Seite:Die Gartenlaube (1870) 058.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Eva vermochte nicht zu antworten – die Erinnerungen lasteten zu schwer auf ihr.

Glücklicher Weise fiel aber dem Doctor ihr Schweigen nicht auf, denn er besann sich, daß ihn diese Stunde eigentlich schon am Brunnen unter seinen Badegästen hätte treffen sollen, und nahm rasch Abschied, aber nicht ohne der jungen Frau das Versprechen abgenommen zu haben, daß auch sie sich in kurzer Frist auf der Promenade einfinden wollte.

Als er sie verlassen hatte, sank Eva auf ihren Sessel zurück und bedeckte sich das Gesicht mit den Händen, während ihr ganzer Körper vor Erregung zitterte. Das Wiedersehen Reinhard’s hatte sie mehr erschüttert, als sie selbst für möglich gehalten hatte – und nun sollte sie sich auch noch auf eine andere Begegnung gefaßt halten, wovor ihr ganzes Innere zurückbebte, wenn es sie auch wieder mit einer geheimnißvollen Gewalt zu jener schönen Emilie Waldow hinzog, die Adalbert geliebt hatte, deren Name noch auf seinen sterbenden Lippen gewesen war. Jedes Wort, welches Reinhard über sie geäußert hatte, war ihr wie ein Pfeil in’s Herz gedrungen. Sie, sie wußte es, was Emilie vermocht hatte, einem ungeliebten Manne ihre Hand zu reichen: es war die Verzweiflung ihres Herzens gewesen! – und wieder drückte es sie wie eine schwere Schuld, daß um ihrer selbst willen diese Verzweiflung auf sie gewälzt worden war. – Jenes bessere Schicksal, dessen Reinhard die Generalin für würdig erklärt hatte – würde sie es an Adalbert’s Seite gefunden haben, wenn sie nicht gewesen wäre, sie und Adalbert’s Schuld? Ihre Gedanken verwirrten sich bei dem Nachgrübeln und auf’s Neue fühlte sie sich verantwortlich für die That ihres Gatten, verpflichtet, sie zu sühnen – „Zu ihr!“ flüsterte sie und griff nach Hut und Mantel, um sich zum Ausgehen zu rüsten. Als sie schon an der Thür war, fühlte sie sich noch einmal von Scheu und Bangigkeit erfaßt und war im Begriff, umzukehren und die ganze peinliche Begegnung zu vermeiden; aber in der nächsten Secunde lächelte sie sich selbst Muth zu und flüsterte: „Reinhard hat Recht: das Leben erlaubt uns nicht, müde zu werden!“

Reinhard erwartete sie schon an der bezeichneten Stelle auf der Promenade und führte sie dann sofort einer hohen, stolz aussehenden Dame zu, der er sie als Frau von Wallberg vorstellte.

Eva sah sie vor sich, diese blitzenden Augen und schwarzen Locken, von denen Adalbert gesprochen hatte, zugleich aber zog ein eisiges Frösteln über ihr Herz vor dem kalten, fast feindseligen Blick, mit dem die schöne Frau sie ansah.

„Ich kenne von früher her die Frau von Wallberg besser, als Sie meinen, Herr Doctor, besser als sie selbst vielleicht ahnt,“ sagte die Generalin, „und eine Vorstellung wäre deshalb in meinem Sinne kaum nöthig gewesen.“

„Wenn Sie denn,“ entgegnete Eva sanft, „das halbreife, unerfahrene Mädchen – und als solches haben Sie mich ja nur gesehen – Ihrer Beachtung werth fanden, Frau Generalin, so darf vielleicht die Frau eine gewisse Hoffnung auf ein freundliches Entgegenkommen setzen, nachdem auch sie durch die Schule des Lebens gegangen ist!“

Unwillkürlich blickten die Augen der Generalin etwas milder und in ihrer Stimme lag eine gewisse Weichheit, als sie erwiderte:

„Allerdings habe ich nicht ohne Theilnahme gehört, daß auch Sie erfahren haben, wie leben leiden bedeutet! Aber wer von uns wüßte das nicht?“ fügte sie in herberem Tone hinzu.

Reinhard, dem die Wendung, welche das Gespräch genommen hatte, sichtlich unangenehm war, legte sich jetzt in’s Mittel und suchte es in heitere Bahnen zu lenken, was ihm auch namentlich bei der Generalin gelang, die ihm gegenüber bald ihre volle, freie Haltung wieder gewann und unbefangen und lebhaft mit ihm sprach, während Eva meistens schweigend der Unterhaltung zuhörte und nur dann und wann ein Wort hinein warf, das ihren freundlichen Antheil verrieth. Ihre Weise mußte aber doch einen günstigen Eindruck auf die Generalin gemacht haben, denn es lag weniger Kälte in den Abschiedsworten, welche sie später an Eva richtete, als in ihrer ersten Anrede; ja, sie sprach sogar die Hoffnung eines baldigen Wiedersehens aus.

