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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Die Stunden der Andacht und die großen Kirchenversammlungen.

Aus einem Briefwechsel.
Von E. Zsch.

Wir gedenken hier zweier Männer, welche in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts zu den muthigsten Vorkämpfern für Licht und Wahrheit in den deutschen Landen gehörten. Ihre Namen sind Heinrich Zschokke von Aarau und Heinrich von Wessenberg, bischöflicher Generalvicar in Constanz. Des Einen Ziel und Wahlspruch war: „Volksbildung ist Volksbefreiung“; des Andern Streben ging nach Unabhängigkeit der deutschen Kirche von Rom. Beide streuten durch ihr Wirken, zumal durch ihre Schriftwerke, eine reiche Lichtsaat neuer Ideen aus und gaben dadurch ohne Zweifel zu manchem Fortschritte, dessen wir uns heute freuen, mächtigen Impuls. Sie wurden Beide von Gegnern vielfach verkannt und verlästert; aber die Edelsten der Nation tragen sie noch fort und fort in dankbarem Gedächtniß, trotzdem Beide von ihrer Lebensarbeit schon längst im Grabe ruhen. (Zschokke starb den 28. Juni 1848, Wessenberg den 13. August 1860.)

Es soll sich hier nicht um eine neue Darlegung ihrer Verdienste handeln. Sie sind bekannt, zumal durch Dr. Beck in Heidelberg in seiner Biographie Wessenberg’s nun auch diesem Letztern ein so würdiges Denkmal gesetzt wurde. Aber weniger allgemein weiß man, daß zwischen jenen beiden Männern eine langjährige Freundschaft bestand, die an Reinheit und Stärke zu den gefeierten Freundschaftsidealen des Alterthums hinanreicht. Das beste Zeugniß davon giebt ihr Briefwechsel, welcher im Original heute vor mir liegt. Die Sammlung besteht aus achtundvierzig Briefen Zschokke’s und siebenundachtzig Wessenberg’s; der älteste datirt vom 7. Juli 1813, der jüngste vom 8. October 1842. Leider bestehen bedeutende Lücken, wie denn aus dem Zeitraume von 1820 bis 1830, in welchem doch ein sehr lebhafter Schriftverkehr zwischen den Freunden bestand, kein einziger Brief mehr vorhanden ist.

Es wäre nun von hohem Interesse, wenn dieser Briefwechsel in seinem vollen Umfange veröffentlicht werden dürfte. Es spiegelt sich in ihm jene ganze inhaltsschwere Zeitepoche ab; kein irgendwie bedeutendes Ereigniß in Staat, Kirche und Literatur blieb unbesprochen. Auch geben sich die Schreibendem einander mit der allergrößten Offenheit hin, so daß man auf den innersten Grund ihrer Seele blicken kann. Aber gerade diese intime Vertraulichkeit hindert die Veröffentlichung ihrer Briefe. Sie würden dagegen, wenn sie es noch könnten, selbst ihr entschiedenes Veto einlegen. Ferne sei es von mir, ein solches Heiligthum pietätslos profaniren zu wollen!

Indessen ist mir doch gestattet, eine kleine Auswahl davon, gegen die jene Bedenken nicht stattfinden können, dem Drucke zu übergeben. Ich wähle zu diesem Behufe einige Briefe, die hier zwar nur im Auszuge mitgetheilt werden können, welche aber besonders geeignet sind, die allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen, weil sie einerseits eine Thatsache beleuchten, die noch jetzt bei Einzelnen nicht ganz im Klaren liegt – nämlich die Autorschaft der „Stunden der Andacht“, – andererseits ein Werk Wessenbergs in Erinnerung bringen – „Die großen Kirchenversammlungen des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts. Constanz 1840. Vier Bände.“ –, auf welches gerade in diesem Augenblick, wo ein neues Concil der römischen Kirche vor Allem die Ruhe des glaubensgetheiltesten, deutschen Volkes bedroht, die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen wieder hingeleitet werden sollte. Bekanntlich bestehen über jene Autorschaft, trotzdem daß Zschokke schon im Jahre 1842 bei Herausgabe seiner „Selbstschau“ auf’s Bestimmteste erklärte, daß Er und kein Anderer der Verfasser sei, dennoch bis in die neueste Zeit noch Zweifel und Muthmaßungen oft der abenteuerlichsten Art. So ist es geradezu eine Lächerlichkeit, wenn Richard Gosche in seinem „Jahrbuche für Literatur“ (Berlin. Dümmler’s Verlagsbuchhandlung. I. Band S. 391) schreibt: „Das einträchtige Zusammenwirken der verschiedenen Confessionen zeigen die „Stunden der Andacht“, welche man mit Unrecht gewöhnlich Zschokke allein beilegte, und für welche vielleicht außer Protestanten und Katholiken noch ein jüdischer und muhamedanischer Theilnehmer gefunden werden kann.“ – Namentlich wurde Freiherr von Wessenberg öfter als Mitarbeiter bezeichnet, und man wollte sogar die einzelnen Capitel herausgefunden haben, die von ihm herrühren sollten. Wir wollen nun sehen, was er selbst darüber schreibt! – Ueber den hohen Werth des Wessenberg’schen Werks spricht ebenso klar als warm Zschokke hier selbst.

