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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Kinder – was Alles die Klostermauern umschlossen zu zeigen, um ihr von vornherein den günstigsten Eindruck von dem Etablissement beizubringen.

Nach dem Mittagsmahle kam die Zeit der Erholung. Dabei ging es ganz lustig, ja laut und lärmend zu. Die Nonnen ergötzten sich wie Schulmädchen. Ein paar ältliche Schwestern sonnten sich, in Gesellschaft der Oberin, in einem gegen den Wind geschützten warmen Winkel; die Anderen sprangen und schrieen ohne jeglichen Zwang und Rückhalt umher.

Der Erholung folgte abermals tiefstes Schweigen. Die künftige Nonne wurde nun von Madame Blandine dem Beichtvater des Klosters, Pater Gabriel, vorgestellt, der ein strenges Verhör mit ihr vornahm. Sie erzählte ihm ihre Geschichte: wie sie einen Protestanten habe heirathen sollen; berichtete von den Verfolgungen, die sie, ihrer Einbildung nach, habe ausstehen müssen, von dem wunderbaren Wege, auf welchem sie von Gott erleuchtet worden sei, und wie sie keinen andern Wunsch mehr hege, als sich ihm gänzlich widmen zu dürfen.

Vater Gabriel scheint ein vernünftiger und keineswegs bigotter Mann gewesen zu sein. Unverhohlen erklärte er der Oberin, zu deren größtem Mißvergnügen, daß er von dem „Berufe“ des jungen Mädchens keineswegs so fest überzeugt sei wie sie, vielmehr rathe, Fräulein Soubeyran unverweilt zu ihren Eltern heimzusenden Kaum aber war der Pater gegangen, so beeilte sich Madame Blandine, dem jungen Mädchen zu sagen, der Pater wäre zwar ein guter frommer Mann, aber bereits etwas altersschwach, und man dürfe auf sein Geschwätz keinen Werth legen. Sie hätte an seiner Statt gern einen jüngeren und tüchtigeren Beichtvater, allein man könne den Alten nicht wohl beseitigen, da er ein ansehnliches Vermögen besitze und nicht nur die neue Kirche, sondern das halbe Kloster überhaupt aus seinen eigenen Mitteln gebaut habe. Wenn sie mit ihm in Conflict käme, so würde er am Ende sein Vermögen seinen Neffen hinterlassen und so die berechtigten Erwartungen des Klosters täuschen. Deshalb müsse man die Launen des kindischen Greises eben ertragen etc.

Hierauf umarmte Madame Blandine das junge Mädchen von Neuem und legte ihr an’s Herz, zu beten und sich vor Gott zu demüthigen, auch jeden Act des klösterlichen Lebens auf das Gewissenhafteste zu vollbringen. Dann nahm sie aus ihrem Bureau das Brouillon eines Briefes, eine Art von Circular, das jedenfalls alle neuen Postulantinnen an ihre Eltern zu schicken hatten. Das Schreiben war ein wahres Muster conventioneller Kälte. „Wie gefühllos ich auch war,“ sagte Schwester X., „der Brief empörte mich im höchsten Grade; ich bat daher um die Erlaubniß – und empfing sie auch – gewisse Ausdrücke etwas modificiren zu dürfen.“

Ob dieser Brief wirklich abgesandt wurde oder ruhig in den Händen der Superiorin verblieb, das hat Schwester X. nie in Erfahrung bringen können. Eine Woche, vierzehn Tage, ein Monat vergingen, und – keine Antwort kam. Sie begann ängstlich zu werden, und schon dämmerte eine Ahnung in ihr auf, daß der ersten Begeisterung bald genug Reue und Sorgen folgen würden. Nach den Ordensregeln durfte sie nicht fragen, ob eine Erwiderung auf ihr Schreiben eingetroffen sei. Die Oberin sagte ihr aber dann und wann: „Das hat nichts auf sich, meine liebe Tochter. Nimm diese erste Probe ruhig auf Dich. Bete, bete ohne Unterlaß. Wenn Deine Eltern Dich verlassen, so hast Du ja immer den gütigen Gott zu Deinem Vater, die heilige Jungfrau zu Deiner Mutter, und den lieben Herrn Jesus zu Deinem Bräutigam. Das Schweigen Deiner Angehörigen ist gewissermaßen eine Zustimmung zu dem Schritte, den Du gethan hast.“

Dann erkundigte sich die Oberin auf das Umständlichste nach den Vermögensverhältnissen der Eltern. Hinsichtlich dieses wichtigen Punktes wußte das junge Mädchen indeß nur sehr dürftigen Aufschluß zu ertheilen. Ob die Eltern außer Haus und Garten noch anderweitiges Vermögen besaßen, konnte es nicht angeben; wie es glaubte, hätten sie Verluste gehabt, und die kleine Rente, welche sie jetzt noch bezögen, rührte, ihres Wissens, hauptsächlich von der Mutter her.

Madame Blandine hörte mit gespannter Aufmerksamkeit zu.

