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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Hier war es, wo ich meinen Ritter sah. Zu den ersten Neuigkeiten, die ich in Schleusingen erfuhr, gehörte nämlich die, daß bei den festlichen Gelegenheiten dort bisweilen ein Comthur in seinem ritterlichen Ordensgewand erscheine und durch die Pracht desselben, sowie durch das Riesige seiner Gestalt stets Aller Berwunderung errege. Man kann sich denken, wie mächtig meine Neugierde angespannt war, als ich bei meiner ersten Einladung auf die Burg zu einem Trebra’schen Familienfest erfuhr, daß auch der Herr Comthur den Abend durch seine Gegenwart verherrlichen werde. Ich konnte die Zeit kaum erwarten bis zur bestimmten Stunde und verstieß dann, weil all’ meine Aufmerksamkeit nur der Thür zugewendet war, durch welche mein ersehntes mittelalterliches Bild leibhaftig hereintreten sollte, wohl nicht selten gegen die Regeln des Ceremoniels, bis endlich schon von ferne hörbar die Erfüllung meines Wunsches geschah. Meine jugendliche Phantasie hatte ein Uebriges gethan in der Ausmalung der Größe dieses Ritterriesen, aber die Erscheinung blieb wirklich nicht hinter ihr zurück. Da schritt er herein, mit centnerschweren klirrenden Schritten in seiner kolossalen Gestalt. Auf dem Haupte trug er einen glänzenden eisernen Helm, an der Seite ein schweres, breites Schwert, an den Stiefeln pfundschwere eiserne Sporen, und angethan war er mit einem schwarzen Mantel oder Talar, wie jeder andere Johanniter-Ritter, vorne aber auf der Brust war ein weißes Kreuz. In dieser Johanniter-Tracht, sagte man mir, erschien er stets hier und auch an anderen Orten bei festlichen Gelegenheiten, da er seinen Ritterornat für mögliche Fälle auch auf Reisen mitzunehmen pflegte. Selbst die weltliche Lust des Tanzes, mit welcher an jenem Abend die Festlichkeit schloß, behandelte der geistliche Ritter nicht feindselig. Der Comthur eröffnete sogar den Ball mit einer Polonaise. So oft er nun an der Seite seiner Dame nach dem Tact der Musik vorschritt, dröhnte und bog der Fußboden sich unter seinen Füßen und klirrten die Fenster. Auch während der Polonaise war er in Rittertracht, das breite, schwere Schwert an der Seite und die pfundschweren eisernen Sporen an den Stiefeln.

Dieser seltsame Gast war ein Freiherr von Andlau, Comthur des Ordens der Johanniterritter. Bekanntlich ging der Johanniter- oder frühere Malteser-Orden nach vielerlei Noth und Bedrängniß, die über ihn gekommen war, mit der Auflösung des deutschen Reiches im Jahre 1806 gleichfalls seiner Auflösung entgegen. Die meisten deutschen Fürsten ließen als Territorialherren diese Ritter nach und nach aussterben, die Commenden (Besitzthümer) wurden eingezogen und meistens zum Staatsvermögen geschlagen. Dies konnte um so füglicher geschehen, weil die Johanniter als geistliche Ritter unverheiratet bleiben mußten und sonach keine Wittwen und keine rechtmäßigen Nachkommen zu versorgen waren. Die meistens durch fromme Stiftungen entstandenen Besitzungen dieses Ordens lagen begreiflich überall hin zerstreut, ohne Ordnung und Zusammenhang. Die einzelnen Commenden, oft auch mehrere zusammen, je nach Zeit und Umständen, wurden wieder einzelnen Rittern gewöhnlich zur Nutznießung überlassen. Ein solcher nun war und hieß Comthur und schlug gewöhnlich auf seiner Commende selbst seine Wohnung auf.

Zur Zeit, wo unser Ritter dem Orden angehörte, war ein Prinz Ruspoli Großmeister desselben und der Sitz des Großpriorats in Deutschland war Heitersheim am Schwarzwald im Badischen. Der Freiherr von Andlau war einem altadeligen, stiftsmäßigen Geschlecht entsprossen (nur solche wurden in diesen Orden als Ritter ausgenommen) und, wie es scheint, aus dem Elsaß gebürtig; aber auch in Baden und Württemberg blühen noch mehrere Familien dieses Namens.

Ungefähr zwanzig Jahre alt, nahm der junge Freiherr Kriegsdienste in Frankreich bei Ludwig’s des Sechszehnten Schweizer-Gardisten, die bekanntlich bei der Erstürmung der Tuilerien den tapfersten Widerstand leisteten; die meisten blieben todt oder verwundet auf dem Platze liegen. Unser Baron v. Andlau lag nur leicht verwundet mitten in einem Haufen der Todten und Verwundeten, fand aber, wie durch ein Wunder, seine Rettung durch die List seines Bedienten (oder, wie Andere sagten, eines Mädchens). Verkleidet entwich er, da Alles für den Krieg verloren war, in der darauf folgenden Nacht aus Paris und erreichte glücklich die deutsche Grenze. Als der jüngere Sohn seiner Eltern wünschte er nun in den Orden der Johanniterritter aufgenommen zu werden. Dies geschah, ungewiß ob durch Einkauf oder sonst statutenmäßig.

So erhielt er die von einem Grafen Berthold v. Henneberg 1291 gegründete Commende zu Schleusingen.

