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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

das Mädchen hatte jetzt, heftig den Kopf schüttelnd, in der That die Hände losgerungen – „vor Ihnen steht der schlichte Deutsche mit dem einfachen Namen, den er nie wieder ablegen wird –“

„Und zu ihm sage ich“ – unterbrach sie ihn mit fester Stimme und hob die Augen voll unsäglicher Liebe zu ihm empor – „nicht sterben will ich, Berthold Ehrhardt; aber leben, leben will ich – für Sie!“

Noch hielt der Mann an sich.

„Wissen Sie auch, was Sie da aussprechen, Gisela? … Nein, Sie können es unmöglich in seinem ganzen Umfang begreifen, denn Sie sind zu unerfahren in Welt und Leben! Ich will es Ihnen sagen. … Sie geben mir mit diesen wenigen Worten das Recht, Sie einst in Wirklichkeit als mein ausschließliches Eigenthum für Zeit und Ewigkeit in mein einsames Haus tragen zu dürfen. … Und ich darf dabei eine meiner Schwächen nicht verhehlen – ich würde Sie unerbittlich festhalten in dieser Einsamkeit, aus Furcht, es könnte ein fremder Blick auf Sie fallen. … Ich weiß es, ich würde ein grausamer Egoist sein, ich würde von Ihnen verlangen, nur für mich zu leben – ich würde nicht eines dieser goldenen Haare von fremder Hand berühren lassen – ich würde jeden Ihrer Pulsschläge mit eifersüchtigem Auge bewachen. … Und für Alles, was Sie zu ertragen hätten, bliebe Ihnen kein anderer Ersatz, als das Bewußtsein, einem einzigen leidenschaftlichen Herzen das Paradies auf Erden zu erschließen, einem Manne –“

„Dem einzigen Manne, den ich liebe,“ fiel sie ihm mit glückseligem Lächeln in’s Wort. „Hörten Sie nicht, wie ich dem Fürsten erklärte, daß mir mein Lebensweg bereits klar und bestimmt vorgezeichnet sei? Es ist der Weg, den ich einzig und allein an Ihrer starken Hand gehen will. … Schließen Sie mich ein in die Einsamkeit – ich weiß nur ein Glück, das ich mir wünsche: Sie zu trösten und durch meine Liebe und Hingebung mit Ihrer traurigen Vergangenheit zu versöhnen. … Nehmen Sie mich hin – ich bin Ihr Eigenthum!“

Und er hatte sie bereits hingenommen. Er hielt sie mit dem rechten Arm umschlungen und drückte mit der zitternden linken Hand ihr Köpfchen an seine breite, gewaltige Brust, in leidenschaftlicher Gluth, aber doch sanft und sacht, wie man ein zartes, zerbrechliches Vögelchen liebkost.

„Ich gehe mit Ihnen, wohin Sie wollen,“ flüsterte sie, während die heißen, zuckenden Lippen, die sie schon einmal auf der Hand gefühlt, die leuchtende Mädchenstirn berührten. „Ich gehe mit Ihnen auch dahin, wo Sie mit dem Tiger kämpfen –“

„Nein, nein!“ ,stammelte er. „Wie möchte ich meine weiße Blume, meine zarte, schlanke Birke, dem kühlen, deutschen Wald entreißen? … Ach, Gisela, Du bist unwiderruflich mein!“ rief er in ausbrechendem Jubel. – „Und nun sollen auch nicht einmal Deine kleinen Füße den Boden mehr berühren, dem ich Dich für immer entführe!“

Er hob sie plötzlich mit gewaltigen Armen empor, drückte sie fest an seine heftig athmende Brust und stürmte mit ihr durch die Alleen zum Schloßthor hinaus, dessen Flügel schmetternd hinter ihnen wieder zusammenfielen.

Bald darauf stand Gisela allein an der Thür des Pfarrhauses, während der Portugiese seitwärts verharrte und das Mädchen mit seinem Auge behütete, bis es Einlaß gefunden.

Es war bereits späte Nachtzeit; aber im Wohnzimmer der Pfarre brannte noch Licht. Gisela klopfte, und fast unmittelbar darauf wurde die Hausthür geöffnet. Die junge Dame winkte noch einmal mit der Hand in das Dunkel zurück, dann trat sie in hie Hausflur und stand vor der Pfarrerin, die, eine Lampe in der Hand, wie versteinert in das Gesicht des späten Gastes blickte.

„Frau Pfarrerin,“ sagte die junge Gräfin sanft bittend, und ergriff die Hand der Frau, „Sie haben auf der Waldwiese von der Liebe gesprochen, die das Christenthum zu allererst predige – an diese Liebe wende ich mich und bitte Sie inständigst um ein Asyl in Ihrem Hause.“

Die Pfarrerin setzte die Lampe rasch auf einen niedrigen Schrank, der in der Hausflur stand, nahm beide Hände des jungen Mädchens zwischen die ihrigen und sah ihr mit ihrem scharfen, klugen Blick tief in die Augen.

