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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Mosigkau und Adelaide.

Wer wüßte nicht vom alten Dessauer und kennte nicht wenigstens einzelne Züge aus seinem Leben als Held und Mensch? Der populäre „alte Schnurrbart“, für dessen lebhaftes und stürmisches Temperament sich selbst der rührendste Choral unserer Kirchenmusik in den Dessauer Marsch umwandeln, und jeder Kirchenliedertext, mochte er nun: „Wie schön leucht’ uns der Morgenstern“, „Alle Menschen müssen sterben“, oder gar „O Haupt voll Blut und Wunden“ – lauten, sich der Marschmelodie anschmiegen mußte, die unbekümmert um Orgel und Gemeinde im tiefen Basse ertönte; dieser neben dem alten Fritzen und dem alten Blücher fortlebende Volksheld ist zugleich der Held verschiedener epischer und dramatischer Dichtungen geworden und im deutschen Volke eine stets willkommene Figur. Wie viele haben sich an seinem Heldenthum begeistert; wie viele wieder mit ihm für die schöne Apothekerstochter Anna Louise Föhse geschwärmt, die der Kaiser, nachdem Fürst Leopold sie „ohne jegliche adelige Zuthat“ zum Altare geführt hatte, schließlich nothgedrungen in des Reiches Fürstenstand erhob, um den Skandal, daß das Haus Dessau sich mit seinem Volke vermähle, zu mindern, weil es denn doch nicht gelang, den jungen Eisenkopf von einem einmal festgefaßten Entschlusse abzubringen. Und hat Fürst Leopold von Dessau wohl seine Wahl bereuen dürfen? Sein musterhaftes, biederes, echt deutsches Familienleben spricht dagegen, derb ging es zuweilen bei dem Alten her, aber nicht minder herzlich, und als die Annalise im Februar 1745 das Zeitliche segnete, da war Leopolds Schmerz wild und ungestüm. Der rauhe Krieger weinte wie ein Kind, und diese Thränen gaben das herrlichste Zeugniß für das fromme und musterhafte Leben dieser Tochter aus dem Volke.

Nicht minder groß und schön äußerten sich Leopold’s menschliche Eigenschaften in der Liebe zu seinen Kindern. Seine fünf Söhne bildeten seinen Stolz, die Töchter seine Freude und den Gegenstand seiner steten, rührenden Sorgfalt. Als seine Tochter Louise, die regierende Fürstin von Bernburg, im Jahre 1732 tödtlich erkrankt war und den einzigen Wunsch laut werden ließ, den geliebten Vater noch einmal an der Spitze seines Regimentes zu sehen, da beeilte sich Leopold, dieses Verlangen einer echten Soldatentochter zu erfüllen. An der Spitze seiner braven Grenadiere marschirte er von Halle nach Bernburg und stellte sie daselbst im Schloßhofe auf. Da erschien am Fenster droben die todtkranke bleiche Fürstin, deren Anblick des rauhen Kriegers Vaterherz zerriß. Schluchzend commandirte er zu den Uebungen des Regimentes, denen die Fürstin vom Fenster aus zusah. Als nachher die ermüdeten Soldaten bewirthet wurden, da vermochte der gebeugte Leopold es nicht zu seinem kranken Kinde hinaufzugehen, sondern er setzte sich allein auf das Geländer der Saalbrücke, um sich auszuweinen. Da betete er denn auch nach seiner Weise, aber gewiß aus Herzensgrunde: „Lieber Gott, ich bin kein solcher Lump, der Dir bei jeder Hundsfötterei beschwerlich fällt; ich komme nicht oft und will auch sobald nicht wiederkommen, aber nur diesmal hilf mir und laß mein armes Kind gesund werden ...“ Leopold mußte die Tochter nach wenigen Tagen sterben sehen und marschirte mit seinen Soldaten, ernst und schweigend, wie in einem Leichenzuge, nach Halle zurück.

Auch seinen Erbprinzen Wilhelm Gustav verlor der alte Dessauer im Jahre 1738 durch den Tod. Die Geschichtsbücher lehren uns „unvermählt und unbeerbt“, allein mit Unrecht. Der Erbprinz war in des Vaters Fußstapfen getreten und hatte Herz und Hand einer Tochter aus dem Volke, der Brauerstochter Sophie Herre, geschenkt. Der Prinz mochte Ursache haben, bei dem Alten für seinen Thronfolger nicht mehr dieselben Ansichten herrschend zu finden, denen derselbe für sich mit seinem Eisenkopfe Geltung verschafft hatte, denn er breitete über seine Verheirathung, über seine Frau und Kinder den Schleier strengsten Geheimnisses. Erst als der alte Dessauer erschüttert am Sterbebette seines Erbprinzen stand, entdeckte dieser ihm das Geschehene und empfahl seine Wittwe und Waisen der Sorge und Verzeihung des Vaters, der sie in schmerzlicher Rührung zusagte. Er hat auch Wort gehalten, denn er erkannte die Ehe an und ernannte die Wittwe seines Sohnes und seine Enkel zu Grafen und Gräfinnen von Anhalt.

