Seite:Die Gartenlaube (1869) 510.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

an. Aber die Religion der Bruder- und Nächstenliebe hindert sie nicht, ihre Brüder in Christo noch mehr zu hassen, als die in Muhamed, denen sie stammverwandt sind.

Der Patriarch dieser Kopten ist das Oberhaupt aller ägyptischen, äthiopischen und abyssinischen Christen. Die Mönche des am rothen Meere in tiefster Wüsteneinsamkeit gelegenen Klosters des heiligen Antonius wählen ihn aus ihrer Mitte. Seine Einkünfte sind sehr bedeutend, besonders durch den Besitz von Häusern, deren Zahl sich in neuerer Zeit außerordentlich vermehrt hat. Verkauft in Kairo ein Kopte sein Haus, so ersteht es größtentheils der Patriarch für die Kirche; aus der frommen Gemeinde wagt Niemand den geistlichen Oberhirten zu überbieten. So mehren sich Häuser auf Häuser fort und fort im Besitz der Kirche. Auch sie hat einen guten Magen und hat sich auch noch niemals übernommen.

Der norddeutsche Consul, Herr Dr. Nerenz, hatte im Auftrage unserer Regierung für heimische Gelehrte von dem Patriarchen einige alte Manuscripte zu erbitten; ich begleitete ihn mit Vergnügen bei dieser Mission. Wir trafen Seine Heiligkeit in dem bescheidenen Garten seines Hauses. Die Gestalt des hohen Herrn hatte ein wahrhaft patriarchalisches Ansehen; die Physiognomie seines Kopfes glich der eines Rhamses oder Thutmosis; seine Corpulenz jedoch erinnerte weniger an die hehren Pharaonengestalten, als an die seiner christlichen Kirchenfürsten-Brüder. Seine Kleidung bestand aus einem hellblauen Kaftan vom feinsten Tuch, unter dem er auf bloßem Körper stets wollene Kleider tragen muß. Der volle und runde Turban mit dem darüber geworfenen schwarzen Cashmirshawl vervollständigten das Bild einer altbiblischen Erscheinung.

Der Patriarch schritt voran, uns in seinen Empfangssaal zu führen. Ich hatte vor einigen Wochen die üppigen Prachtgemächer des Vatican und die fürstlichen Empfangszimmer römischer Cardinäle gesehen und erwartete bei dem Primas der orientalischen Kirche einen gleichen Luxus zu finden, wie bei den in behaglicher Ueppigkeit lebenden Kirchenfürsten des Abendlandes. Meine Erwartung rücksichtlich des koptischen Patriarchen ward getäuscht. Die Einfachheit dieses Patriarchensitzes würde selbst den gestrengen Martin Luther zufrieden gestellt haben, den der Luxus Roma’s, der Hauptstadt der Christenheit, so tief verletzte.

Die einzige majestätische Eigenschaft des Saales bestand in seiner Höhe. Die ursprünglich wohl weiß getünchte Wand hatte ihre Eigenschaft, zu blenden, längst verloren. In den großen Fenstern befanden sich bedenkliche Lücken durch zerbrochene Scheiben. Das Oeffnen der Fenster, um frische Luft zuzulassen, ward dadurch unnöthig. Alte in Holz geschnitzte Bänke, von gleicher Arbeit wie die zierlichen Muscharabien, d. h. Haremsfenster, standen an den Wänden, und spärlich bedeckten den einfachen steinernen Fußboden verschossene und arg beschädigte Teppiche. In einer Wandnische lagen große Folianten auf einander geworfen, über welche Spinnen emsig ihre Netze spannen. Das gelehrte Haupt des Patriarchen hatte gewiß nur selten nöthig, zu den literarischen Schätzen der Vergangenheit seine Zuflucht zu nehmen!

Es wurde uns Scherbet in hohen vergoldeten Deckel-Tassen gereicht, über die ein golddurchwirktes seidenes Tuch gebreitet war, später Kaffee und Schibuks. Wie vorauszusehen, war Seine Heiligkeit taub gegen das Gesuch des Consuls. Die angeblichen Manuscripte sollten nur in unserer Einbildung existiren. Die Schmeichelei, daß der Protestantismus seiner Kirche verwandt sei und gleichfalls den Papst nicht anerkenne, verfehlte auch die beabsichtigte Wirkung. – Da das Gerücht in Kairo ging, der Patriarch würde im nächsten Jahre nach Rom zum ökumenischen Concile gehen, so erlaubten wir uns hierüber eine Frage an ihn zu richten. Ein fast verächtliches Lächeln begleitete die Antwort: „Lassen wir,“ sagte der Patriarch, „den Papst in seinem Stolze sitzen. Er hat uns zwar aufgefordert, zu kommen; wie können wir aber einer Versammlung beiwohnen, in welcher sich derselbe anmaßen wird, als der gesammten Christenheit Oberhaupt den Vorsitz zu führen! Wir erkennen nur einen Herrn über uns, das ist der Gott, der im Himmel thront!“

Während des Besuchs fixirte ich das interessante Gesicht des Patriarchen und zeichnete es gleich nach beendigter Audienz in frischer Erinnerung, so daß ich ein treues Bild von ihm mit mir nehmen konnte. –

