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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

den Köpfen moskowitischer Damen. Dagegen erhalten wir über Marseille eine ansehnliche Menge Haar aus Italien, hauptsächlich aus Sizilien, Neapel und dem Kirchenstaate – Sie wissen jedenfalls die Geschichte von der jungen Römerin, die ihr Haar verkaufte, um dem Papste einen Zuaven zu stellen – und ein mäßiges Ouantum aus Oesterreich, Belgien und Spanien, das Gros unserer Zufuhr aber liefert uns immer Frankreich selbst, insbesondere die Bretagne, Auvergne, Artois und Normandie, auch, doch in geringerer Masse, Languedoc, Limousin, Poiton und Bourbonnais. Das bretagnische Haar schätzen wir als das werthvollste von allem wegen seiner unvergleichlichen Feinheit, sodann weil die Bauernmädchen es gerade während der wichtigsten Periode seines Wachsthums beständig mit einer Haube schützen, weil es niemals gekräuselt, sondern einfach aufgebunden wird und weil es kaum je mit dem Kamm Bekanntschaft macht. Noch über diesem bretonischen Haar aber, freilich kommt es in seiner ganzen Schönheit nur selten vor, steht das echte blonde deutsche Haar. Aus ihm machen wir die Chignons von jener Schattirung, die man ,Engelsblond' nennt und mit den höchsten Preisen bezahlt.“

Die langen Haare, welche sich die Pariser Damen tagtäglich auskämmen und die allmorgentlich auf die Kehrichthaufen in den Straßen geworfen werden, haken die Chissonniers sorgsam aus dem Unrathchaos heraus und verkaufen sie an die Friseurs zur Anfertigung der têtes-et-pointes d. h. jenes billigen Gelocks oder Büschels, zu dem man nicht Haare von gleicher Länge und Sorte braucht. Nichts, was in dies Haardepartement schlägt, scheint sonach verloren zu gehen; das Haar von schlechter Nuance wird gefärbt, meistens schwarz, und selbst die kleinen Scheerenabfälle finden zu Puppenperrücken und puppenchignons ihre gute Verwendung.

Der obenangeführte Preis von fünfzehnhundert Franken für einen Chignon ist übrigens, wie man sich denken kann, nur ein Ausnahmepreis, welchen die ganz besondere Farbe des Haars, nämlich ein heller Goldschein, sodann seine ungewöhnliche Länge von nahezu drei und einem halben Fuß und seine Masse und Feinheit bedingte. Um diesen Wunderchignon zu erzeugen, mußte das Haar aus einem ungeheuern Vorrath von mehreren hundert Pfund Schwere mit der peinlichsten Sorgfalt ausgelesen werden. Im Allgemeinen kostet augenblicklich ein Chignon besserer Art und von nicht ungewöhnlicher Farbe etwa zweihundertundfünfzig Franken – also noch immer ein kleines Capital für eine widerliche Verhunzung des menschlichen Körpers! – während gewöhnlichere Qualitäten um zwölf bis siebenzig Franken zu haben sind.

Wir Alle wissen, daß das Tragen von falschem Haar schon lange vor unserer christlichen Zeitrechnung im Gebrauche war, mit dem Chignon als solchem, d. h. unter diesem Namen, aber wurde die Welt erst beglückt, als die Coiffeure selbst um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in Aufnahme kamen und bald in Paris allein zu dem stattlichen Heere von zwölfhundert Mann anwuchsen. Die Coiffeure sind auch die unseligen Erfinder der heutigen gräulichen Kopfauswüchse unserer Damen, sie und ihre salbenduftenden Herren Collegen in und außer Frankreich haben einzig und allein ein Interesse an dem Fortbestehen der unsinnigen und unappetitlichen Mode, von der zu emancipiren jede saubere deutsche Frau und jedes saubere deutsche Mädchen sich zur Ehrensache machen sollte. Die Gründung eines „Antichignon-Vereins“ wäre wahrhaftig kein unwürdiges Thema für den nächsten deutschen Frauentag, und wir wollen es hiermit ihm nachdrücklich an’s Herz gelegt haben.




Der Freischütz.

Theatralische Rückerinnerungen.

