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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Theil zu nehmen, als er bei Piedmont in Utah von mehreren Hundert Arbeitern und Angestellten an der Bahn angehalten und gefangen genommen wurde, welche schworen, sie würden ihn nicht eher weiter reisen lassen, als bis er ihnen den seit Monaten rückständigen Tagelohn ausbezahlt hätte. Achtundvierzig Stunden saß der arme Mann in Haft und mußte haarsträubende Lynch-Drohungen anhören, ehe das von ihm per Telegraph requirirte Geld (vierundachtzigtausend Dollars) anlangte und er unter den Glückwünschen der Arbeiter weiter fahren durfte.

In Folge dieses Aufschubs am Salzsee feierte San Francisco, wie gesagt, das Pacific-Eisenbahnfest am 8. Mai. Am frühen Morgen kündigten hundert Kanonenschüsse von den schweren Batterien bei Fort Point am goldenen Thor und auf der in der Bai liegenden befestigten Insel Alcatraz den Bewohnern der großen Goldstadt an, daß heute der Tag da sei, an dem die Pacific-Eisenbahn fertig oder vielmehr nicht fertig werden würde. Aber was that’s, ob man das Fest am 8. oder am 10. Mai feierte? Die schlechten Bezahler an der Union-Pacific sollten uns den Spaß nicht verderben, zumal bereits Alles zur Feier vorbereitet war und ein Aufschub große Störungen verursacht hätte.

Die meisten Geschäfte in der Stadt waren geschlossen, Fahnen rauschten von allen Dächern und die Straßen waren lebendig von frohen Menschen. Nach amerikanischer Sitte durfte ein Mammuths-Festzug nicht fehlen. Bei dem prachtvollsten Wetter, Schlag elf Uhr, setzte sich dieser in Bewegung, mit allen Blechinstrumenten und Trommeln in der Stadt, unter dem Läuten sämmtlicher Glocken, dem unausgesetzten schrillen Pfeifen und Geheul aller Dampfmaschinen in den zahlreichen Maschinenwerkstätten, Eisengießereien und Fabriken, auf den Dampfschiffen im Hafen und von den Dampffeuerspritzen in den Straßen, – ein großartiger Spectakel. Als der Festzug sich durch die elegante Montgomerystraße bewegte, wo ein Meer von Fahnen wogte und alle Gebäude bis an’s Dach voll waren von Menschen, war das Schauspiel im höchsten Grade imposant.

San Francisco kann man mit Recht eine Stadt von Vereinen nennen, und heute waren sie Alle in Gala ausgerückt. Es giebt deren hier fast so viele als Sand am Meere. Tagtäglich sieht man Abtheilungen von Bürgersoldaten, Turnern, Schützen und Vereinen aller Art mit hochklingenden Namen durch die Straßen paradiren. Italiener, Deutsche, Franzosen, Irländer, Skandinavier, Portugiesen, Slavonier, Illyrier, Neger, Amerikaner, Mexikaner, – Grenadiere mit gewaltigen Bärenmützen und thurmhohen rothen und weißen, wie Cardinalshüte geformten Käppis, Dragoner mit griechischen Helmen und Pferdeschweifen und in mittelalterlichen Sturmhauben, Jäger, Infanterie, Zuaven, Alle mit schweren Epauletten, so daß jeder Gemeine wie ein General aussieht, Turner, Schützen und Rothmänner wetteifern mit Leuten in Civil, in schwarzen Tuchröcken und weißen Baumwollenhandschuhen, mit unverwüstlicher Geduld, unter rauschender Janitscharenmusik und mit fliegenden Bannern Straße auf und Straße ab zu marschiren.

In dem großen Festzuge gingen natürlich Alle mit, – Vereine, Bürgersoldaten, das reguläre Militär, die californischen Pioniere (ersten Ansiedler des Landes), die Gewerke, Maschinenbauer etc., jede Abtheilung mit rauschender Musik und mit fliegenden Fahnen, und an Phantasiebildern und poetischen Darstellungen, die sich auf die Pacific-Eisenbahn bezogen, war kein Mangel. Die deutschen Turner, welche an einem auf einem Wagen angebrachten Barren Turnübungen anstellten und im Fahren einige menschliche Pyramiden zu Stande brachten, wurden mit besonderem Jubel begrüßt, und mancher Blumenstrauß flog von schöner Hand ihnen zu. Sieben blankgeputzte, mit prächtigen Pferden bespannte Dampffeuerspritzen, wie man sie schöner nirgends in der Welt sieht, die mit gellendem Schreien des Dampfes hintereinander herfuhren, und eine von zwanzig Pferden gezogene Locomotive verdienen besondere Erwähnung.