Zum Verständnisse der ersten Briefe nur noch die Vorbemerkung, daß die beiden Freunde sich jedes Jahr besuchten oder sich an einem dritten Orte ein Stelldichein zu persönlicher Besprechung gaben, und daß bei einer solchen Zusammenkunft in Eglisau (am Rhein im Canton Zürich) im April 1837 Zschokke seinem Wessenberg zuerst das viele Jahre treu bewahrte Geheimniß seiner Autorschaft der „Stunden der Andacht“ mittheilte. In’s weitere Publicum gelangte die Nachricht. wie schon gesagt, erst 1842.

Wessenberg an Zschokke.
Constanz am 2. Mai 1837.     

 – – Für Ihre vertraulichen Mittheilungen nochmals meinen innigsten Dank! Einen bestimmten Rath in Dingen solcher Art zu geben, hält allerdings schwer. Was den Eindruck der Enthüllung vor dem ehrsamen Publicum betrifft, so dünkt es mich zwar, sie hätte schon vor fünfzehn oder auch mehrern Jahren ganz unbedenklich geschehen können und sollen. Jetzt geschieht sie allerdings am schicklichsten in Verbindung mit der Bildungsgeschichte Ihrer innern Welt (d. h. in der von Zschokke damals bearbeiteten „Selbstschau“). Indessen möchte es doch vielleicht in Hinsicht des Eindruckes wohlthuend sein, wenn vor der Bekanntmachung dieser höchst interessanten Bildungsgeschichte das Publicum zum voraus, wenn auch nur unter der Hand, durch größere Verbreitung der Kenntniß des wahren Verfassers des anonymen Werkes vorbereitet würde. Dafür wird wohl der Verleger das Beste thun können. Wie mein Name in’s Spiel gekommen, weiß ich wahrlich nicht, und eben so wenig, warum mein Ableugnen und Widersprechen das grundlose Gerücht nicht beseitigt, hin und wieder sogar, wie es scheint, bekräftigt hat.

Ihre freundlichen Winke in Hinsicht meiner ‚Concilien‘ werde ich bestens zu benutzen suchen. Die Gestaltung des Ganzen hat seine Schwierigkeiten. Zur Vollendung des Ganzem werde ich mir Zeit lassen. – –

Zschokke an Wessenberg
(nachdem ihm der Letztere sein Werk über die „großen Kirchen- Versammlungen“ als Geschenk gesandt hatte).
Aarau, 3. April 1840.     

Es ist Ihr größtes, ich behaupte, Ihr bestes, weil zeitgemäßestes Werk: ein Werk des schönsten Märtyrerkranzes würdig. Eben bin ich mit Lesung des ersten Theils zu Ende. Ich bewundere Ihren Fleiß; ich ehre Ihren Muth! Rom und der ganze Clerical-Troß muß Sie nothwendig verdammen; mehr als ein Jahrhundert wird Sie segnen. – Ich gestehe ehrlich: das wagt’ ich nicht zu hoffen, als wir in Eglisau beisammen saßen und wir uns einander vorlasen. Sie erinnern sich wohl, was ich Ihnen damals ermunternd zurief: Sie haben mehr gethan; auch ich stehe tief unter Ihnen! Auch ich habe meine Arbeit (die Selbstschau) fast vollendet; aber ob sie während meines Lebens gedruckt wird, weiß ich selbst noch nicht. Es sind Stunden der Andacht anderer Art geworden, nämlich für Denker, aber sie werden nicht so weit wirken als Jene.

Noch bin ich nicht zu den großen Concilien gekommen. Ich erwarte Großartiges, denn der erste Theil ist eine prächtige Vorhalle, eine Philosophie der Kirchengeschichte, durchweht vom Liebesodem der Christusreligion. – Ich erwartete bei Bezeichnung des eigenthümlichen Charakters vom Christenthum auch Ihren Gegensatz von Christus und Moses, den Christus selbst so ungemein scharf und mit wenigen Worten (Matth. 5, 17.) bestimmte und dann (das. Vers 21–48.) deutlich auseinandersetzte. Ein Jehovah-Glaube und Jehovah-Dienst konnte keine Weltreligion werden, sondern nur die, welche Christus brachte, die mit der göttlichen Gesetzgebung in der Geisterwelt, der Vernunft (Röm. 2, 14–15.), in reinstem Einklang steht. Darum wird und kann auch keine der christlichen Kirchparteien mit ihren besondern Dogmen und

mannigfachem Cultus Weltreligion werden, sondern nur das in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 603. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_603.jpg&oldid=- (Version vom 5.10.2022)