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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

des Tones die Rauhheit der Worte mildernd. „Ueberlassen Sie doch das Lügen uns Männern, die oft genug der eigne schlimme Sinn, die arge Welt dazu treibt. Frauenlippen sollte keine Lüge beflecken.“

„Das ist auch wahr,“ sagte Rose, „ich will auch nicht lügen. ich will es Ihnen überlassen. Mich bespritzte also Fräulein Dufour’s Blut nicht, aber ich war schwach an dem Morgen und es kränkte mich, daß Sie nach vielfachem freundlichen Verkehr so kalt von mir schieden. Es verletzte mich, daß Aimée Dufour, daß Linda und Emmy und Natalie in Streit ausbrachen, welche die Bevorzugte in ihrem Herzen sei, daß Jede sich auf Beweise zu berufen wußte. Sie sind kokett, Clemens. Das gestattet man höchstens Frauen, aber unter die edeln Frauen zählt man die Koketten nicht. Ich hatte Sie wirklich für meinen Freund gehalten, aber das Letzte, was nach Ihrem kalten Abschied von dem Glauben an Ihre Freundschaft oder Zuneigung übrig bliebe hat unser neuliches Wiedersehen vernichtet. Weshalb behandeln Sie mich wie eine Fremde?“

„Ich sprang wie ein Cortez an das Ufer eines neuen Landes und verbrannte meine Schiffe hinter mir,“ entgegnete er rasch „man geht rücksichtsloser vorwärts, wenn man nicht mehr zurück kann, und ich will und muß vorwärts, Rose!“

„Wohin?“ fragte sie staunend, „und was hindert die unbedeutende Blume am Wege Ihren Siegeslauf, daß Sie mit achtlosem Fußtritt an ihr vorüberstreifen? Ich verstehe Sie nicht, Clemens, ich muß eine deutliche Erklärung haben.“

Sie waren während dieses Gespräches langsam die Straße hinunter zum Thor hinausgeschritten. Statt die Richtung nach Tante Rosinens Haus einzuschlagen, wendete sich Clemens der Promenade zu, die um diese Zeit nicht sehr belebt zu sein pflegte. Rose folgte willenlos.

„Ich will Ihnen die Wahrheit sagen, die volle Wahrheit,“ versicherte Clemens. „Sie werden an ihrer Bitterkeit erkennen, daß sie unverfälscht ist, wenn Sie mir auch vielleicht nicht glauben werden, daß ich die Bitterkeit nicht minder als Sie empfinde. Ich liebe Sie, Rose, ich habe Sie geliebt, so lange ich Sie kenne. Anfänglich ohne es zu wissen, dann mit vollem Bewußtsein, und daß Sie mein Gefühl erwiderten, erfüllte mich mit unbeschreiblicher Seligkeit. Das haben Sie gewußt, das müssen Sie noch jetzt glauben, auch wenn ich hinzufüge, daß ich Ihnen entsagen muß.“

Auf die Freude, die einen Augenblick in Rosens Antlitz aufgeleuchtet, fiel tiefer Schatten. Die Fragen weshalb? schwebte noch auf ihren Lippen, sie unterdrückte sie und Clemens fuhr fort .

„Sie wissen nicht, weshalb mein Vater mich hierher versetzen ließ: ich will es Ihnen sagen. Er wollte meinen Verkehr mit Madame Durando abgebrochen sehen,“ fuhr er mit niedergeschlagenen Augen und unsicherer Stimme, als werde ihm jedes Wort schwer, fort; „alte Leute haben ihre Vorurtheile. Madame Durando ist eine brave Frau, aber ihr leichter Ton, ihre Lebensstellung verdächtigen sie.“

„Ihre Lebensstellung, die auch die meinige ist – jetzt verstehe ich,“ sagte Rose und sah ihn mit ihren unschuldigen Augen klar und fest an.

„Nie würde mein Vater es zugeben, daß ich mir die Gattin aus jenen Kreisen wählte. Ich kann gegen meines Vaters Gebot nicht handeln. Zudem,“ setzte er aufsehend und ihrem ruhigen ernsten Blick begegnend, einigermaßen verlegen hinzu. „sind meine Verhältnisse der Art, daß sie es mir verwehren, um des Glückes selbst willen glücklich zu sein. Ich muß mein äußeres Loos im Auge haben –“

„Es ist genug, Sie brauchen sich nicht weiter zu entschuldigen,“ sagte Rose würdevoll, „Ihre Entschuldigungen sind beleidigender als Ihr Schweigen. Sie haben mich eine Zeit lang glauben gemacht, daß Sie mich liebten. Ich habe es geglaubt. Der Irrthum ist vorüber. Ihre fremde Begrüßung neulich, Ihr Verleugnen unserer Bekanntschaft hat ihn aufgeklärt, es bedarf der kalten Worte nicht, ein Verständniß zu erreichen. Es bleibt dabei, äußerlich und innerlich, daß wir uns neulich zum ersten Mal gesehen, und es wird mir nach diesem Gespräch nicht mehr schwer werden, Sie wie einen Fremden zu betrachten. Ich verstehe Ihre Wege nicht, Clemens, ich weiß nicht, was für Ziele Sie haben, aber die einen scheinen mir öde und die andern in einer Region, die der Herzenswärme unzugänglich ist. Passen Sie auf, daß Sie nicht darüber hinaus in den Abgrund tiefer Herzenseinsamkeit stürzen.“

Sie hatte mit einer Feierlichkeit gesprochen, die ihn verwirrte, sie sah so schön dabei aus, daß er, wie von einer dämonischen Macht erfaßt, kaum dem Verlangen widerstehen konnte, hier auf offener Straße vor ihr hinzustürzen oder sie besinnungslos in seine Arme zu ziehen. – Als sie mit kaltem Abschiedsgruß an ihm vorüberschreiten wollte, ergriff er sie heftig bei der Hand.