Ich beschäftige mich eben mit dem Studium der Biographie Karl Maria’s von Weber.[1] Der Verfasser und Herausgeber derselben, des Verewigten ältester Sohn, Max Maria von Weber, hat dem deutschen Volke in ihr nicht blos ein treues Conterfei seines großen Vaters, ein lebensvolles Bild des Menschen und Künstlers Weber, des nationalsten und volkstümlichsten aller deutschen Tondichter gezeichnet, sondern er entrollt uns in dieser Biographie daneben auch ein Stück Cultur- und Zeitgeschichte, die das Buch als eine doppelt beachtend und dankenswerte Gabe erscheinen läßt und ihm auch nach dieser Seite hin einen ebenso hohen als unvergänglichen Werth sichert. Ich habe darum auch sehr bewußt absichtlich gesagt: ich beschäftige mich mit dem Studium der Biographie Weber’s, denn ein solches Buch darf man nicht einfach blos lesen, wie man etwa hundert andre Bücher liest, ein solches Buch muß man studiren. Ueber seinem Studium werden Erinnerungen mannigfacher Art in mir wach. Zwei davon, die den Freischütz betreffen und deren eine meinen Kinder- und Jünglingsjahren, die andre meinem Gauklerleben angehört, will ich hier mittheilen.

Am 18. Juni 1821 war unter dem begeisterten Zujauchzen fast der gesamten Bevölkerung in Berlin der Freischütz zum ersten Mal in Scene gegangen von dort aus dann seinen Siegesflug über die Theater Deutschlands nehmend. Daß kleinere und kleine Bühnen, besonders Wanderbühnen sich seiner erst nach zwei, drei Jahren bemächtigen konnten, ist in Betracht der damaligen Vermittlungsverhältnisse sehr erklärlich. Somit war es sicher in gewissem Sinne ein Zeichen bedeutender Thatkraft und schön nationalen Strebens, wenn z. B. ein Wanderbühnen-Director, wie Brökelmann (mehr noch als ihm selbst ist eigentlich seiner ebenso liebenswürdigen als feingebildeten und künstlerisch hervorragenden Gattin, Julia Brökelmann, das Verdienst zu vindiciren!) der doch immer nur verhältnißmäßig sehr mittlere Städte wie Stralsund, Greifswald, Anklam etc. besuchte, schon im Winter 1822 seinen Theaterorten den Freischütz brachte.

Die Melodien der Oper waren allerdings schon gleich nach ihrer Aufführung in Berlin und Hamburg im ganzen Norden Deutschlands bekannt geworden. Reisende, namentlich Handlungsreisende, mehr oder weniger gesangeskundig, Alle aber geschworene Freischützenthusiasten trugen die originellen, und deshalb leicht behaltbaren Weisen des Trinklieds Caspar´s, des Jungfernkranzes, des Jäger- und Spottchores, der Arie des Max: „Durch die Wälder, durch die Auen“, bis tief in die Abgelegenheit der kleinsten Städtchen. Der Freischütz war ein Epoche machendes Ereigniß, das die Theilnahme aller Schichten der bürgerlichen Gesellschaft gleich gewaltig in Mitleidenschaft zog.

Auch in meiner Vaterstadt, einem saubern, behäbigen und wohlhabenden Landstädtchen Mecklenburgs, spielten alle Claviere, die vorhanden waren. nur die Melodien des Freischütz, sangen begeisterungsvoll alle jungen Mädchen mit und ohne Stimme – die schwärmerischen und sentimentalen. „Wie nahte mir der Schlummer“ – und: „Und ob die Wolke sie verhülle“ – die mehr keck, leichtblütig und heiter temperamentirten. „Kommt ein schlanker Bursche gegangen“ – während die Herren Primaner des Gymnasii sich entschieden an des Kaspar famoses Trinklied hielten, unglücklich liebende Handlungsdiener aber das klagende Recitativ des Max aus der Flöte in die Nacht hinausbliesen, Handwerker und Mägde dagegen dem Jägerchore und dem Jungferkranz den Vorzug gaben.

Auch hier also Freischützenthusiasmns im höchsten Grade, der nahezu fieberhaft und bedenklich wurde, als sich plötzlich die Nachricht verbreitete. „Brokelmann ist mit seiner Gesellschaft in Anklam und giebt den Freischütz.“

Den mercantilen und sonstigen Verkehr zwischen meinem Heimathstädtchen und der schifffahrttreibenden nachbarlichen preußischen Handelsstadt Anklam, dessen Handel damals weitaus bedeutender war als heute, vermittelten außer der Post, die wöchentlich einmal cursirte, auf irreguläre Weise die Kornwagen der um mein Städtchen liegenden Landgüter, die im Winter in Anklam ihrer Felder eingeheimsten goldnen Segen in gemünzten Segen des Bergbaues um setzten; auf reguläre Weise jahraus, jahrein aber ein heimischer Frachtfuhrmann der, je nach Bedürfnis wöchentlich ein- auch zweimal mit seinem starken Biergespann den im Sommer theilweise mahlend sandigen theilweise fettlehmigen im Sonnenbrand

dann starrend holperig trocknenden, im Herbst und Frühling

  1. Karl Maria von Weber. Ein Lebensbild von Max Maria von Weber. 3 Bde. Leipzig. Ernst Keil
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 489. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_489.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)