Doch zurück zu noch früheren glücklicheren Zeiten, ehe der Tod dem Fürsten Leopold so tiefe Wunden schlug.

Es war an einem schönen Herbsttage, als die Fürstin Anna Louise mit ihrem Töchterchen Wilhelmine an einem Fenster des Schlosses in Dessau stand und der Heimkehr des Fürsten von der Jagd wartete. Leopold pflegte von der Jagd stets einen Wolfshunger mitzubringen, und die Fürstin ließ bereits einen tüchtigen Imbiß bereit halten, weil Geduld bekanntlich nicht zu Leopold’s Haupttugenden gehörte. Endlich wirbelten die Trommeln und der Fürst fuhr in den Schloßhof. Die junge Prinzessin enteilte der Mutter und lief dem Vater in den Schloßhof entgegen, wo er eben noch Befehle ertheilte.

Fürst Leopold hatte eine gute Jagd gemacht und war wohlgelaunt und in froher Stimmung, wie selten. Seinen Jägerhut zierte ein Eichenzweig, der noch im prächtigsten Grün schimmerte. Seine Augen leuchteten auf, als er das liebliche Kind erblickte, das ihm froh entgegenhüpfte.

„Ach liebes Väterchen,“ rief die Prinzessin, „wie spät kommst Du heim und wie ermüdet wirst Du sein! Die Mutter wartet schon auf Dich mit dem Imbiß!“

„Ei,“ sagte der Alte guter Dinge und beugte sich zärtlich zu dem Kinde nieder, „der wird jetzt um so besser munden, und er ist auch ehrlich verdient worden.“

„Väterchen, der schöne Zweig, wie schön! O, schenke mir den Zweig!“ bat das Kind, das jetzt den nickenden Eichenzweig auf des Fürsten Hut gewahrte.

„Den Zweig – ja so, recht gern, mein Kind,“ sagte der Vater voll seltener Milde, indem er den grünen Schmuck vom Hute nahm; „doch was willst Du mit dem Zweige allein, der morgen verwelkt ist? Ich schenke Dir Mosigkau dazu, mein Freigut, das soll Dir eine Erinnerung sein an den heutigen glücklichen Waidmannstag.“ ...

Die kleine Prinzessin freute sich an jenem glücklichen Tage des Eichenzweiges, des Spielwerks, mehr, als des fürstlichen Geschenkes, dessen Werth sie noch nicht begriff. Tauschte doch ein glückliches Kindergemüth, das jeden Werth nach seinem Vergnügen daran zu berechnen pflegt, wohl gern jedes Freigut für ein begehrtes Spielwerk aus! Aber Prinzessin Wilhelmine wuchs zur Jungfrau empor und lernte das kostbare Geschenk des Vaters schätzen. Gern und oft weilte sie später in Mosigkau und ließ es freigebig verschönen. Eine starke Stunde von Dessau liegt das freundliche Dorf in einer moosigen Aue, von welcher es den Namen empfing, so recht geschaffen zum stillen Asyle.

Da Prinzessin Wilhelmine unvermählt blieb, wohl aber den Beruf in sich fühlte, noch etwas mehr zu thun, als blos eine Prinzessin, welche ihren Stand repräsentirt, darzustellen, so ließ sie in Mosigkau einen parkartigen Garten anlegen und denselben mit einem Schlosse krönen, welches man anfänglich für ein Lustschloß hielt. Nach Vollendung dieser Anlagen gründete sie in Mosigkau ein Stift für unverheiratete Damen adeligen Standes. Sechs Kanonissinnen und eine Aebtissin erhielten Schloß und Garten zu ihrer Verfügung und fanden auch für ihre sonstigen Bedürfnisse eine anständige Versorgung. An den sogenannten Capiteltagen tragen die Stiftsdamen den Orden der Stiftung: am blauen Bande den silbernen Stern mit einem Eichenzweige. Auch das Siegel der Stiftung, mit welchem mancher Act stiller Wohlthätigkeit versiegelt wird, erinnert durch den Eichenzweig an den glücklichen Waidmannstag und das Geschenk des Fürsten Leopold, durch welche der Grund zu einer wohlthätig wirkenden Stiftung gelegt worden ist.

Prinzessin Wilhelmine hing mit Liebe an ihrer Stiftung und pflegte sie wie ein Kind. Sie selbst blieb die Protectorin derselben und weilte gern in ihren Räumen, die sie ihr Leben lang schmückte und verschönte. Werthvolle Oelgemälde und andere Kunstwerke schmückten den Saal des Schlosses, dessen Thüren in den mit reicher Orangerie ausgestatteten Garten führen, und das neben ihm gelegene Capitelzimmer, in welchem auch ein lebensgroßes Oelbild der Gründerin selbst Aufnahme fand; und ringsum an den Wänden kann man noch heute die kunstvoll gearbeiteten Lehnstühle bewundern, welche Prinzessin Wilhelmine damals mit ihren Damen unter ernsten und heiteren Gesprächen gestickt hat, bis der Tod der Prinzessin dieses schöne Verhältniß löste. ...

Allein die Zukunft ihrer Stiftung war von ihr glänzend gesichert

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_012.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)