„Das soll Ihnen werden, liebe Gräfin,“ sagte sie ernst und kräftig betheuernd. „Sie sollen in meinem Haus und in meinem Herzen einen Platz finden wie mein eigen Kind. … Aber was muß geschehen sein, daß –“

„Es ist schweres Unrecht geschehen, Frau Pfarrerin,“ unterbrach sie Gisela. „Lang verschwiegene Sünden und Verbrechen sind an das Tageslicht gekommen … ich weiß jetzt, daß ich während meines ganzen jungen Lebens mit beiden Füßen auf einem Abgrund voll Verderbniß und heimtückischer Anschläge gestanden habe. … Ich will reine Luft athmen, ich will das Schlimme, das mir noch anhaftet aus meinem bisherigen Leben, hier abstreifen – Sie haben ein großes Herz voll warmer, mütterlicher Liebe und einen starken, furchtlosen Geist – ich weiß es und habe Sie lieb gehabt, seit ich Sie so muthig vor dem Minister stehen sah. … Sie sollen mich belehren und leiten und vorbereiten zu einem hohen, heiligen Beruf. … Muß ich Ihnen erst alle die schauerlichen Entdeckungen mittheilen, um deren willen ich das weiße Schloß verlassen habe, um es nie wieder zu betreten?“

„Ach was, liebe Gräfin, das brauche ich nicht zu wissen, müßte auch lügen, wenn ich sagen wollte, ich guckte gern hinter die Ränke und Schwänke der hohen Herren – man kömmt selten mit heiler Haut und Seele wieder davon. … Mir genügt, daß Sie Schutz in meinem Hause suchen. … Armes Kindchen, es muß schon hageldick gekommen sein, um solch’ ein unschuldiges Gemüth aus seiner Harmlosigkeit aufzurütteln! …Und nun kommen Sie“ – sie schlang ihren Arm um Gisela’s Schultern, während der Humor aus ihren klaren, blauen Augen sprühte – „freilich habe ich ein großes mütterliches Herz; stecken doch acht liebe Blondköpfe drin, und wo die hausen, da findet sich auch ein trauliches Plätzchen für Sie. … Macht die Thür weit auf, ihr Mädchen!“ rief sie mit strahlendem Gesicht nach der Wohnstube hinüber, wo die Thür ein wenig klaffte und hie und da ein neugierig herauslauschendes Näschen und ein blonder Scheitel sichtbar wurden. – „Es ist so Etwas wie das Christkindchen über Nacht in unser Haus gekommen … ihr habt es immer schon von ferne gern gehabt, nun dürft ihr’s euch auch in der Nähe besehen!“

Die Thür wurde weit zurückgeschlagen – an der Schwelle standen schüchtern und verschämt drei Mädchengestalten – aus den „kleinen wilden Panduren“ waren schöne, kräftige Blondinen geworden.

„Das ist meine Aelteste,“ sagte die Pfarrerin nicht ohne mütterlichen Stolz und deutete auf die mittlere der drei Gestalten, ein hochgewachsenes Mädchen mit ernsten, nachdenklichen Zügen. „Dem Vater seine kleine Gelehrte, sein Famulus bei seinen astronomischen Studien – sie hat viel lernen müssen, weit mehr als diese zwei wilden Hummeln da, und hat auch einen hohen, heiligen Beruf vor sich – sie wird Vorsteherin und Pflegerin im Neuenfelder Erziehungshause – gelt, meine Alte?“ Sie strich über das dicke, schlicht zurückgeschlagene Haar der Tochter, und diese ergriff die liebkosende mütterliche Hand und küßte sie.

„Und das sind unsere zwei Hauskobolde,“ fuhr die Pfarrerin fort, die beiden Mädchen vorstellend, die zu Seiten der älteren Schwester standen, wie die strotzenden Knospen um die voll aufblühende Rose. „Sie haben nichts als Schnurren und Schnaken im Kopf, finden des Lachens und Kicherns kein Ende, und wenn ich’s litte, da spielten sie am liebsten noch mit der Puppe.“

Die Mädchen lachten lustig auf, während aus den Augen der Pfarrerin die Mutterlust strahlte.

„Wollt Ihr meine Schwestern sein?“ fragte Gisela und bot ihnen die Hand.

Ein schüchternes „Ja“ kam von allen Lippen, aber der Händedruck wurde herzlich erwidert.

„Und nun hurtig, hurtig, macht das Eckstübchen zurecht!“ gebot die Mutter.

Die Mädchen ergriffen einen Schlüsselbund und flogen zur Thür hinaus.

„Sie sind heute außer Rand und Band,“ lachte die Pfarrerin. „Da sehen Sie – morgen giebt es eine Ueberraschung; mein Mann feiert seinen zweiundfünfzigsten Geburtstag; deshalb sind wir, ganz gegen die strenge Hausordnung, auch noch nicht zu Bett.“

Nahe an einem der Fenster stand ein weißgedeckter Tisch; er war mit Guirlanden besteckt; auf seiner Platte lag inmitten verschiedener

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 483. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_483.jpg&oldid=- (Version vom 22.8.2016)