Nachdem der Festzug durch die Hauptstraßen der Stadt marschirt war, ging’s nach dem „Pavillon“, ein Gebäude, das viertausend Menschen faßt. Hier wurden die unvermeidlichen Festreden gehalten, der Dichter des Tages trug seine eleganten Verse vor, die Nationalhymne „star spangled banner“ ward unter der Begleitung von dreihundertundfünfzig Instrumenten gesungen. Abends brannten gewaltige Feuer, wobei das Brennmaterial aus Brettern, Fässern, Kisten und Kasten bestand, an den Straßenecken und auf den Hügeln in und um die Stadt, die Hauptstraßen waren illuminirt, Raketen sausten in den Himmel – so war das Pacific-Eisenbahnfest hier in der großen Goldstadt am Gestade des Stillen Oceans.

Theodor Kirchhoff in San Francisco.




Vor fünfzig Jahren.

Von Robert Keil.

„In einem Zeitpunkte, wo sich der Deutsche dem Deutschen überall nähern, wo nur Ein Geist alle Deutsche beleben und ganz Deutschland überströmen soll, wäre es eine Schande, wenn gerade auf Universitäten, von denen doch alles Bessere ausgehen und sich über das gemeinsame Vaterland verbreiten sollte, wenn auf diesen dieser schöne Geist erstarren und Kleinländereien und Erbärmlichkeiten weichen sollte, die doch nur in einem Getrenntsein der verwandten deutschen Stämme ihren Ursprung und ihre Rechtfertigung finden konnten. Nur in der edlen Liebe, nur in dem großen Gedanken an ein gemeinschaftliches, allumfassendes Vaterland, an den gemeinsamen deutschen Vaterheerd, kann sich der Deutsche groß und zu jeder Heldenthat entschlossen fühlen, denn der Gedanke eines Brudervolkes, in dem sich alle einzelnen Stämme vereinen, das lebende Bewußtsein, Kinder des Einen großen mütterlichen Landes zu sein, umschlungen von den Banden des Einen germanischen Volkes, erhebt zu jenen gewaltigen Empfindungen des wahren Gemeingeistes und Volkssinnes, welche die Wunder der Vaterlandsliebe in der Geschichte verrichten lassen.“

Erfüllt von diesem neuerwachten deutschen Nationalgefühl, wie es in vorstehenden, wörtlich treu wiedergegebenen Sätzen der Jenaer Burschenschafts-Verfassungsurkunde vom 12. Juni 1815 ihren energischen Ausdruck gefunden, hatten bekanntlich die aus dem Befreiungskriege nach der Universität Jena zurückgekehrten Jünglinge die erste deutsche Burschenschaft gegründet. Von dort aus war das erste deutsche Nationalfest, die Doppelfeier der Befreiung von kirchlicher Knechtung und napoleonischer Gewaltherrschaft, jenes erhebende Wartburgfest vom 18. und 19. Oktober 1817 und damit zugleich die durchgreifendste Reform des deutschen Universitätslebens in patriotischem Sinn veranlaßt und eingeleitet worden.

Dieser Wartburggeist, diese Wartburgstimmung hatte belebend und befruchtend sich über die deutschen Universitäten ergossen und überall Sittlichkeit, Wissenschaftlichst und Vaterlandsliebe erweckt. In diesem Sinne entstanden die Burschenschaften von Berlin, Breslau, Erlangen, Gießen, Halle, Heidelberg, Kiel, Königsberg, Leipzig, Marburg, Rostock, Tübingen und Würzburg, und gründeten im Verein mit der Jenaer Burschenschaft am 18. Oktober 1818 auf dem Burschentag zu Jena die allgemeine deutsche Burschenschaft.

Diese hohe und heilige Idee deutscher Einheit und Freiheit war der Grundgedanke der allgemeinen deutschen Burschenschaft. Sie wollte, wie sie in ihrer Constitution geradezu aussprach, „ein Bild des in Freiheit und Einheit erblühenden Volkes sein, wollte ein volkstümliches Burschenleben in der Ausbildung einer jeden leiblichen und geistigen Kraft erhalten und im freien, gleichen und geordneten Gemeinwesen ihre Glieder zum Volksleben vorbereiten“. Sie hat diese hohe Aufgabe redlich erfüllt. Die ganze große Einheitsbewegung des deutschen Volkes hat dort ihren Ausgang genommen, dort ihre Basis gefunden.

Aber eben damit war die Veranlassung zu den schmachvollen Anfeindungen und Verfolgungen gegeben, denen die Burschenschaft von ihrem ersten Entstehen an von Seiten der Reaktion ausgesetzt war. Wohl hatten die deutschen Fürsten beim Aufruf des deutschen Volkes zum Befreiungskampf gegen Napoleon's Tyrannei „Rückkehr zu Freiheit und Unabhängigkeit , Wiedergeburt eines

ehrwürdigen deutschen Reiches, ein verjüngtes, kräftiges, aus dem

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