„So weit wäre es gut,“ erwiderte sie. „Jetzt aber rede offen mit mir. Du mußt den Charakter Deiner Eltern kennen: hältst Du sie für fähig, Dich zu enterben?“

„Das weiß ich nicht,“ lautete die Antwort. „Mein Vater ist sehr hitzig, doch schwach. Meine Mutter ist auf die Klöster nicht gut zu sprechen und hat immer Diejenigen streng getadelt, welche jenen ihr Vermögen vermachen. Uebrigens ist sie weit entschiedener als mein Vater und von einer einmal gefaßten Meinung so leicht nicht abzubringen.“

„Du mußt noch einmal schreiben, meine Tochter. Wie viel ist Euer Haus nebst Garten wohl werth?“

„Ich habe einmal gehört, daß das Grundstück auf zwanzigtausend Franken geschätzt wird.“

„Zwanzigtausend Franken! Wie viel Gutes könnte mit solch’ einer Summe gethan werden. – Wie schade, daß Deine Eltern kein Verständniß besitzen für Dein Glück und die Heiligkeit Deines Berufes! Warum opfern sie dies Geld nicht dem Ruhme Gottes, warum wollen sie Dich lieber für eine weltliche Ehe aussteuern? Aber wir dürfen uns nicht einbilden, daß sie Dir auch nur einen Heller geben werden, wenigstens jetzt nicht. Ist das Deine Ansicht nicht auch, mein armes gutes Kind?“

„Sie sehen ja, meine Mutter, sie haben mich nicht einmal einer Antwort gewürdigt.“

„Du wirst mit der Zeit schon eine Antwort erhalten, meine Tochter. Bete zu Jesus und seiner heiligen und allmächtigen Mutter so inbrünstig, daß sie Dir Deine Bitte gewähren. Also Muth, mein Kind! Gott hat Dir einen schönen Beruf zuertheilt, welcher Dir nicht wieder genommen werden wird.“

Eines Tages sandte die Oberin während der Erholungszeit nach Schwester X. Sie hatte, so sagte sie, soeben einen Brief empfangen von einem Pfarrer aus der Nachbarschaft von St. Marceau, der jedoch seinen Namen nicht wissen lassen wollte. Das junge Mädchen wollte den Brief nehmen, welchen die Oberin in der Hand hatte. Anfangs lächelte diese, dann aber umkleidete sie sich mit aller ihrer Autorität.

„Wie weltlich Du noch bist, mein armes Kind! Was für eine Hast! Welche Neugierde! Geh’ wieder zu Deiner Erholung. Heut’ Abend sollst Du erfahren, was der Brief enthält.“

„Sagen Sie mir wenigstens, ma mère, wie es in St. Marceau geht. Ist mein Vater gesund oder krank? Und was macht meine Mutter?“

„Ruhig, meine Tochter, ruhig. Alles geht besser, als Du denkst. Frage mich jetzt nicht weiter. Gehe auf der Stelle wieder in den Garten. Ich wünsche, Deine weltlichen Gelüste, insonderheit Deine Neugierde etwas zu züchtigen.“

Gekränkt von dieser Rüge, der ersten, die ihr noch zu Theil geworden war, zog sich Schwester X. zurück. Bis dahin war Alles eitel Zucker und Honig gewesen. Nach dem Abendbrode erwartete sie von Minute zu Minute, daß die Oberin nach ihr schicken werde, doch vergeblich. Erst nach der nächtlichen Andacht ward sie zu ihr beschieden. Madame Blandine empfing sie freundlich und gab ihr den Brief zu lesen. Die Handschrift desselben war dem jungen Mädchen völlig unbekannt, schien ihm indeß eher von einer Frau als von einem Manne herzurühren. Am Kopfe des Blattes stand das bekannte Jesuitenzeichen: A. M. D. G., d. h. Ad Majorem Dei Gloriam (zur größern Ehre Gottes) und die Oberin war als „sehr theuere Schwester in Jesu Christo“ angeredet. Die Geschichte, begann das Schreiben, habe nicht das Aufsehen gemacht, welches man erwartet; denn Herr und Frau Soubeyran hätten sich früher oder später eines solchen Schrittes von ihrer Tochter versehen. Wohl seien sie für den Augenblick etwas bestürzt und außer sich gewesen, und der Vater habe erklärt, er werde auch keinen Sou zu einer etwaigen Klosterausstattung hergeben. Jetzt aber scheine sich ihre Aufregung bereits ziemlich wieder beschwichtigt zu haben, denn sie seien eben auf einer längeren Vergnügungsreise durch die Gascogne unterwegs, und in ein paar Wochen hätten sie sicherlich ihren Aerger gänzlich überwunden.

„Gott im Himmel!“ rief das arme Mädchen tonlos aus, nachdem es den Brief gelesen hatte, „meine Eltern denken nicht mehr an mich. Sie ergötzen sich auf einer Lustreise, ohne mir ein Wort des Abschiedes zu sagen, ohne auch nur ihr Bedauern darüber auszudrücken, daß ich sie verlassen habe!“

„Ach, mein armes Kind,“ versetzte die Oberin mild, „so geht es mit allen irdischen Neigungen, mit allen den Neigungen, die nicht Gott zur Grundlage und zum einzigen Gegenstande haben. Indeß bin auch ich einigermaßen überrascht darüber, daß Deine Eltern sich so schnell ergeben; ich messe dies Deinen inbrünstigen Gebeten und der Neuvaine (der neuntägigen Andacht) zu, welche wir soeben beendigt haben.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_073.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)