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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

No. 40.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.




Jedem das Seine.
Von Ad. von Auer.


Die Table d’hôte war aufgehoben. Die Vertreter des bemittelten Junggesellenstandes, die sich den Luxus erlauben konnten, bei dem besten Restaurant täglich zu speisen, waren in der mittelgroßen Stadt L. nicht gerade sehr zahlreich, der Stammgäste also nur eine geringe Anzahl; die Haupteinnahme brachten die Gäste, die alljährlich zu verschiedenen Zeiten des Sommers, L. passirend, in die S.’schen Bäder gingen oder von daher zurückkamen.

Diesmal waren es einige beim dortigen Kreisgericht angestellte junge Beamte, unter ihnen ein eben dorthin versetzter Referendarius, Herr Clemens von Brücken, die in einem an den Speisesaal stoßenden, comfortable eingerichteten Cabinet behaglich auf den Lehnstühlen umherlagen und, den Dampf aus der Cigarre in leichten Ringeln oder dichten Wolken in die Luft blasend, die Chronik des Städtchens, mitunter auch die chronique scandaleuse zu gegenseitiger Erbauung durchblätterten.

Brücken kam aus der Residenz. Wäre er Militär gewesen, so hätte er wie ein bekannter humoristischer Dichter singen können:

„Von der Garde zur Linie vertrieben
Und der goldenen Litzen beraubt,
Ist mir nichts, ist mir gar nichts geblieben,
Als mehr Schulden wie Haar’ auf dem Haupt.“

Nun, mochte er auch den Text in Rücksicht auf seine Civilcarrière ändern, der Sinn blieb ungefähr derselbe.

Er hatte den vielfachen Verlockungen der Residenz nicht zu widerstehen vermocht. und als nun gar die Rede ging, er stehe im Begriff sich mit einem jungen Mädchen zu verloben, das zur Sängerin ausgebildet werde, conspirirte der Vater, ein von seiner Pension lebender verabschiedeter Artilleriemajor, gegen den Sohn und bewog den Chef desselben, den lebenslustigen jungen Mann, der im Geräusche der Welt des Vaters Lehren überhörte und dessen Beispiel zu altväterisch fand, um es nachzuahmen, an einen kleineren Ort zu versetzen.

Wenigstens vermuthete Clemens einen derartigen Fallstrick, als er, mit der Nachricht nach Hause stürmend, einen gewissen verrätherischen Zug um den Mund des alten Herrn gewahrte, der den innern Kampf zwischen der Ehrlichkeit des ehemaligen Soldaten und ungewohnter diplomatischer Schlauheit anzudeuten schien.

„Hm, nach L., nach L. wirst Du geschickt, das ist gut!“ sagte der Major. „Ich kenne den Ort. Ich stand in meiner Jugend dort in Garnison und es war damals ein einfaches, solides Leben an der Tagesordnung. Auch lebte die alte Fuchsin, die aus Gülzenow dort, Deine Tante, wie Du weißt, ein curioses Frauenzimmer, mit der ich mich in meinem Leben was Ehrliches herumgebissen habe, ihr aber doch gut bin wie sie mir.“

„Bah, was hilft mir die alte Dame!“ meinte Clemens mit verächtlichem Nasenrümpfen.

„Die alte Dame hat ein respectables angesehenes Hauswesen. Seit die Mädchen – ihres Bruders Kinder, meine Mündel, weißt Du – herangewachsen, macht sie ein großes Haus. Es ist immer angenehm solchen Anhalt zu haben. Auch ist Hasse alle Sonntage in der Stadt und Hasse ist ein Prachtjunge.“

Dem alten Herrn zuckte es wehmüthig um den Mund, ein Seitenblick traf den Sohn, und das bestochene Vaterherz blickte wieder freundlicher aus den Augen. Clemens war ein hübscher Mensch, auffallend hübsch sogar und einige affectirte Unverschämtheit abgerechnet, die Gewandtheit und Weltton bedeuten sollte und die ja auch ihre Bewunderer in der Welt findet, im Ganzen, wenn er sich natürlich gab, ein frischer liebenswürdiger Junge, mit einer gehörigen Portion Mutterwitz und einem hervorragenden musikalischen Talent, das vielleicht zur Künstlerschaft hätte ausgebildet werden können, wenn der Eifer, die Gottesgabe zu etwas Ernstem zu benutzen, dem damit Begnadigten nicht ganz und gar gefehlt hätte.

Das waren nun natürliche Vorzüge genug, und der Vater erwog sie in Gedanken, als er das künftige Schicksal seines Sohnes im Geiste überdachte, aber Eines erwog er nicht, vielleicht weil es ihm selber zu fern war: den kalten Egoismus der aus Allem ein Rechenexempel macht und der selbst angeborener Liebenswürdigkeit durch die bewußte überlegte Anwendung desselben Hohn spricht.

Dem alten Herrn war es nun hauptsächlich darum zu thun, den Sohn von allen pecuniären Verbindlichkeiten zu befreien. Er raffte zusammen, was er hatte, selbst das für die Tochter zur Ausstattung bestimmte Geld wurde geopfert. Clemens biß sich auf die Lippen als er dies hörte und als der Vater noch hinzusetzte: „Du beraubst sie einer großen Freude, der, sich nach und nach Alles, was zum eignen Herd gehört, in ihr Nestchen zusammenzutragen und es fertig zu haben, wenn Schönfeld zum Rittmeister avancirt.“

„Ach was!“ entgegnete er, mit einem warmen Blick der ihm freundlich zunickenden Schwester die Hand drückend und mit einem Ton, der mit absichtlichem Trotz die Bewegung niederzuhalten schien „Schwestern sind meist opferwillige Geschöpfe. Sie hilft mir gern, ich weiß es, und bis Schönfeld Rittmeister ist, hat sie es zehnmal mit Zinsen wieder.“

So wurde das Opfer gebracht und angenommen, ja es wurden viele kleine tägliche Entbehrungen hinzugefügt, die doch alle nicht verhinderten, daß Clemens nach L. mit einem Schuldenrest abging, von dem Keiner etwas ahnte und der groß genug war, die Hülfe des Vaters zu einem bloßen Palliativmittel zu machen. Im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 627. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_627.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2020)