man übersah von diesem Platz aus allerdings das imposante Schloß und einen großen Theil des herrlich angelegten Gartens. Seitwärts, hinter dem Bronzegitter des Thores breitete sich aber auch das Thalgelände aus – über diesem sonnigen Streifen ballten sich augenblicklich die Rauchwolken in unverminderter Dichtigkeit und ließen den weiterhin dämmernden Bergwald fast verschwinden.

Und wenn man auch alle weitere Gefahr für das heimgesuchte Dorf beseitigt hatte, Gisela begriff doch nicht, wie es dem alten, neben ihr sitzenden Herrn möglich war, angesichts einer solchen Wirklichkeit, sich so schwermüthig in die todte Vergangenheit zu versenken.

Vom Dorfe her kamen jetzt auch die Herren des Gefolges. Frau von Herbeck eilte nach dem Schloß, um Erfrischungen zu bestellen; aber als sie das erste schützende Gebüsch hinter sich wußte, da streckte sie in verzweifelter Angst die Hände gen Himmel – das Gesicht des Ministers verwandelte sich ja heute, sobald er sich auch nur einen Moment unbeobachtet glaubte, in wahrhaft entsetzlicher Weise – nie hatte sie Grimm und verhaltene Wuth so unverhohlen in den steinernen Diplomatenzügen ausgeprägt gesehen.

Eben erhob sich Seine Excellenz, um die Herren seiner Stieftochter vorzustellen, als ein dumpfes Krachen vom Brandplatz herüberscholl, dem ein gellendes Aufschreien vieler Stimmen folgte.

Der Fürst sprang auf man trat in den Thorweg.

„Das letzte brennende Haus ist zusammen gestürzt, Durchlaucht. Dabei war keine Gefahr mehr,“ beruhigte einer der Cavaliere.

„Gehen Sie und bringen Sie sofort Nachricht!“ befahl der Fürst.

Mehrere Herren stoben dahin, als blase der Sturmwind hinter ihnen her.

Fast unmittelbar darauf kam ein Mann um die Ecke der oberen Dorfgasse gesprungen. Es war der Greinsfelder Schullehrer, der nach seiner in der Nähe des Schlosses gelegenen Wohnung lief.

„Was giebt es da drüben, Herr Wöllner?“ fragte Frau von Herbeck, aus dem Thor tretend.

„Gnädige Frau, des Nickel’s Haus ist eingestürzt und hat einen Antichristen unter sich begraben,“ antwortete der Mann fast feierlich, aber auch mit einer Art von fanatischer Wildheit. „Soviel ich gesehen habe, liegt der Amerikaner aus dem Waldhause d’runter. … Gnädige Frau, dort richtet der Herr in seinem gerechten Zorn! Alle Abgebrannten haben ihre Ziegen gerettet, nur dem Weber seine ist verbrannt – er hat auch die Petition unterschrieben, die um Belastung des Neuenfelder Pfarrers in seinem Amt bitten soll!“

„Alberner Schwätzer!“ schalt der Minister verächtlich. Er und der Medicinalrath waren die Einzigen, die neben der Gouvernante das Ende des Berichtes abgewartet hatten.

Der Fürst schritt mit bleichem Gesicht nach der Dorfgasse – vor ihm her aber flog Gisela. … Ein Aufschrei der Verzweiflung hatte sich auf ihre Lippen gedrängt, allein sie waren stumm geblieben – die Kehle hatte sich krampfhaft geschlossen…. Aber die Füße trugen sie ja noch.

Was wollte sie dort? … Die Trümmer wegreißen, die auf seinem Gesicht lagen, mit ihrem eigenen Körper die Flammen ersticken, die ihn verzehren wollten! … Sterben, sterben, elend ersticken unter der grausen Last von Trümmern und glühender Asche sollte so viel Majestät und Herrlichkeit, so viel Thatkraft und mächtiger Wille, ein so zärtlich geliebtes Leben, das sie mit Augen und Händen, mit allen Kräften ihrer Seele behüten mochte!

Eine Säule schwarzen Qualms stieg an dem Ort des Unglücks kerzengerade gen Himmel. Gisela fühlte bei diesem Anblick ihre Füße treulos werden – es legte sich wie eine Wolke vor ihre Augen; sie wankte und schlug mechanisch die Arme um den nächsten Baum.

„Armes Kind!“ rief der Fürst herzuspringend. „Wie mögen Sie aber auch hierher gehen? Das ist nichts für Sie! … Ich beschwöre Sie, kehren Sie mit mir zurück!“

Sie schüttelte den Kopf und rang nach Fassung.

Seine Durchlaucht sah sich rathlos um. Auch die Herren, die anfänglich mit ihm am Thorweg stehen geblieben, waren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_339.jpg&oldid=- (Version vom 22.8.2016)