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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Thaler verpfändet, und der Schurke, an den wir sie verloren, drohte mit der Anzeige. Rosen kam mir nach, als ich zum Besuch bei der Mutter war, und war der Verzweiflung nahe – da schwor ich, uns Beiden zu helfen. Der Tag meiner Mündigkeit war nahe und dann mußte mir mein Erbtheil von dreitausend Thalern zufallen, das der Onkel für mich verwaltete. Ich bat ihn um die Herausgabe – er verweigerte sie; ich forderte sie – immer dringender – er blieb unerschüttert. Vielleicht glaubte er nicht, daß meine Noth so groß sei, vielleicht konnte er mir wirklich nicht helfen; ich aber hielt ihn für reich und wußte auch, daß er gerade zweitausend Thaler als städtischer Beamte eingenommen hatte und mich mit der Summe retten konnte. Aber mein Ansinnen empörte ihn; er nannte es eine Unredlichkeit und behauptete auch, er müsse noch am folgenden Tage Rechnung darüber ablegen, könne mir seine Ehre nicht opfern. Ich war wild und außer mir, Eva, und es kam zu heftigen Reden – hernach aber faßte ich einen verzweifelten Entschluß, meine Ordre war gekommen, die mich zum andern Tage an Bord rief, und in der Nacht – – aber gieb mir Wasser, Eva, die Worten die ich spreche, versengen mir die Lippen!“

Mit zitternder Hand reichte sie ihm den kühlenden Trank, während sie mit Grauen daran dachte, was er weiter noch sagen würde.

„In der Nacht,“ fuhr er, als er sich einigermaßen von seiner Erschöpfung erholt hatte, fort, „kehrte ich noch einmal zurück; ich wußte wohl, wo der Schrank stand, in dem das Geld lag, und da bedurfte es nur eines Drucks, um das Schloß zu sprengen.“

„Adalbert, um Gotteswillen, das hast Du nicht gethan!“ rief Eva entsetzt.

„O, ich that noch mehr, Eva, ich nahm das Geld, hörst Du! ich nahm es und gab es hernach Rosen, und mit ihm kauften wir Beide dann unsere Ehre zurück, haha! die verlorene Ehre, die noch zu kaufen war. Was siehst Du mich so starr an, Eva? Hast Du noch nie einen Menschen gesehen, der ein Dieb geworden ist? – o, es kommt noch besser, merk nur auf! – nun geht’s rasch, immer weiter dem Ende zu! Meinst Du, ich wisse nicht, daß den alten Mann darum der Schlag getroffen hat, weil er sich bestohlen fand und wußte, wer das Geld genommen hatte? Auch der Doctor wußte es, und ich habe ihn darum gehaßt bis auf’s Blut, bis auf den Tod, den ich jetzt leide! Den Onkel aber habe ich lieb gehabt, wenn er auch durch mich gestorben ist, so lieb, wie nur immer ein schlechter Sohn seinen Vater haben kann! Ich wollte ihm schriftlich Alles gestehen, ihn um Vergebung bitten, daß ich nur mein Erbtheil vorweggenommen, aber früher noch erhielt ich die Nachricht seines Todes. O, ich könnte noch jetzt um ihn weinen wie Du, wenn die Thränen in meinen Augen nicht ausgetrocknet wären, seit ich zum Schurken ward! Glaubst Du, daß ich noch einmal wieder weinen werde, Eva?“

„O gewiß, Adalbert,“ rief Eva, die kaum noch im Stande war, sich aufrecht zu erhalten, „Gott im Himmel wird Dir verzeihen und die Schuld von Dir nehmen!“

„Meinst Du?“ sagte er. „Sieh, ich habe zuweilen auch auf Erlösung gehofft und mir gesagt, daß sie mir durch Dich kommen müsse, Eva, und darum mußtest Du, Du mußtest mein werden – ich hätte Dich der ganzen Welt abgetrotzt. Deinen Vater hatte ich getödtet, mich selbst zu Grunde gerichtet; aber Du – Du solltest glücklich werden, und Niemand durfte über Dein Glück wachen, als ich allein! – Einst, als Du noch ein Kind warst, hatte ich gelacht, daß Du mich so lieb hattest und weintest, wenn ich mir nichts aus Dir machte – und nun fiel mir das Alles wieder bei und ich schwor mir zu, daß Du mein Weib werden solltest!“

„Also darum!“ schrie es in Eva’s Herzen auf; „darum sein Werben und darum Dein eigener Treubruch gegen Reinhard?!“ laut aber rang sich der Ruf aus ihrem Munde: „O, so sprach keine Liebe in Deinem Herzen, Adalbert?“

Der Kranke schwieg einige Augenblicke; die Fieberhitze auf seinen Wangen brannte stärker und seine Gedanken schienen sich zu verwirren.

„Liebe?“ flüsterte er endlich „o, wohl habe ich sie geliebt! – sie war so schön mit ihren dunklen Locken und den blitzenden Augen – fast schöner noch als Du, Eva, aber was durfte Emilie Waldow mich kümmern, was ging mein eigenes Herz mich an, wenn ich Dich nur gewann!“

„O mein Gott, mein Gott, stehe mir bei!“ murmelte die unglückliche Frau.

