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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


„Ohne Zweifel!“

„Aber sie wird nicht zu Fuß neben Ihnen herlaufen können, die arme Demoiselle …“

„Sie verdient es in der That nicht besser, als so transportirt zu werden!“ versetzte Frau Marcelline mit einem Zucken der Mundwinkel voll der tiefsten Verachtung.

„Ein Pferd habe ich nicht für sie,“ fuhr der Capitain fort, „ich habe ohnehin zwei Pferde für meine Gefangenen nöthig … und wenn es hier keine zu requiriren giebt. …Lepelletier,“ rief er diesem, der eben, während draußen ein Signal geblasen wurde, wieder eintrat, „Sie haben draußen in den Ställen keine Pferde vorgefunden?“

„Nein, mein Capitain, von Remonte nichts als einen großen Ziegenbock, der dem Herrn Commandanten dort zu seinen Evolutionen vor der Fronte zu dienen scheint.“

„Gnt denn, so mußt Du zwei Leute ihre Pferde für die Gefangenen abgeben lassen, und die Demoiselle da hinter Dir auf die Kruppe nehmen.“

„Mit dem äußersten Vergnügen,“ versetzte der Wachtmeister mit einem gutmüthigen Kopfnicken, „Mademoiselle wird hoffentlich einverstanden sein, sich an die Mutter der Schwadron anzuschließen – fürchten Sie nichts, Mademoiselle, die vier Haimonskinder haben unbequemer gesessen …“

„Aber sie kann doch nicht so, wie sie dasitzt, auf’s Pferd steigen … und dann mit fort durch die kalte Nacht … das könnte ja einen Stein erbarmen!“ rief jetzt Frau Afra empört dazwischen.

„Geh’ Sie lieber und hole ihr einen Mantel!“ sagte der Schösser, während Benedicte das mit Thränen überströmte Gesicht erhob und mit einem dankbaren Blick zu Afra aufsah.

Frau Afra eilte davon, selbst in Thränen und Schluchzen ausbrechend bei dem Jammerblick, der eine Secunde lang auf ihr geruht hatte.

„Wir müssen Alles anwenden, diesen Aufbruch zu verzögern!“ flüsterte unterdeß Sztarrai seinem Schicksalsgenossen zu.

„Werden wir es können so lange, bis unsere Leute Zeit haben heranzukommen?“ fragte der jüngere General im selben Tone.

„Wenn auch das nicht, so hindern wir durch irgend eine Verzögerung vielleicht doch diese Franzosen, einen so weiten Vorsprung vor unsern Leuten zu gewinnen, daß sie uns nicht wieder einholen können.“ …

„Was sollen wir beginnen? Ich sehe kein Mittel, sie hier aufzuhalten!“

„Verdammt – sie führen schon draußen die Pferde aus den Ställen!“

„Es läßt sich eben nichts machen!“

„Sie werden mir eingestehen, daß wir in eine verzweifelte Lage gerathen sind – man wird mich in Wien vor ein Kriegsgericht stellen, weil ich zugegeben habe …“

„Man wird nichts dergleichen thun,“ fiel ernst der jüngere Mann ein – „es fällt kein Schatten von Tadel oder Vorwurf auf Sie, Sie haben nur gethan, was Ihnen befohlen wurde.“

„Ich hätte die kühne Verwegenheit, den Eifer zügeln müssen, der Sie so nahe an die Rückzugslinie des Feindes … aber was ist das?“

„Das sind die Unsern!“ rief der General Teschen aus.

„Nicht doch, nicht doch – hören Sie nur!“

„Nein – Sie haben Recht, Sztarrai – dies Feuer wird nicht aus unseren Musketen abgegeben!“

Diese Ausrufe wurden den gefangenen Officieren durch ein plötzliches lebhaftes Kleingewehrfeuer entlockt, das von draußen her sich vernehmen ließ.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Hamburger als König der Mainotten.

Von Ritter v. Zerboni di Sposetti.

Es ist gewiß eine sehr erfreuliche Erscheinung, daß an den östlichen Gestaden des Mittelmeers, gerade an den in Barbarei versunkenen ehemaligen griechischen Culturstätten der alten Welt, jetzt der germanische Genius sich vorzugsweise thätig zeigt, das verkommene Leben wieder anzufachen und einen der rohesten und wildesten Stämme des heutigen Griechenlands in seine civilisatorischen Kreise hineinzuziehen.

