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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

No. 47.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die Gasselbuben.

Geschichte aus den bairischen Vorbergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


„Nein, meine Tochter ist noch nicht in der Kirche,“ erwiderte der Feichtenbauer, „sie soll erst nachkommen; sie hat sich’s nit nehmen lassen, und will durchaus mit den Wallfahrern in der Procession gehn ... Ihr wißt ja, wie die Weiberleut’ sind!“

„Ja wohl, ja wohl,“ rief Domini mit spöttischem Lachen, „denen ist nicht gut, wenn sie nicht ein paar Stunden laufen können und Amt und Predigt im Leib haben ... aber jetzt ist es kaum acht Uhr und bis die ganze Geschichte aus ist, kann’s zehn Uhr werden – so lang’ werdet Ihr doch nicht da herstehn und warten wollen? Kommt mit hinüber – der Bergwirth hat noch rothen Tyroler, das ist ein Capital-Wein, bis dahin können wir ein Paar Flaschen auspemseln (pinseln) und sind lang wieder zurück ...“

Der Bauer konnte sich nicht entschließen. „Ich weiß doch nit,“ sagte er, „die Christel wird nit wissen, wie sie dran ist – ich hab’ ihr gesagt, daß ich auf sie warten will ...“

„Was schadet das?“ lachte Domini. „Ihr seid der Herr vom Haus, Ihr habt Euch halt anders besonnen und laßt sie auf Euch warten – kommt nur mit und thut mir den Gefallen ... ich hätt’ nit geglaubt, daß Ihr Euch so lang’ besinnen thätet, mir auch etwas zu lieb zu thun!“

„O nein,“ rief der Feichtenbauer, „ich besinne mich keinen Augenblick – Ihr sollt sehn, was ich auf Euch halte – ich gehe mit Euch in’s Bergwirthshaus hinüber! Ich weiß jetzt schon, wie ich die Geschichte einrichten kann! Ich bin der Herr vom Haus und lass’ meiner Tochter sagen, daß ich mich anders besonnen hab’, sie soll nach dem Gottesdienst auch hinüberkommen in’s Bergwirthshaus und mich abholen ...“

„So ist’s recht!“ rief Domini, während sie miteinander an der Kirche hinschritten und bei den Linden ankamen. Wendel fuhr eben aus dem Seitensträßchen heran, als habe er im Augenblick die aufgetragene Fahrt beendigt. „Aber wer soll denn Eurer Tochter ’was ausrichten? Ich sehe ja weit und breit keinen Menschen!“

„O dafür weiß ich Rath,“ entgegnete der Bauer und wendete sich dem Knechte zu. „Steig’ ab, Wendel,“ sagte er, „und Ihr, Domini, nehmt die Zügel, weil meine Hände zu so etwas doch noch immer ein böses Gesicht machen ... Na, wie lang’ besinnst Du Dich wieder?“ fuhr er auf, als Wendel dem Befehle nicht sofort nachkam. „Hast vermuthlich wieder ’was einzuwenden dagegen? Absteigen sollst Du, hab’ ich gesagt – wir fahren hinüber zum Bergwirth, Du bleibst da und wartest auf meine Tochter und sagst ihr, sie soll nachkommen, wenn der Gottesdienst aus ist, und begleitest sie hinüber ...“

„Der Wendel soll das thun?“ raunte Domini dem Alten in’s Ohr, indem er den hübschen Burschen genauer ansah und ihm aus den Augen ablas, daß ihm der Auftrag keineswegs unwillkommen und der Unmuth, der sich zuerst in seinen Mienen ausgesprochen, durch das Nachfolgende völlig verscheucht war. „Ein Knecht und Eure Tochter ... ist das ein Zusammenstand?“

Er hatte während dessen den Wagen bestiegen und Wendel die Zügel abgenommen, ohne auch nur durch einen Augenwink zu verrathen, daß sie sich kannten oder sich begegnet waren.

„Warum etwa nicht?“ entgegnete der Feichtenbauer, wohl auch etwas gedämpft, aber immerhin laut genug, daß Wendel jedes Wort verstehen konnte. „Eben weil er der Knecht ist, muß er thun, was ich ihm anschaff’, und muß ihr den Bündel nachtragen, wenn ich’s haben will! Ihr werdet doch an nichts Anderes denken,“ setzte er auflachend hinzu, „für die Feichtenbauern-Christel ist ein solcher Bergler-Rothnickel gerade so, als wenn er gar nicht auf der Welt wär’ …“

Im Geräusch des hinwegrollenden Wagens verloren sich die letzten Worte, dennoch hatte das Gehörte genügt, dem zurückbleibenden Wendel das Blut in’s Gesicht zu jagen, und wäre der Bauer nicht schon weit aus dem Bereiche seiner Stimme gewesen, diesmal hätte der Unmuth in Wendel die Oberhand behalten und er hätte die treffende Antwort auf die wiederholte Beschimpfung kaum zum dritten Male niedergeschluckt; er biß die Zähne aufeinander und ging, da er die Antwort doch auf ein ander Mal verschieben mußte, der Kirche zu, die Mirakelbilder in den Gängen zu besehn und die frommen Sprüche darunter zu lesen. Dabei wurde es ruhiger in seinem Gemüth, und gelassen setzte er sich dann unter den Linden in’s Gras, an ein angenehmes Plätzchen, wo er den Blick frei hatte in das offene steinerne Gotteshaus, und über sich in das unermeßliche Haus Gottes, das rings auf den Hügelreihen und Bergen wie auf Wänden und Säulen ruhte und dessen Gewölbe hoch über den wandelnden Wolken empor stieg, ewig fest und unwandelbar. Es war still geworden ringsum; auch die Vögel waren mit der steigenden Sonne verstummt, welche für einen Frühlingstag ungewöhnlich heiß und gewitterkündend herniederstrahlte;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 739. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_739.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2020)