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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

hielten sich nur längere Zeit in einer Entfernung von circa zweihundert Schritt, wobei wir sie sehr genau beobachten konnten, und gingen dann weg nach einer anderen inzwischen emporgekommenen Sandbank. Es waren zwei alte und drei jüngere Thiere; da der Wind etwas ungünstig war, mochten die Alten Unrath gewittert und die ganze Gesellschaft mit fortgenommen haben.

Bereits im Begriff, die Jagd aufzugeben, sahen wir aus der Ferne einen einzelnen Seehund straff auf unsern Platz lossteuern. Er tauchte unter und kam dann in einer Entfernung von nur etwa sechszig Schritt von uns wieder zum Vorschein, den Vorderkopf nach mir gerichtet. Trotz der strengen Regel, nur auf zehn Schritte Distanz und nur von der Seite oder von hinten her auf den Kopf zu schießen, hatte ich leise das Gewehr erhoben – Kleyhauer huxte – und rasch tauchte das Thier abermals unter.

„Aufgepaßt, Doctor! Der kommt nah genug!“ rief jener mir zu, und mit angehaltenem Athem, das Gewehr schußfertig auf die Oberfläche des Wassers gerichtet, harrte ich, bis das Thier wieder emporkäme.

Da plötzlich erschien es nur fünf Schritte vor mir auf dem Wasserspiegel, die großen, dunklen Augen auf meinen Jagdgefährten, der weiter links lag, geheftet – uns beiden gleich schußgerecht, und auch dieser erhob sein Gewehr.

So kurze Zeit auch seit dem letzten Untertauchen des Thieres verstrichen, so war die Anspannung für meine bereits seekranken Nerven doch zu groß; vergebens suchte ich meine Ellenbogen fest auf den lockeren Sand zu stützen, dieser gab nach, mir zitterten die Arme und mit ihnen das Gewehr; vor meinen Augen dunkelte es, dann flammte es grün und gelb und feuerfarben, die Wogen schwankten auf und nieder und, wie in Nebel gehüllt, tanzte auf den purpurn und golden glitzernden Wellen der Seehundskopf mit den großen, strahlenden Augen – mich hatte das Seehundsfieber gepackt. Dennoch raffte ich noch einmal alle Kraft zusammen und gab Feuer. Ein freudiger Ruf Kleyhauer’s zeigte, daß ich getroffen; mit einer Behendigkeit, wie sie sonst die Schiffer nur auf ihren Brettern zeigen, eilte er zur Stelle und zog mit langem Haken das regungslos glatt obenauf treibende Thier an’s Ufer. Hier ward dasselbe kunstgerecht hingelegt, als ob es ruhe, um andere anzulocken, während wir einen Spaziergang nach dem auf der Platte zur Rettung Schiffbrüchiger angebrachten Kaab machten. Es zeigten sich jedoch keine Seehunde wieder in der Nähe, und der unaufhörliche Regen, so wie allmählich wieder eintretende Fluth nöthigten uns bald zur Rückkehr auf den „Bismarck“.

Trockene Kleider, ein einfaches Mahl von Sandkartoffeln mit ostfriesischer Butter und hinterher ein vortrefflicher Kaffee restaurirten uns bald. Das stolze Bewußtsein, daß die Ehre des heutigen Tages gerettet sei, hob unsere Stimmung, und vergnügt segelten wir längs der grünumdeichten Küste von Butjadingerland hin, während der Capitän uns von seinen Fahrten nach Grönland erzählte. Gegen Abend gingen wir bei Eversand am Ausgange der Wesermündung vor Anker.