„Es ist nun Alles aus,“ fuhr er fort, indem er unruhig mit den Händen auf der Bettdecke hin- und herfuhr, „und Eva ist auch fort – aber wenn sie wiederkommt, sagt ihr, daß sie – mein guter Engel gewesen ist – meine Seele gerettet hat – vor Verzweiflung!“

„Adalbert, Adalbert, noch einmal dieses Wort, es rettet auch mich vor Verzweiflung!“ rief sie an seinem Lager niederstürzend.

Er schlug noch einmal die Augen auf und blickte sie mit einem matten, aber doch liebevollen Lächeln an.

„Vergieb mir, Eva, und bete für mich!“ hauchte er.

„Vater im Himmel, erbarme Dich über ihn und über mich!“ drang es aus ihrem brechenden Herzen.

Als der Arzt nach einer Weile zurückkehrte, um nach seinem Kranken zu sehen, fand er Eva ohnmächtig an der Leiche ihres Gatten zusammengesunken. –

In der Stadt erregte das unselige Ereigniß und der noch unseligere Ausgang desselben die allgemeinste Theilnahme, und mit tiefem Mitleiden sprach man von der unglücklichen jungen Frau, die durch den Verlust des heißgeliebten Gatten selbst an den Rand des Grabes gebracht worden war. Der Schmerz hatte sie auf das Krankenlager geworfen, wo sie wochenlang zwischen Tod und Leben schwebte, und als sie sich endlich wieder von demselben erhob, waren Monate seit dem Tode Adalbert’s vergangen. Sie war bleich, still und gefaßt, als sie in die Welt der Gesunden zurückkehrte, vermochte aber mit kaum irgend Jemandem von der traurigen Vergangenheit zu reden, und zeigte nur ein großes Verlangen, von dem Schauplatz derselben fortzukommen, so daß sie fast ungeduldig ward, als ihr der Arzt der vorgerückten rauhen Jahreszeit wegen anfänglich immer noch das Reisen verbot. Endlich erklärte sie geradezu, daß sie sich nicht länger halten lassen könne und am nächsten Tage die Stadt verlassen würde. Auf sein Befragen nannte sie ihm ihre Vaterstadt als vorläufiges Ziel ihrer Reise.

Doctor Reinhard saß in seinem Arbeitszimmer zwischen Büchern und Papieren, als ihm die Meldung gebracht wurde, daß eine Dame ihn zu sprechen wünsche. Er nahm sie ohne Ueberraschung auf, denn es war nichts Seltenes daß auch Frauen aus den höheren Ständen den vielbeschäftigten Arzt in seiner eigenen Wohnung aufsuchten, um desto schneller und sicherer seines Raths theilhaftig zu werden, und so glaubte er auch jetzt, es handle sich um eine ärztliche Consultation. Als aber die Dame, welche ganz in Schwarz gekleidet war, ins Zimmer trat und den Schleier, der ihre Züge bedeckt hatte, von ihrem Gesicht entfernte, trat er unwillkürlich einen Schritt zurück und die Farbe wich aus seinen Wangen, als er sie erkannte.

„Eva – Frau von Wallberg!“ rief er halblaut.

Ihre großen Augen, die in dem blassen Gesicht jetzt noch größer erschienen als früher, blickten ihn wehmüthig an, und sie sagte bittend:

„Reinhard, seien Sie gut gegen mich – ich habe eine schwere Aufgabe zu erfüllen, wenn ich jetzt zu Ihnen komme!“

Er hatte sich wieder gefaßt. „Ich habe von Ihrem Verlust gehört,“ sagte er ruhig und theilnehmend.

Ueber ihr Gesicht zuckte es. „Ich hatte viel zu tragen und darf mich vielleicht im Leben nicht wieder frei fühlen von der Last des Kummers. Wenn Sie noch etwas wie Theilnahme für mich haben, so erlassen Sie mir, ausführlich von Dem zu sprechen, was Sie verstehen werden, wenn ich es nur andeute.“

„Aber warum überhaupt von etwas reden, was Ihnen Schmerz bereitet?“ fragte er sie. „Sollte es sich auf die Vergangenheit beziehen, so nehmen Sie mein Wort, daß ich diese als gänzlich todt betrachte, wenn dies Sie beruhigen kann!“

Sie schüttelte das Haupt. „Ruhig kann ich nur wieder werden, Reinhard, wenn ein dunkler Fleck, der auf ihr haftet, getilgt ist – und darum gerade kam ich zu Ihnen. – Sie kennen ein unseliges Geheimniß,“ fuhr sie fort und ihre bebende Stimme rang nach Festigkeit – „Reinhard, ich habe als Erbtheil eine Schuld auf mich genommen und muß mich davon lösen!“

„Eva, jetzt verstehe ich Sie wirklich nicht!“ entgegnete der Doctor, im höchsten Grade erregt.

Sie schwieg einige Augenblicke und sagte dann: „Habe ich Ihnen nicht einst gesagt, daß ich lange über die letzten Worte meines Vaters nachgesonnen hätte wie über ein schweres Räthsel? Sie verweigerten mir damals die Lösung, hernach aber habe ich sie gefunden und weiß nun, was es bedeutete, daß der Sterbende

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_047.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)