In der Nähe von Alt-Kairo steht am Rande der Wüste ein verlassenes Gotteshaus, eine Moschee, die älteste Aegyptens. Hunderte von Säulen, deren Capitäle alle verschieden sind, – es sind altägyptische, dorische, ionische, korinthische, römische, christlich-byzantinische, arabische darunter – tragen die offenen Hallen, welche das ganze Tempelgebäude in einem länglichen Viereck umschließen. In der Mitte des freien Raums, dessen Bedachung das tiefblaue Himmelsgewölbe, steht ein zerfallenes Kiosk, daneben wiegt eine einsame Palme im reinen Aether ihr leicht bewegliches Kronenhaupt, das allabendlich die scheidende Sonne vergoldet. Friedlich tragen die aus den mannigfaltigsten Religionsepochen hervorgegangenen Kunstgebilde die Vorhalle des Tempels, – ein schönes Bild idealen religiösen Friedens! Mit ihm harmonirt freilich die Wirklichkeit des Orients äußerst wenig. Bildet doch selbst die heilige Grabeskirche Jerusalems mit ihren vielen, den verschiedenen Confessionen angehörigen Capellen ein Bild ewigen Parteihaders, bei dem schließlich der bewaffnete Moslem das entscheidende Wort spricht und die gestörte Ordnung wieder herstellt. Die religiösen Parteien Aegyptens haben allmählich den offenen Fanatismus mit der Glaubensinnigkeit eingebüßt, und das ist eine heilsame Wirkung unserer Zeit!

Anders war es zur Zeit des Kalifen El Hákim, der im Jahre 996 zur Herrschaft gelangte; er erließ eine Verordnung, nach der sämmtliche Christen, Männer und Frauen, honigfarbene Kleider und schwarze Turbane tragen mußten; an den schwarzen Turbanen erkennt man noch heute die Kopten; außerdem aber mußten die Christen in jenes Kalifen Zeit ein fünf Pfund schweres hölzernes Kreuz, und die Juden ein Stück Holz von gleichem Gewicht um den Hals tragen. Ihre Hausthüren mußten durch Teufelsbilder gekennzeichnet sein. Trotz alledem weist auch der Koran auf die Toleranz hin. Denn als Muhamed einst, bei einem Leichenzug zum stillen Gebet stehen bleibend, aufmerksam gemacht wurde, daß sein Gebet einem Juden gälte, erwiderte er: „Ich bete für eine Menschenseele!“

Gegenwärtig bestehen in Aegypten die Religionsformen neben einander etwa so, wie Lessing es im „Nathan“ geschildert hat. Für die Christen ist dort die Schilderung nicht gerade schmeichelhaft, aber sie paßt leider noch auf die ägyptischen Christen unserer Tage. Der Muhamedanismus hat als herrschende Religion nicht blos materiell das Uebergewicht über die anderen Religionsformen; auch in geistiger Hinsicht und in den imposanten Formen seines Cultus ist er ihnen überlegen. Diese Ansicht gewann ich zunächst bei einem Besuch, den wir dem Scheikh el Arussi Pascha, dem Rector der muhamedanischen Universität von Kairo, abstatteten. Der Ruf seiner Gelehrsamkeit, hatten wir ihm sagen lassen, wäre auch zu uns nach Preußen gelangt, und wir wünschten deshalb ihm unsere Huldigungen darbringen zu dürfen. Unsere Bitte um eine Audienz wurde genehmigt, und wir verfügten uns – es war in der Rhamadanzeit, wo die Nacht zum Tage gemacht wird – Abends eilf Uhr in die Gesellschaft der arabischen Gelehrten, Dichter und Theologen, welche in jener Fastenzeit sich um das Haupt der arabischen Gelehrsamkeit zu versammeln pflegen.

Der Hof, den wir passirten, war festlich geschmückt und in ein großes Zelt verwandelt, unter dessen roth, grün, blau und gelb gestreiftem Dache zu Ehren des Namens Gottes eine feierliche Andachtsübung oder religiöse Fantasia gehalten wurde. Dieselbe heißt zickr. Ein großer Kreis von Gläubigen hatte sich um den in der Mitte stehenden Vorsänger, den eine klangvolle Stimme und besonders feierliche Haltung auszeichneten, gesammelt. Die frommen Uebungen bestanden neben Absingen religiöser Liebeslieder in endlosem, nur durch kurze Pausen unterbrochenem Allahrufen, welches stundenlang fortdauerte und von der andächtigen Versammlung mit regelmäßigen Kopfbewegungen begleitet wurde. Bei unserer Ankunft mußten die Uebungen schon lange gewährt haben, denn die Stimmen waren erschöpft und klangen dumpf, wie Töne aus dem Grabe. Die Zeltbedachung und die fanatisch erregt aussehenden Gesichter der Gläubigen gewährten bei dem Helldunkel der Kerzenbeleuchtung einen höchst eigenartigen feierlichen Anblick. Der Divan, der zu der klösterlichen Zerfallenheit der Wohnung des koptischen Patriarchen stark contrastirte, war gleichfalls festlich geschmückt. Kostbare persische Teppiche bedeckten den Fußboden. Die nach dem Hofe geöffneten Fenster zeigten uns den Anblick der in ihrem monotonen Gesang unermüdlichen Beterschaar.

Der Pascha, ein feiner alter Herr, lud uns zu sich auf den

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_510.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)