„Mädchen, fühlst Du nicht,“ sagte er gepreßt, „daß ich kalt bin, kalt sein muß, weil ein Vulcan in mir tobt, der uns Beide verderben könnte? O Ihr Mädchen, mit Eurer Unschuld macht Ihr es uns oft namenlos schwer, ehrlich zu bleiben! Rose, ich liebe Dich, aber ich kann, ich darf Dich aus tausend Gründen nicht heirathen. Du mußt mir glauben und mich bedauern, oder mir nicht glauben und mich hassen. Mein Vater, die Verhältnisse, Alles ist gegen unser Glück. Ich werde Alles thun, was Du verwirfst, was Dich irre macht, zweideutig handeln, mit falscher Zunge sprechen, Heiterkeit heucheln. Entlarve mich, wenn Du willst, aber glaube an meine Liebe. Bis an meines Lebens Ende werde ich Dich lieben, nur Dich, Du schöner, hoch am Himmel ziehender, unerreichbarer Stern!“

Seine Stimme brach im Schmelz der Wehmuth, sein Blick traf sie mit heißer Liebesgluth, seine Lippen öffneten sich halb, als habe er noch etwas, das Wichtigste, das Letzte zu sagen, aber seine Stimme starb in einem Seufzer dahin. Mit einem kräftigen Entschluß raffte er sich zusammen.

„Es ist spät geworden,“ sagte er leise, „soll ich Sie nach Hause bringen, Fräulein Rose?“

„Nein,“ sagte sie mit Festigkeit, ihre innere Erschütterung überwindend, „nein, ich kenne meinen Weg, ich finde ihn ohne Ihre Hülfe.“



Auf dem einsamen Heimwege hatte Rose hinlänglich Zeit, Fassung und Ruhe wenigstens äußerlich wieder zu erlangen. Sie war tief gekränkt, und wenn auch ihr schon bei dem Abschied erschütterter Glaube an ihn jetzt vollends dahin war, so bebte doch ein schmerzvoller Ton durch ihre Seele, der sie an die Schönheit des verklungenen Hohen Liedes reinster irdischer Empfindung mahnte. Clemens hatte mit ihr gespielt. Seine Leidenschaft war ein Rausch des Augenblicks, sein Herz das eines kalten Egoisten. Er ist ein Schauspieler! sagte sie sich, und doch war es schwer, sein vortreffliches Spiel nicht für Wirklichkeit zu halten, seine bebende Stimme, sein warmes Wort, seinen heißen Blick vollendeter Kunst zuzuschreiben und nicht hingerissen zu werden von dem, was in jeder Kunst Natur sein muß, um zu wirken.

Sie gestand es sich ein, daß sie sich trotz seines kalten Abschieds wider ihren Willen gefreut, ihn in L. wiederzusehen, daß sie auf ein Mißverständnis auf eine Lösung desselben gehofft, daß sie sich gefreut, ihn durch ihr unerwartetes Kommen zu überraschen. Das Alles war dahin und sie dazu verurtheilt, ihm kalt und fremd gegenüber zu stehen und täglich auf’s Neue die Kränkung zu empfinden daß er rücksichtslos über sie hinweg andern Lebenszielen zuschritt. Aber welchen? Was erstrebte er? Ihr Verdacht blieb an nichts Schlimmerem haften, als daß er gesonnen sei, eine reiche, glänzende Heirath zu schließen, die ihm den Weg zu einer bevorzugten Stellung im Leben bahnen sollte. Und schon der nächste Abend bestätigte ihre Vermuthung. Es war von Lebenszielen und Bestrebungen die Rede, ein Jeder sollte seine Wünsche, seine Reizungen in dieser Beziehung aufrichtig bekennen.

„Eine Ministertochter zur Frau und einen Gesandtschaftsposten, sagte Clemens gähnend.

Die Tante schlug ihm auf den Mund.

„Für’s Gähnen und für die Verleumdung Deiner Person. Wer wird aus Ehrgeiz heirathen! Aber Du sagst es, Du wirst es am wenigsten thun. Nun, Hasso, Du?“ fragte sie und machte eine wegwerfende Geberde, als er, seine kräftige Gestalt hoch aufrichtend, in frischem Ton sagte:

„Einen Urwald und eine Axt.“

„Eine Bibliothek auf dem Lande,“ bekannte Ursula zu allgemeinem Gelächter.

„Ich möchte nur für’s Haus singen dürfen,“ sagte Rose, und die Zwillingsschwestern versicherten, sie wünschten nichts Anderes, als „daß es immer so bleiben möge, wie es just sei.“


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