Mochte Eva diese Hoffnung nun auch im Herzen kaum theilen, mochte ihr die Persönlichkeit der Generalin noch so wenig sympathisch sein, so wagte sie dennoch nicht, sich einer nähern Bekanntschaft zu entziehen, vielmehr gebot ihr das Herz, dieselbe als eine doppelte Pflicht zu suchen, nachdem sie inne geworden war, daß ein offenbares großes Interesse den Doctor an die schöne Frau fesselte, die ihm ihrerseits ein sehr freundliches Entgegenkommen bewies. Eva ward Zeuge ihres lebhaften täglichen Verkehrs, sie sah oft, wie sein Auge aufleuchtete, wenn er mit ihr sprach, wie auch ihre Züge mehr und mehr den kalten, strengen Ausdruck verloren und sanft und weich werden konnten in der Unterhaltung mit ihm – und Gedanken eigener Art stiegen dabei in ihrer Seele auf. Wohl hatte sie Momente, wo ihr Herz hoch und freudig aufwallen konnte bei der Vorstellung, daß dem edeln Manne noch ein schönes Glück beschieden sei, und dann wieder vermochte sie es sich nicht zu denken, daß es ihm die Hand der Generalin sollte gewähren können. „Aber ich will mich zwingen, sie zu lieben, um Reinhard’s willen!“ sagte sie zu sich selbst.

Einmal, als zwischen den beiden jungen Frauen die Rede auf den Doctor kam und Eva unwillkürlich verrieth, wie hoch sie ihn stellte, sagte die Generalin: „Ja, er ist, wie ein Mann sein muß und wie ich es liebe: fest und gerecht, aber auch unnachsichtlich streng gegen sich und gegen Andere. Ich traue ihm zu, daß er ein Unrecht, das ihm geschähe, nie vergeben würde.“

Eva senkte bei diesen Worten schmerzlich getroffen ihr Haupt, senkte es demüthig vor der Frau, die so in dem stolzen Bewußtsein sprechen konnte, daß sie dem Freunde keinerlei Unrecht abzubitten hatte! –

Die von Eva’s Freunden gehoffte wohlthätige Wirkung des Bades wollte immer noch nicht bei ihr hervortreten, wenigstens nicht in Bezug auf ihr Gemüth, das sich von seiner gedrückten Stimmung nicht recht zu erheben vermochte. Reinhard sah täglich nach ihr und für Momente erfrischte sie sich dann wohl an der Heiterkeit, die immer heller aus seinen Zügen strahlte, aber es ward ihr schwer, seiner ärztlichen Verordnung, die sie geselligen Unterhaltungen zuwies, nachzukommen.

Heute hatte er ihr das Versprechen abgenöthigt, am Nachmittage die Eremitage, einen beliebten, auf einer waldigen Anhöhe in der Nähe des Bades gelegenen Vergnügungsort, zu besuchen, wo auch er sich mit der Gesellschaft zum Genuß der schönen Natur und einer heiteren Unterhaltung vereinigen wollte. Sie hatte schon ihre Zusage ertheilt, als er hinzusetzte: „Sie werden auch die Generalin dort treffen, welche sich auf das Zusammensein mit Ihnen freut, wie ich denn zu meiner Befriedigung die wachsende Freundschaft zwischen Ihnen wahrnehme.“

„Ich strebe danach, ihr näher zu kommen!“ sagte Eva schüchtern.

„Und glauben Sie mir, daß sie dies verdient!“ entgegnete der Doctor warm. „Unter anscheinender Kälte verbirgt sich ein edles, großer und tiefer Empfindungen fähiges Herz, und ich hoffe daß auch Sie dies immer mehr erkennen werden. Ich sprach sie heute Morgen einen Augenblick am Brunnen,“ fuhr er heiter fort, „und täuscht mich nicht Alles, so darf ich glauben, daß wir einem Ereigniß nahe sind, durch welches sich mir ein langgehegter, theurer Wunsch erfüllen würde. Doch davon später!“ –

Es war das erste Mal, daß der Doctor so offen auf seine Neigung für die schöne Frau hingedeutet hatte; – Eva sagte sich das, als sie allein war, und suchte sich einzureden, daß sie sich über diesen Beweis seines freundschaftlichen Vertrauens herzlich freue, während sie selbst nicht auf die Thränen achtete, die unaufhaltsam und heiß aus ihren Augen drangen.

Als sie am Nachmittage auf die Eremitage kam, fand sie bereits eine zahlreiche Gesellschaft vor, die sich offenbar in einer gewissen Aufregung befand und mit einem gemeinsamen Thema beschäftigt war.

„Haben Sie denn auch schon die große Neuigkeit des Tages gehört, welche alle Gemüther in Bewegung setzt?“ wurde sie von einer bekannten Dame angeredet, „die Verlobung der Generalin Kerstein?“

Eva zuckte, wenn auch unmerklich, zusammen – so rasch hatte sie die Nachricht nicht erwartet!

„Nun, Sie sind nicht überrascht?“ fuhr die Dame fort; „so sind Sie vielleicht schon in die Sache eingeweiht und können uns den Bräutigam nennen, über den hier die verschiedensten Vermuthungen laut werden!“

„Es ist ein polnischer Graf!“ „Nein, ein russischer Staatsmann!“ tönte es von mehreren Seiten dazwischen.

Ehe Eva sich von ihrem Erstaunen, ihrer Verwirrung erholen konnte, öffnete sich der Kreis, um ein paar Gestalten Platz zu machen, die in der allgemeinen Aufregung unbemerkt herangekommen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_058.jpg&oldid=- (Version vom 2.10.2021)