Auf den Höhen des vom messenischen und lakonischen Golf umspülten Taygetosgebirges in Morea liegt der District Maina, dessen Bewohner in ganz Griechenland als Banditen, Räuber und Mörder verrufen und gefürchtet sind. Diese Mainotten sind ein Rest der echten altgriechischen Volksrace, und zwar ein Rest jenes merkwürdigen Spartanervolkes, das sich schon im Alterthum in seinem Sonderleben von den übrigen Hellenen abzweigte, bei allgemeinen, das ganze Land drohenden Gefahren aber stets in den Vordergrund trat, durch seine bewunderungswürdige Aufopferungsfähigkeit sich immer glänzend hervorthat und meist den entscheidenden Schlag führte, – ein Volk, das schon zu jener Zeit ein bis jetzt noch ungelöstes sociales Problem zu lösen versuchte und das bis nun seiner Aufgabe instinctmäßig treu geblieben ist. Weder die Herrschaft der Römer, noch die der Gothen, Slaven, Franken und Türken hatten es vermocht, den ursprünglichen Instincten dieser wilden Gebirgssöhne jene Energie zu benehmen, die dieses Volk seit seinem Auftauchen in der Geschichte vor mehr als dritthalb Jahrtausenden charakterisirte. In ihren Bergen und Schluchten verstanden sie es, ihre Unabhängigkeit zu wahren, und während das übrige Hellas den Einflüssen der es beständig überfluthenden fremden Elemente erlag und darin zu einem Mischvolke wurde, erhielten sie allein ihr althellenisches Blut rein von jeder fremden Zuthat und blieben ebenso bei ihrer althergebrachten Lebensweise, ihren ursprünglichen Sitten und Gebräuchen stehen, ohne von der Außenwelt irgend Etwas anzunehmen. Die alten Spartaner wiesen bekanntlich die in Hellas dazumal blühenden Künste und Wissenschaften mit beharrlicher Entschiedenheit von sich, sie fürchteten die damit verbundenen Gefahren der Verweichlichung. Das Hauptaugenmerk ihres Staates war auf die höchstmögliche Entfaltung physischer Kraft und des Heldenmuthes bei jedem Einzelnen gerichtet, und wir wissen, daß zur Erreichung dieses Zweckes die Gesetze der Sittlichkeit, der Menschlichkeit, ja die Gesetze der Natur eine gewisse Vergewaltigung erlitten. Das Eigenthum, die Familie, selbst die Kindes- und Elternliebe, sie hatten bei diesem sonderbaren Volke nur in Bezug auf den Staat einen Werth, und diese Beziehung war in Sparta von der allgemeingültigen sehr verschieden.

Bis auf unsere Zeiten sind sie in ihrer Eigenthümlichkeit verblieben und endlich in ihren unzugänglichen Bergen, in ihren von der übrigen Welt gleichsam abgeschlossenen Marken alles höheren Lebens und Verkehrs entbehrend, gänzlich verwildert und verroht. Nur bei allgemeinen, das gesammte Vaterland betreffenden Gefahren sind auch sie, den Traditionen ihrer Race getreu, immer zur Hand. In den Befreiungskämpfen gegen Franken und Türken standen sie alle wie ein Mann in den vordersten Reihen und schlugen immer die blutigsten und entscheidenden Schlachten. War dies aber einmal vorüber, dann schlossen sie sich wieder in ihre Berge ab, und selbst ihre – die jetzige königlich griechische Regierung vermag es nicht, sie in das organische Staatsleben hineinzuziehen.

Die Mainotten sind ein unbändig wildes, kriegerisches Volk, bei dem das Gesetz der Blutrache noch seine volle Geltung hat, und das unter sich, wie ehemals die schottischen Clans, in beständigen blutigen Fehden lebt. Die niederen Anhöhen der Maina sind alle mit viereckigen fünfzig Fuß hohen Thürmen gekrönt, die statt der Fenster Schießscharten haben, aus massivem Mauerwerk bestehen und deren erstes Stockwerk sich in so beträchtlicher Höhe von dem Erdboden befindet, daß es nur auf einer langen Leiter, die jedesmal herabgelassen und heraufgezogen wird, zugänglich ist. Hier hausen die Familien wie in den Zeiten des Faustrechtes, stets des feindlichen Ueberfalls gewärtig, beständig auf Abwehr bedacht. Oft geschieht es, daß, wenn die Männer auf irgend eine Unternehmung ausgezogen sind, diese Burgen von dem lauernden Feinde überfallen werden, wo dann die darin zurückgebliebenen Frauen den Angriff auszuhalten und zurückzuschlagen haben, was ihnen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 506. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_506.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2022)