Während der Nacht leider wieder von einem tüchtigen Sturm geschüttelt, nahmen wir am folgenden Morgen unsern Cours nach „Hundehaufen“, einer Platte, auf der, wie schon der Name sagt, die Seehunde in Haufen anzutreffen sein sollen. Richtig zählten wir auch acht Stück beisammen, darunter mehrere Junge. Unser Forsteleve ward zuerst hinüber getragen, weil er heute womöglich zuerst schießen sollte; ein junges Thier blieb auch, dreist genug, in geringer Entfernung von ihm ruhig auf der Oberfläche, unklugerweise schoß er jedoch mit dem Büchsenrohre seines Doppelzeuges und ich sah noch vom Rücken Kleyhauer’s aus die Kugel zwei Zoll hinter dem Kopfe des Thieres auf’s Wasser aufschlagen. Da der Wind günstig war, so näherten sich auch, nachdem wir uns gelagert hatten, bald die verscheuchten Thiere wieder; die Wogen gingen aber so hoch, daß wir mehrmals fehlten, bis endlich ein junger, sehr hübsch weiß und schwarz gefleckter Seehund aus großer Nähe von meinem Oldenburger Jagdgefährten erlegt ward, worüber dieser sich „riesig gefreute“. Daß das Vorbeischießen sehr leicht ist, konnte ich mir später, nachdem die Thiere abgehäutet waren, sehr wohl erklären: der Schädel ist ringsum mit einer sehr dicken Fettschicht bekleidet, die den Kopf so groß erscheinen läßt, bietet aber von der einen oder andern Seite nur eine etwa handtellergroße Fläche dem Schützen als Zielscheibe. Trotzdem gelang es mir am dritten Tage, wo wir abermals in der Nähe von Wangeroog jagten, mit einem Dreyse’schen Zündnadelgewehr einen Seehund auf wenigstens neunzig Schritt Entfernung zu treffen – augenblicklich ließ er den Kopf sinken und trieb platt oben auf, während ein breiter Wasserstreifen blutig roth sich färbte. Als der eilig herangeruderte Kleyhauer das Thier am Haken emporzog, zitterten nur noch die Zehen ein wenig von den letzten entfliehenden Lebensgeistern. Die Seehunde sind ungemein weich und verenden fast augenblicklich, wenn auch nur ein einziges Schrotkorn an der richtigen Stille trifft.

Von der Platte aus, wo wir uns jetzt befanden, konnte man zur Ebbezeit Spiekeroog zu Fuße erreichen, während wir noch mehrere Stunden hätten warten müssen, bis die Fluth so hoch gestiegen, daß wir zu Schiffe heimkehren konnten. Wir entschieden uns für das Erstere und langten nach anderthalbstündigem Waten durch den Sand ohne allen Schutz vor den heute so brennenden Sonnenstrahlen glücklich auf der Insel an, herzlich froh, endlich einmal wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.

Der anfangs so anhaltende Regen, der scharfe Wind, der Qualm in der Kajüte und endlich die grellen Sonnenstrahlen hatten uns Gesicht und Hände so verwettert und gebräunt, daß wir aussahen, als ob wir wenigstens in Island gewesen wären; verwundert schauten uns die Herren, fahl mit Entsetzen die Damen an, und Alles lauschte gespannt der Erzählung unserer Reiseabenteuer. Frohlockend ward Kleyhauer begrüßt, als er gegen Abend mit den drei zu beiden Seiten des Wagens herabhängenden Seehunden vorfuhr. Mit spitzem Finger betasteten die Damen scheu die glatten, dicken Thiere.

Am folgenden Morgen hatte Kleyhauer die Robben abgehäutet und das Fett ausgebraten; wir verschmähten ein von ihm uns offerirtes Lendenbeefsteak, obwohl der frisch ausgelassene Thran so appetitlich duftete, wie frisches Schweineschmalz. Dagegen nahmen wir die Felle an uns zum bleibenden Andenken an die mühseligen Jagdabenteuer in der Nordsee und an den freundlichen Aufenthalt auf der seehundsplattenumsäumten Insel Spiekeroog.




Reichsgräfin Gisela.

Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)

„Es ist kein Zweifel!“ rief der Fürst aus. „Eschebach hat Ihnen eigenhändig dieses Schriftstück, dieses Testament übergeben, Herr von Oliveira?“

„Vor Allem muß ich Euer Durchlaucht die Mittheilung machen, daß ich ein Deutscher bin,“ sagte der Portugiese ruhig. „Mein Name ist Berthold Ehrhardt – ich bin der zweite Sohn des ehemaligen fürstlichen Hüttenmeisters Ehrhardt in Neuenfeld –“

„Ha, ha, ha!“ lachte der Minister im wilden Triumph auf. „Wußte ich doch, daß die ganze Geschichte auf einen Schwindel hinauslaufen würde. … Durchlaucht, da haben wir einen Demagogen vom reinsten Wasser wieder im Lande – er hat sich vor circa zwölf Jahren durch die Flucht der gesetzlichen Strafe entzogen!“

Der Fürst trat mit finster gerunzelten Brauen und einer sehr ungnädigen Bewegung zurück.

„Wie – Sie haben sich unter falschem Namen in meine Nähe einzuschleichen gewußt?“ rief er unwillig.

„Ich bin in der That Herr von Oliveira, Herr einer Besitzung, die diesen Namen führt und mir verleiht – in Brasilien gilt er für meine Persönlichkeit so gut, wie mein Familienname,“ entgegnete der Portugiese unerschüttert. „Wäre ich nach Deutschland zurückgekehrt, lediglich im eigenen Interesse, dann würde Nichts in der Welt mich vermocht haben, den lieben, ehrlichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 461. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_461.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2022)