Als der neue Comthur in Schleusingen ankam, sah er sich in Verlegenheit darüber, wo er in der Grafschaft Henneberg-Schleusingen seinen Wohnsitz aufschlagen solle. In dem Gebäude der Commende zu Schleusingen hatte seit der Einführung der Reformation der protestantische Superintendent seine Wohnung aufgeschlagen und wäre also sein allernächster Nachbar geworden; dazu lag dieses Gebäude hart an der Kirche, so daß er das protestantische Orgelspiel und den protestantischen Gesang jederzeit hätte mit anhören müssen. Dies Alles nöthigte ihn gewissermaßen zu einem anderen Entschluß. In der Nähe des ansehnlichen Fleckens Heinrichs bei Suhl liegt nun ein ziemlich hoher, waldiger Berg, der Schneeberg genannt; auf dieser Höhe lag schon seit alter Zeit ein cultivirtes Gütchen, von lauter Tannenwald umgeben. Der Johanniter-Orden war durch Ein- und Umtausch seit 1653 im Besitz dieses Gütchens, welches die lange Bahn hieß. Hier wohnte auch der Vorgänger des Herrn v. Andlau, wenigstens zeitweise, der Comthur v. Vorell, der im Dom zu Erfurt begraben liegt.

Der Comthur v. Andlau nun wählte gleichfalls die Lange Bahn zu seinem, wenn auch nicht gewöhnlichen, doch zeitweiligen längeren Aufenthalte. Hier wohnte er auf dem Eigenthum seines Ordens; hier störte ihn kein protestantischer Gottesdienst; hier blieb er ungestört in der Ausübung und in dem Genuß seiner Liebhabereien. Die große Einsamkeit kümmerte ihn wenig.

Wie ich bereits erzählt, lernte ich auf der Burg zu Schleusingen unsern Comthur v. Andlau zuerst kennen und sah ihn später noch oft daselbst. Aber stets auf’s Neue ergriff mich dasselbe Staunen, als wie ihn zum ersten Mal sah. Nicht ein gewöhnlicher Mensch oder Mann, nein! ein Koloß stand vor Einem, ein Riese. Das Längenmaß seines Körpers war über sechs Fuß, das Gewicht des ganzen Körpers, obgleich er erst ungefähr zweiunddreißig Jahre alt war, gegen vier Centner. Man kann sich nun denken, wie breitschulterig, wie knochen- und muskelreich dieser Koloß war und welch eine unglaubliche körperliche Stärke er besaß. Mehr als einmal hat er auf der Erde liegende schwere Bäume oder Blöcke, an denen mehrere keineswegs schwache Männer sich zerarbeiteten, um sie auf der Erde ein Stück weiter fortzuwälzen, mit dem bloßen Fuße weiter gestoßen oder gewälzt. Kurz zuvor, ehe er in die Grafschaft Henneberg-Schleusingen kam, hatte er sich wiegen lassen, das Gewicht betrug schon drei Center vierundsiebenzig Pfund. Ein so großer, schwerer, unbehülflicher Körper nun war zum Reisen wenig geeignet, besonders bei dem Zustande der Wege in jener Zeit.

Unser Comthur hatte erst seit Kurzem auf der Langen Bahn häuslich sich niedergelassen, als er von Trebras zu einer Festlichkeit nach Schleusingen eingeladen wurde. Da war nun guter Rath theuer. Er selbst besaß damals noch keine eigene Kutsche, wie späterhin, und in Suhl, der nächsten Stadt, war gerade auch keine aufzutreiben. Es blieb nichts Anderes übrig, als daß der Comthur seines eigenen, zwar stark gebauten, leider aber nicht breit, sondern nur schmal angelegten offenen Wägelchens (Droschke) sich bediente. Da man ihn auf das Beschwerliche und für ihn sogar Gefahrvolle einer Reise von der Langen Bahn nach Schleusingen und umgekehrt aufmerksam machte, ließ er sich einen langen, starken, unten mit einer eisernen Spitze versehenen Stock machen, der auf dieser Reise, die ein Fußgänger in drei Stunden zurücklegt, sein Tröster und Helfer wurde. Er ließ sein eigenes Pferd vorspannen. Kaum hatte er die Lange Bahn hinter sich, so nahmen auch schon die Reiseabenteuer ihren Anfang. So oft nun eine gefahrvolle Stelle kam, stach der Ritter seinen starken spitzen Stock schnell in die Erde (meistens eine Wand) derjenigen Seite, auf die der offene kleine Wagen umzustürzen drohte, stemmte sich dann durch seine große Körperkraft mit Hülfe des Stocks gegen diese Seite und stellte hierdurch das Gleichgewicht wieder her. Auf dieser kurzen Reise traten Gefahren dieser Art mehr als zwanzig Mal ein.

Das Gesicht des Comthurs, um noch einmal auf sein Aeußeres zurückzukommen, hatte keine frische Farbe, sondern war mehr blaß, aber ein Vollmondsgesicht, nur mit einer kleinen, etwas gestülpten Nase. Auch einen Schnurrbart trug er nicht, ebenso wenig einen Stutz- oder Zwickelbart, wohl aber einen Backenbart. Man sieht nicht leicht einen stärkeren und schöneren. Wenn man ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 636. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_636.jpg&oldid=- (Version vom 19.10.2022)