Seite:Die Gartenlaube (1869) 536.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Der Wein, des Weinstocks edle Gabe,
Soll, wie Erfahrung lehrt, vier Religionen haben:
Lutherisch soll er sein, rein, lauter aus dem Faß,
Calvinisch aufgeklärt in einem vollen Glas,
Katholisch zeig’ er uns in Wundern seine Stärke,
An unserm Magen übend stets gute, warme Werke.
Auch soll er, wie ein Jude, nur ungetaufet sein;
So schließt ein gut’ Glas Wein vier Religionen ein.“

Das achtseitige Prisma ruhte auf einem reich ornamentirten Sockel und war oben von einer rundum laufenden Weinrebe eingefaßt, welche in ihren Verschlingungen die Wappen der acht Kreise Baierns trug. Den Deckel der Kanne bildete ein Tournierhelm, welcher sich im Visir öffnete. Der Helm selbst war vom bairischen Löwen gekrönt, der in seiner Pranke das Landeswappen hielt und zwischen zwei heraldischen Flügeln trotzig hervorschaute. Den Henkel der Kanne stellte ein dem Styl des Ganzen entsprechender Rebstab dar.

Daß wir es hier mit keinem der gewöhnlichen Erzeugnisse allbekannter Holzschnitzwerkstätten zu thun hatten, leuchtete beim ersten Anblick ein. In früheren Jahren besuchten wir mit Interesse die Holzschnitzereien der Schweiz, die Etablissements der Gebrüder Wirth in Brienz, die ebenso bekannten Werkstätten der Herren Michel Ablanalp und Johann Flück in Brienz und das Lager des Herrn Wald bei Thun. Wir haben Gelegenheit gehabt, die in der Schweiz anerkannt tüchtigsten Schnitzer, die Gebrüder Bury in Ringgenberg und Zurfluh in Rosenlauibad, welche die besten Gemsengruppen liefern, so wie Johann Huggler in Brienz, der große Fertigkeit in der Figurensculptur besitzt, und Andreas Baumann, den besten Blumenschnitzler der Schweiz, in Ausübung ihrer Kunstfertigkeit in ihren eigenen Werkstätten zu bewundern, und nicht zu leugnen ist, die Genannten haben jener wenigstens für die schweizerischen Gebirgsgegenden so nützlichen Thätigkeit eine gewisse Kunststufe erobert, welche in jeder Beziehung ehrend genannt werden darf.

Die Kunstschnitzerei ist in den Bergen der Schweiz erst seit etwa fünfzig Jahren eingebürgert und von da erst nach Tirol und Südbaiern verpflanzt worden. Hier standen wir vor einem Erzeugniß bairischer Kunstthätigkeit und überrascht fanden wir weder den Namen des ausführenden Künstlers noch jenen des Zeichners den beiden Gegenständen beigegeben, wie dies doch bei den anderen Werken der Ausstellung größtenteils der Fall war; ein einfacher Zettel zu Füßen der beiden Kunstwerke besagte nur „Erstlingswerke der gewerblichen Zeichenschule in Partenkirchen.“ Dies war eine Mittheilung, wohl geeignet, unserem Reiseplan eine kleine Aenderung einzuschieben. Erinnerlich war es uns, daß die Regierung des Cantons Bern durch Errichtung von Zeichenschulen der Industrie der Holzschnitzerei erst eine eigentliche künstlerische Richtung gegeben, und hier winkte uns vielleicht die Entdeckung einer ähnlichen Bestrebung auf deutschem Boden und zwar in einer Gegend, wo Kummer und Elend nur allzu häufig die Hütte des armen Mannes heimsuchen. Unser Entschluß war bald gefaßt, ein paar Tage ist diese Entdeckungsreise schon werth.

Ein herrlicher Sommermorgen führte uns an den Ufern des Starnberger Sees vorüber nach Seeshaupt und durch ziemlich aussichtslose Strecken Flachlandes, die südbairischen Berge lockend im Hintergrund, nach Schlehdorf am Ufer des Kochelsees, und endlich am Walchensee hin, in die alte Grafschaft Werdenfels mit ihren Wetterstein- und Zugspitzgebirgen. Hier kommt ein Mißton über uns. Wie reich an Schönheiten ist das Land – und wie arm das Volk dieser Thäler und Berge! Daß hier früher der Wohlstand eines lebhaften Straßenverkehrs herrschte, dafür zeugen große Häuser mit mächtigen Thorfahrten und Lagerräumen: aber vom damaligen Leben, als noch der Haupthandelszug zwischen Deutschland und Italien durch Innsbruck, Mittenwalde und Partenkirchen führte, ist jetzt jede Spur verschwunden, in Partenkirchen hat sogar das Feuer zu deren Vertilgung geholfen, Viehzucht und Holzarbeiten sind der jetzige Nothbehelf dieser Gebirgler. In Mittenwalde, das prächtig am Fuße des Karwendelgebirges liegt, producirt man allerdings in kolossaler Masse Geigen, Guitaren und Cithern, und die Firmen Neuner u. Hornsteiner und Bader u. Comp. haben ihren Fabrikaten einen gewissen Ruf und vor allen Dingen tüchtigen Absatz verschafft. In den übrigen Orten und Hütten aber treibt der arme Gebirgsbewohner das einfachere und wenig einträgliche Geschäft des „Fasselmachens“ und „Schindelschneidens“, dem man in jeder Hütte begegnet. Seit aber ein Regierungs-Erlaß die Dachung mit Schindeln, der Feuergefährlichkeit wegen, verboten, schwand ein sonst ziemlich sicherer Erwerbszweig für den Arbeitsamen. Die Flößerei auf der Loisach und Isar hat ebenfalls bedeutend abgenommen und auch die früher so starke Ausfuhr von Gyps in Fässern hörte, der bedeutenden Frachten und Transportkosten halber, fast ganz auf.

