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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Soldaten des französischen Kaiserreichs und des Rheinbundes. Nach dem Siege bezog Hofer als dermaliger Regent von Tirol die Hofburg zu Innsbruck und Speckbacher begann als „Erster Postenobercommandant in Tirol und in dem Salzburger Gebirgslande“ eine neue organisatorische Wirksamkeit, um künftigen Stürmen militärisch vorzubauen, und leitete dabei die Belagerung von Kuffstein, bei welcher er Thaten unerhörten Muthes vollbrachte. Er besuchte unter Anderem verkleidet den Commandanten in der Festung, löschte eine Granate mit dem Hut aus, schlich sich heimlich in die Festung und verdarb die Spritzen, schnitt die unter den Mauern liegenden Schiffe ab etc.

Am zehnten September saß Speckbacher im Bärenwirthshaus zu St. Johann mit seinen Adjutanten zur Berathung neuer Entwürfe zusammen, als er von ferne, von der Ellmauer Straße her, den tirolischen Schützenmarsch hörte. Er trat an’s Fenster und sah auf der Straße frische unterinnthalische Schützencompagnieen jauchzend und schnalzend anrücken; hinter dem Trommler und dem Schwegler (Querpfeifer) flatterte eine große tirolische Fahne, und gleich hinter ihr sah er einen bewaffneten Buben einherziehen. Fast ärgerlich brummte er in den Bart: „Nu wird mir der Sandwirth bald gar noch Kinder nachschicken!“ Da kam der Knabe ehrerbietig auf ihn los und küßte ihm die Hand, und Speckbacher erkannte nun seinen Anderl. Schüchtern gestand dieser: er hab’s auf der Alm nimmer ausgehalten, weil er so viel Schießen oben gehört; und so sich den Landvertheidigern „zum Soldatenschießen“ zugesellt und war schon einen Monat mit ihnen herumgezogen. Die Schützen hatten den barfüßigen und ganz abgerissenen Jungen wie einen Ihresgleichen ausstaffirt und ihm auch einen leichten Stutzen gegeben. So hungrig er war, er hatte in vierundzwanzig Stunden nichts gegessen, so gestand er dies doch nicht, sondern heftete seine Blicke unverwandt auf ein schön eingelegtes Gewehr, welches an der Wand hing. Der Wirth nahm es herunter und schenkte es ihm. Aber es hatte ein Radschloß, und Anderl versuchte vergeblich, es aufzuziehen. Sein Vater lächelte. Darüber wurde er blutroth, sagte aber kein Wort. Kurz darauf ging er heimlich zu einem Waffenschmied und gab diesem eine Vorrichtung mit einem Handgriffe an, der ihm das Spannen des Hahns erleichterte. Voll Freude zeigte er nun das veränderte Gewehr dem Vater, der die Verbesserung so zweckmäßig fand, daß sie sofort an vielen anderen Stutzen nachgeahmt wurde. Von da an blieb Anderl immer, wie ein Großer bewaffnet, an der Seite seines Vaters, selbst bei den hitzigsten Gefechten. Aber bald ging die Sonne Tirols unter.

Speckbacher stand am 16. Oktober auf seinem Posten in Meleck, als die Baiern einen klug vorbereiteten Ueberfall ausführten, der vollkommen gelang. Das Gefecht dauerte nur eine Stunde, kostete jedoch viel Blut. Speckbacher selbst schlug sich mit fast übermenschlicher Anstrengung durch, sein Sohn aber ward gefangen. Als der Vater, blutend, krank und zerschlagen, nach der halsbrechenden Flucht auf’s Gebirg den Sohn vermißte, stieß er einen herzzerreißenden Schrei aus, wie ein verwundeter Löwe. Mit Gewalt hielten die Seinen ihn zurück, sich für die Befreiung seines Kindes zu opfern. Um dieselbe Zeit führten die Baiern den Anderl auf dem Schlachtfelde umher, damit er ihnen die Leiche seines Vaters heraus suche. Wirklich fand er dessen Säbel und Kleiderfetzen und weinte bitterlich. Man behauptet aber, daß der kluge Junge absichtlich einen langen todten Tiroler mit sehr zerhacktem Gesicht für seinen Vater ausgegeben, um die Flucht desselben dadurch um so mehr zu sichern. Anderl wurde nach München gebracht, wo König Max sich des kecken, bildschönen Knaben annahm und ihn einem Seminar übergab.

Schon zwei Tage nach dieser Niederlage schrieb Speckbacher von Oberau aus an Hofer um Hülfstruppen, und zur selben Zeit kam die Kunde vom abgeschlossenen Frieden, in welchem Tirol abermals vergessen war, und nun drangen die Napoleon’schen Schaaren der Rache und der Strafe für die Rebellen ins Land. Noch einmal erhob sich das Volk zum Widerstand, aber nach den drei großen Siegen am Berg Isel erfolgte eine ebenso große Niederlage, und darauf begann das Plündern, Erschießen und Hängen „zu Jedermann’s abschreckender Beschauung“.

Wie Speckbacher im Kampf das Äeußerste gethan, so sollte er nun auch bei der Verfolgung das Aeußerste leiden. Um den „Feuerteufel“, wie die Baiern ihn nannten, zu fangen, durchsuchten sie schaarenweise das Gebirg. Sie wollten „Riemen aus seiner Haut schneiden, wenn sie ihn fingen.“ Steckbriefe wurden von den Kanzeln verlesen, man vertheilte sein Conterfei, in Holz geschnitten, an die Soldaten und setzte einen Preis von 500 Gulden auf seinen Kopf. Vergeblich versuchte er, auf den schon verschneiten Pfaden der Hochgebirge nach Oesterreich zu entkommen. Er kam nur bis Dux. Ein Verräther führte die Baiern in das Haus, wo er verborgen war, und nur durch einen Sprung vom Dach herab konnte er sich retten, verletzte sich aber schwer dabei. Nun irrte er siebenundzwanzig Tage in leichter Kleidung und in der schrecklichsten Kälte in den verschneiten Wäldern umher, einmal vier Tage lang ohne jede Nahrung. Vom fürchterlichsten Hunger gepeinigt wagte er sich etwas weiter in’s Thal. Da erblickte er auf einem Schneefelde mühsam heraufklimmende Gestalten, sie kamen näher, es war ein Weib mit drei Kindern, – es war sein eignes Weib auf der Flucht, die nichts mehr als trocknes Brod für ihre Kleinen hatte. Der Seelenschmerz, der da über ihn kam, ließ ihn das eigne Leid und die Gefahr vergessen. Er führte sie in eine hochgelegene Hütte zu Bolderberg, wo sie bis Lichtmeß versteckt blieben. Ihr größter Schatz im Unglück war jetzt ihr treuer Knecht Georg Zoppel, der daheim das Haus verwaltete und Herrn und Frau die Nahrung in ihre Schlupfwinkel zutrug.

Kaum hatte Speckbacher hier ein wenig Ruhe gefunden, so späheten die Baiern auch da nach ihm. Sieben Mann kamen auf die Hütte los. Da ergreift Speckbacher mit bewunderungswürdiger Geistesgegenwart einen Holzschlitten, wirft ihn auf die Schultern und geht ihnen, als wäre er der Knecht des Hauses, gerade entgegen. Diese List rettete ihn. Nun flüchtete er in eine Höhl auf dem Gemshaken, einer der steilsten und wildesten Klippen, wo er den Winter gar zubrachte. Aber in den ersten Tagen des Frühjahrs riß ihn, beim Holzsuchen, eine Schneelawine eine halbe Stunde weit mit fort in’s Thal. Zwar arbeitete er sich aus dem Schnee heraus, aber er hatte das Hüftbein verrenkt und war nicht im Stande, in seine Höhle zurückzuklimmen. Unter unsäglichen Schmerzen kroch er, sieben Stunden lang, auf allen Vieren nach Voldersberg, und von dort trugen zwei Vertraute, oft durch tiefen Schnee, den wunden Mann nächtlicherweile nach Rinn, wohin seine Familie zurückgekehrt war, und legten ihn in den vom Wohnhaus ziemlich entfernten Stall nieder. Hier fand ihn früh sein Knecht Zoppel, und obwohl bairische Einquartierung im Hause lag, wußte er doch Rath für seine Sicherheit. Er grub unter dem Stand der Kühe ein Loch, lang und breit genug, um den Mann völlig aufzunehmen, bedeckte ihn mit Stroh und Mist und ließ ihm nur eine Oeffnung zum Athmen und um Nahrung zu sich zu nehmen, die er ihm allnächtlich brachte. In dieser Lage hielt Speckbacher sieben Wochen aus; Niemand wußte darum; selbst die Frau nicht. Als er seine Wunden geheilt fühlte, entstieg er, am 2. Mai 1810, diesem Grabe, nahm Abschied von Weib und Kindern und entkam nun glücklich, aber noch manche Gefahr durch List überwindend, nach Wien.

Hier ward auch ihm der berühmte „Dank vom Hause Oesterreich“ zu Theil. Die Söhne der Berge sollten in den ungarischen Ebenen angesiedelt werden. Speckbacher zog es vor, sich bei Wien aus eigenen Mitteln ein Gütchen zu kaufen, mußte es aber, weil sein Geld nicht hinreichte, wieder aufgeben und gerieth in tiefe Noth, ja, er hätte betteln müssen, wäre ihm nicht von Hofer’s Sohn, dem der Kaiser ein schönes Gut geschenkt hatte, die Verwaltung desselben übergeben worden.

Speckbacher’s Gattin versuchte es einmal, bei und in Wien zu leben, aber bald trieb das Heimweh sie in ihre Berge zurück, wobei Baiern sich noch die große Genugthuung verschaffte, die arme Frau in Salzburg zu verhaften und dreizehn Wochen in dem finstern Taschenthurm in München einzusperren.

Trotz der bitteren Erfahrungen vom Jahre Neun ließ im Jahre Dreizehn Speckbacher sich abermals verlocken, in österreichischem Interesse Tirol von Neuem gegen Baiern und Franzosen in die Waffen zu hetzen; die plötzliche Versöhnung der Kronen ersparte aber dem Volke das Blutvergießen, Speckbacher wurde wieder friedlicher Bauer auf seinem Eigen und erhielt 1816 endlich den Charakter eines Schützenmajors mit der dazu gehörigen Pension. Er genoß es nicht lange; die Leiden hatten diesen Riesenkörper aufgelöst, der Mann von Rinn starb, kaum dreiundfünfzig Jahre alt, Ende März 1820 zu Hall; Kaiser Franz Joseph ließ

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_062.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2018)