Da war nun die Noth nahe und Hülfe dringend nöthig; seitens der Regierung wurde mancher Ausweg erwogen, aber es boten sich zur Abhülfe nur geringe Aussichten. Wenn auch im Ammerthal (Ammergau) die Holzschnitzerei lohnende Thätigkeit geschaffen, in Partenkirchen und Garmisch wollte es nicht gelingen sie einzubürgern. Der bairischen Regierung schwebten die günstigen Erfolge jener Kunstthätigkeit und industriellen Bemühungen in der Schweiz vor, welche den einsamen Gebirgstälern jenes Landes mindestens die Summe von einer halben Million Franken im Laufe eines Jahres zuführt, und wiederholt wurden Versuche angestrebt, diese Industrie hierher zu verpflanzen. Sie scheiterte an dem Mangel einer energischen Leitung dieser Unternehmungen, vor Allem aber an dem Mangel eines Absatzes für die in Zeichnung und Entwurf meist verfehlten Producte. Sämmtliche Leistungen auf diesem Gebiete beschränkten sich mit wenigen Ausnahmen darauf, die alten vom Großvater ererbten Muster zu verarbeiten, und die natürliche Folge war, daß diese Arbeiten von den Erzeugnissen der französischen, schweizerischen und sächsischen Etablissements bei Weitem überholt wurden. Der Staat legte sich in’s Mittel und leistete bedeutende Zuschüsse, mit welchen indeß auf die Länge der überhand nehmenden Armuth nicht gründlich abzuhelfen war.

Da führten der Zufall und die Zwecke einer Studienreise vom fernen Rheinstrome einen lebensfrischen, mit scharfem praktischen Blick begabten Musensohn Düsseldorfs in jene Berge, den die Fülle der in jener Gegend vorhandenen malerischen Motive auf längere Zeit dort gebannt hielt. Er erkannte bald, daß es zur Sicherung eines Erfolges der kunstindustriellen Bemühungen der bairischen Regierung zunächst darauf ankam, die bereits vorhandenen Schnitzer der Gegend durch künstlerische Vervollkommnung ihrer Erzeugnisse den Schnitzern des Auslandes concurrenzfähig zu machen, und daß weitere Mittel geboten werden müßten, um durch Ausdehnung des Geschäftsbetriebes und durch faßliche Anregung und Lehre die Liebe zu jener Beschäftigung den Bewohnern dieser Bergthäler im Allgemeinen einzupflanzen, um dann durch einen geregelten kaufmännischen Betrieb die Erzeugnisse dieser fast neu zu schaffenden Industrie günstig zu verwerten.

So gründete mit frischem Muth der Düsseldorfer Maler – Michael Sachs ist sein Name – im September 1866 zu Partenkirchen eine gewerbliche Sonntags-Zeichenschule, und zwar aus eigenster Initiative und mit wenig Mitteln, welche er selbst und auf seine Gefahr hin flüssig machte. Zunächst ging sein Bestreben dahin, den bei den meisten Gebirgsbewohnern – vermuthlich durch die steten Eindrücke ihrer malerischen Natur – in hohem Grade vorhandenen Formensinn zu wecken und zu veredeln.

In einem gewöhnlichen Schulzimmer der Ortsschule zu Partenkirchen und mit einigen vierzig Schülern wurde das Werk rüstig begonnen. Was an Mitteln fehlte, ersetzte die Lust und Liebe zur Sache, und vom schulpflichtigen Knaben bis zum verheiratheten Handwerker zeigte sich zu des Künstlers Freude ein reger Eifer. Die ersten Vorlagen und Modelle entwarf und fertigte Sachs selbst. Aber nicht lange währte es und das Bestreben des Künstlers wurde gewürdigt. Das königliche Bezirksamt, der Magistrat des Städtchens und die Geistlichkeit, welche in dieser Thätigkeit ihrer Pfarrkinder eine Gewähr für deren sittliche Hebung sofort erkannten, griffen dem Unternehmen fördernd unter die Arme.

Der Ministerialrat Dr. Stautner in München, schon früher dem Künstler befreundet, wandte dem jungen Institute eine warme Fürsorge zu. Seinen Bemühungen ist es zu danken, daß der Verein für Ausbildung der Gewerke, die Sonn- und Feiertagsschulen in München, sowie viele Private in der Residenz, sich des Unternehmens in dankenswertester Weise annahmen und werthvolle Geschenke an Vorlagen und Modellen der Partenkirchener Schule zufließen ließen.

Der König von Baiern und die Königin-Mutter, welche alljährlich die prachtvollen Umgebungen Partenkirchens zur Sommerfrische

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 536. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_536.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)